1949

Januar

Samstag, 1. Januar 1949


Die Verlobung mag ein juristisches Problem sein!
Doch gleichgültig, ob sie nun einen Vertrag in Sinne des Bürgerlichen Rechts darstellt, mit allen hieraus sich ergebenden Folgerungen, oder ob sie einen vom Gesetz nicht erfassten faktischen Lebenstatbestand darstellt, eines ist sie gewiss:
nämlich das Versprechen zweier sich liebenden und sich achtenden Menschen, ihre Liebe zu fördern und ihre Achtung voreinander zu erhalten.
Und dieses Versprechen haben wir uns heute gegeben.
2 Unterschriften
Köln-Ehrenfeld, den 1. Januar 1949, 0.00 Uhr


Mit einem Fliederstrauß im Arme ging Trude an meiner Seite wenige Minuten nach Mitternacht mit mir ins weihnachtlich geschmückte Zimmer, wo wir die Glückwünsche aller entgegen nahmen. Und bis tief in die Nacht des Neuen Jahres haben wir zusammen gesessen und uns bei Kerzenschein und Gläserklang des Ereignisses gefreut.

Am Morgen des 1. Januar 1949 schon kamen die ersten Gratulanten und bald schon waren wir mit Blumen, Geschenken und Glückwünschen überhäuft. Über 60 Personen und Familien entsandten uns ihre Grüße und guten Wünsche. Und wir saßen zu 14 Personen am Tische zu Mittag beisammen, während am Abend die Gesellschaft noch größer an Zahl wurde. Wir haben in geselligem Beisammensein den Abend verbracht und mit Schnäpsen und Likören und einem für solche Feste bei Familie Braß obligaten Heringssalat- und Schnittchen-Abendessen eine Apfelsinenbowle getrunken, die Großvater Braß am Morgen mit Siebeldinger Wein fachmännisch angesetzt hatte.
Alles in allem ein sehr freundlicher, gemütlicher und würdiger Abend, jedoch nicht ohne den kleinen Wermuttropfen, dass es Trude etwas übel war und sie nicht so recht mitmachen konnte.


Sonntag, 2. Januar 1949

Heute veranstalteten wir mit fast der gleichen Zahl an Besuchern ein Reste-Essen, da Mutter Braß in ihrer ihr eigenen Angst, ihre Gäste würden nicht satt, viel zu viel gekocht, gebacken und zubereitet hat. Unsere Geschenke haben wir in meinem Zimmer auf zwei Tischen zusammengestellt und das ergab ein eindrucksvolles Bild, denn wir erhielten:
von den Großeltern:
ein Schnapsservice aus blaugemaltem Ton
von der Mutter:
ein Bild, das eine Mutter mit ihrem Kind darstellt,
von Mama:
einen Bierkrug mit 12 Biergläsern, sowie 12 Likörgläser
von Matthias und seiner Frau Karin:
eine Laterne als Schreibtischlampe
von Hans-Helmut:
eine drehbare Kuchenplatte "mit Knöpfchen"
von Tante Käthchen:
eine rote Kristallschüssel
von Onkel Fred und Tante Lieschen:
ein Nähkästchen
von Mumm und Christel:
eine Blumenvase mit Bauch aus geschliffenem Glas
von Tante Grete aus Ichendorf:
eine Schale aus geschliffenem Glas
von Frau Krux:
eine Kuchenplatte aus geschliffenem Glas
von Herrn und Frau Ryfisch:
eine Kaffeemühle
von Frl. Inge Rath und ihrem Verehrer, Herrn Heuser:
eine Schüssel aus Porzellan
von Frl. Gisela Rath und ihrer Freundin Rosemarie:
eine Gebäckzange aus Silber
von der Nachbarin, Frau Faßbender:
einen silbernen Kuchenheber
von Frau Axer und ihrem Mann:
eine silberne Gebäckzange
von Herrn Richard Faber, einem Kommilitonen:
eine silberne Gebäckzange
von Familie Anton Wolff, den Eltern und Geschwistern meines gefallenen Freundes Willy:
ein Kochbuch und das Buch: Diane Rocheccorro, von Reck-Malle____
von Herrn Baron, dem Freund unserer Familie:
ein Alpenveilchen
von Herrn und Frau Rath:
ebenfalls ein Alpenveilchen
von Familie Moll (Feinkostgeschäft):
ein gleiches
von den Nachbarn, Familie Schwebig:
ein Priemelchen im Korb
von den Nachbarn, Familie Schmitz:
ein Priemelchen im Topf
von Familie Burg:
ein Alpenveilchen
von unserer Vertreterin Frau Grünz:
eine kleine bemalte Vase aus Glas mit Priemelblüten
von Familie Steffens (Feinkostgeschäft):
eine Dauerwurst
von Familie Simons (Milch- und Feinkostgeschäft):
eine Flasche Wein

Trude und ich schenken uns eine Bowle aus geschliffenem Glas mit 6 Krügen.
Ein imposanter Anblick, alles das nebeneinander. Darum haben wir das Ganze auch fotografiert, damit wir den "Überblick nicht verlieren".


Montag, 5. Januar 1949

Und heute haben Mutter Braß, Trude und ich beim Schein von vier Kerzen, die in einem Holzleuchter steckten, die von Familie Simons gestiftete Flasche Wein getrunken und ich habe hierbei klassisches und anderes vorgelesen und erzählt, ein sehr anregender Abend, der uns allen Freude machte.
Und der "Zeltinger Schloßberg" hat uns vorzüglich gemundet.


Montag, 17. Januar 1949

Wir haben auch, wie das so üblich ist, von dem festlichen Anblick unseres Geschenktisches eine Aufnahme gemacht.


aufgenommen am 11.2.49

Um den Film auszunutzen haben wir gleich die ganze Familie geknipst, einschließlich unseres lieben Hundefräuleins "Paul".
Und da sind sie alle



Freitag, 21. Januar 1949

Ein nicht ganz unbedeutender Tag. Herr Prof. Nolte hat mich heute Vormittag als Doktorand angenommen. Doktorthema: Die Menschenhilfe und ihre Berücksichtigung im Privatrecht. Jetzt weiß ich wieder, wofür ich da bin; ich habe ein Ziel und kann planvoll arbeiten.
Die Ziellosigkeit der letzten Wochen, seit meinem Referendarexamen am 2. Okt. 48, und das bisher vergebliche Warten auf meine Ernennung zum Referendar haben mich fast erdrückt.
Gestern bekam ich noch zwei Bilder nachgeliefert. Unsere Bowle, unser beider Verlobungsgeschenk, einmal mit und einmal ohne Tütt.




Donnerstag, 27. Januar 1949

Mozarts Geburtstag
Wir haben den Tag würdig zu begehen versucht. Um 13.30 Uhr sahen und hörten wir die für Studenten gedachte Vorstellung "Cosi fan tutte". Mutter Brass, Trudi und ich waren begeistert von Mozarts herrlicher, gelöster, befreiter Musik.


Samstag, 29. Januar 1949

Vorabend meines Geburtstags.
Morgen werde ich 29 Jahre alt. Das Versehen ist der Alkohol. Die liebe Cousine stiftete Zuckerschnaps. Und der hat's in sich.
Diesen Wein stiftete Trudi und Hans-Helmut gab eine Flasche Apfelsaft. Und es war eine so glänzende Stimmung, dass Trude und ich die Kleider tauschten und anzogen. Eine Generalprobe für Karneval.


Montag, 31. Januar 1949

Leider geht's nicht immer so lustig weiter. Heute sagte mir der Leiter des Dezernats der Referendarabteilung, Landgerichtsdirektor Dr. Goertz, dass ich mit meiner Anstellung als Referendar noch Monate warten müsse. Eine Wartezeit, die mich noch zur Verzweiflung bringen wird.


 

Februar 1949

Mittwoch, 2. Februar 1949

Große Auseinandersetzung mit meiner Mutter. Sie schreibt mir die Schuld für die Nichtanstellung als Referendar in die Schuhe und will mich nicht weiter beköstigen.


Donnerstag, 3. Februar 1949

Heute hat meine Mutter Trudi, welche bei uns nähte, entlassen. Eifersucht, wohin führst du den Menschen? Seit einem Jahr, dem 26. Jan. 48 war Trude bei uns beschäftigt, um das Geschäft kennen zu lernen. Wenn sie in der Lage wäre es weiterzuführen, so dachte ich, dann wäre uns über die kritischen Jahre in finanzieller Hinsicht hinweg geholfen. So aber ist mein Plan zerstört. Der wievielte ist es wohl, den meine Mutter über den Haufen wirft?!


Mittwoch, 9. Februar 1949

Ein Tag, der den Rotstift wert ist. Nach langem, selbstquälerischem Warten holte ich mir auf dem Hinweg zunächst noch ohne jede Hoffnung - am Oberlandesgericht Köln, Reichensperger Platz auf der Referendarabteilung (Zimmer 124a), wo ich schon viele viele Male vergeblich in den letzten 4 Monaten angefragt hatte, den Bescheid, dass ich zum Referendar ernannt sei, dass am 21. Februar mein Dienst beginne. Endlich ein Aufstieg! Nun ist das Leben wieder lebenswert. Ein Plan, ein Ziel, und alles wird schöner denn je.
Trude und Mutter Braß haben die besondere Würde des Tages durch guten Kaffee und Kuchen besonders unterstrichen. Sie verstehen es beide, ein überfrohes Herz auch überlaufen zu lassen vor Glückseligkeit und Dankbarkeit. -
Meine Vorstellung bei Herrn Landgerichtsdirektor Dr. Goertz hat wohl diese kurz darauf erfolgende Ernennung zur Folge gehabt.


Donnerstag, 10. Februar 1949

Mutter Braß, Trude, Hans-Helmut und ich wünschen Christel Neuburg, unserer Cousine, Glück zu ihrem Geburtstag. Sie wird 28 Jahre alt. Mit Kaffee und viel Kuchen wurde der Tag feierlich begangen.


Sonntag, 13. Februar 1949

Große Protestkundgebung in der Rheinlandhalle in Düsseldorf gegen das Urteil des Ungarischen Gerichtes im Prozess gegen den Fürst Fumas von Ungarn, Mindszenty und seinen klerikalen Stab. Habe im Rundfunk die flammenden und sehr erschütternden Reden von Herrn Kardinal Frings, Erzbischof von Köln, Ministerpräsident Arnold (von Nord-Rhein-Westfalen) und anderen prominenten Persönlichkeiten gehört. Ein Anlass mir wiederum vorzunehmen, die persönliche Freiheit hoch zu achten und jede Unterordnung des Menschen unter Anschauungen, Machtbestrebungen und Willenstyrannei, ob von anderen Personen oder vom Staate ausgehend, leidenschaftlich abzulehnen. Nur die persönliche Freiheit stempelt uns zu Menschen.


Montag, 14. Februar 1949

Habe nunmehr auch die schriftliche Bestätigung meiner Ernennung zum Referendar. Anlass genug, eine Schallplatte zu kaufen. Es sollte die Koriolan Ouvertüre von van Beethoven sein, die gestern zum Abschluss der Protestfeierstunde die Herzen zum Gelöbnis empor riss. Doch da diese Schallplatte in Köln augenblicklich nicht zu haben ist, haben Trude, die mich beim Einkauf begleitete, und ich uns entschlossen, die Egmount Ouvertüre von van Beethoven (Philharmonisches Orchester Berlin, Dirigent Wilhelm Furtwängler) zu erwerben. Ihre Vorführung brachte uns, Mutter Braß, Trude und mir einen besinnlichen, anregenden Abend.


Freitag, 18. Februar 1949

Heute hat es einige Tränen gegeben. Ich muss nunmehr meine Zeit voll ausnutzen um meine Dissertation unter Dach und Fach zu bringen; denn sobald ich als Referendar eingearbeitet bin, um so mehr werde ich für die Doktorarbeit keine Zeit mehr finden. Gestern schon habe ich Herrn Prof. Nolte eine vorläufige Gliederung meiner Arbeit zugeschickt. Die Tränen hat Trude geweint, als ich ihr eben sagte, dass ich mich ihr nicht in dem bisherigen Maße widmen könne. Ich muss wieder freie Abende zum Studium der Literatur haben. Trude zeigt - leider, leider - hierfür sehr wenig Verständnis und nimmt meinen Wunsch als persönliche Abneigung auf; wie irrsinnig, dieser Gedanke. Ich habe Trude gesagt, dass meine ganze Studienvorbereitung schließlich nur ihr und mir zugute komme, ich mich aber in meinen Plänen nicht beirren ließe. Schweigen und Tränen waren die Antwort. Wie bald schon - wird ihr - so Gott will, die Zeit zeigen, dass ich Recht habe.


Montag, 21. Februar 1949

Heute habe ich meinen Dienst als Referendar beim Amtsgericht Köln begonnen. Ich bin für 4 Wochen der Vormundschaftsabteilung überwiesen. Meine Tätigkeit besteht vorläufig auf der Geschäftsstelle darin, Akten zu sortieren, zu lesen, Eingänge zu buchen usw. Eine rein technische Beschäftigung. Um 1/2 1 Uhr mittags wurde ich mit noch 2 anderen Referendaren vereidigt. Anlässlich des heutigen Tags habe ich mittags für Trude und Mutter Braß 2 Schallplatten gekauft: Die Rienzi Ouvertüre von Wagner einschließlich dem Vorspiel vom 3. Akt aus Lohengrin. Trude ihrerseits überraschte mich mit dem von Schlußnuß gesungenen Kunstlied: Adelaide, gedichtet von Matthisson, vertont von Beethoven. Sodann gab es noch Makrönchen und Glückwünsche.


Dienstag, 22. Februar 1949

Plattenspieler zur Reparatur fortgebracht. Es fehlt etwas im Zimmer, die gute Musik, nunmehr schon eine tägliche Gewohnheit.


Donnerstag, 24. Februar 1949

Heute Nachmittag waren wir bei Großvater Braß anlässlich seines Namenstags zu Gast. Anschließend Plattenspieler wieder abgeholt. Gott sei Dank.


Samstag, 26. Februar 1949

Abends mit Mutter, Trude und Hans-Helmut bei Mumm gewesen und die karnevalistische Sendung im Radio gehört. Währenddessen viel Schnaps und selbst zubereiteten Likör getrunken. Erfolg: Alles stark angeschlagen, d.h. Mutter nicht, Onkel Toni nicht, und ich auch nur wenig. Aber Mumm, Christel und Trude! Aber nur einmal im Jahr ist Karneval.


Montag, 28. Februar 1949

Rosenmontagszug (erweiterte Kappenfahrt) gesehen. Viel Schönes, und manchen Bonbon für Hans-Helmut, der mit uns, Trude und mir, mit zog.


 

März 1949

Montag, 9. März 1949

Meine Mutter hat mich heute aus ihrer Wohnung bugsiert, indem sie für mich getrennte Küche einführen wollte, damit ich der Lebensmittel, die sie ohne Markenabgabe von ihrer Kundschaft erhält, nicht mehr wahrhaftig werde. Natürlich wird dies nur eines der vielen bereits erprobten Mittel gewesen sein, mir den Aufenthalt zu Hause zu verleiden. Heute hat es mir aber gereicht. Ich habe unsere Wohnung verlassen und bin von Mutter Braß und Trude mit offenen Armen aufgenommen worden.


Montag, 16. März 1949

Mein Namenstag. Morgen ist der Namenstag von Trude. Es gab Buttercremetorte und Obstkuchen; abends traf Tante Käthchen aus der Eifel hier ein. Trude und ich haben uns gegenseitig die Doppelschallplatte "Capuccio italein" von Tschaikowsky geschenkt. Von Hans-Helmut bekamen wir die Schallplatte "Ave Maria" und "Leise flehen meine Lieder" von Schubert, gesungen von E. Berger. Kostbare Bereicherungen für unsere Musikecke.


Dienstag, 17. März 1949

Allein zu Hause. Mutter Braß, Trude, Hans-Helmut sind zum Namenstag der Kölner Großmutter (Braß) gegangen. Ich wollte nicht mit gehen, da ich mit Frau Steinmann, verw. Braß, der Witwe von Onkel Hans nicht zusammentreffen wollte. Ihr Verhalten hat mich abgestoßen und ich würde mich über mich selbst schämen vor den toten Soldaten, wenn ich ihr die Hand gegeben hätte.

Nun der Tatbestand: Nachricht vom Tode des Onkel Hans, ihres Mannes, Anfang Februar, Exequien Mitte Februar; viele Tränen und die Versicherung, sie werde nie mehr heiraten. Am 20. Januar hat ihr nunmehriger Ehemann das Auseinandersetzungszeugnis zwecks Wiederverheiratung beantragt, am 1.2. hat er es bekommen. Am 15.3. waren beide verheiratet. Die Todesanzeige für Onkel Hans begann mit den schmerzerfüllten Worten: Nach langem, qualvollen Warten ...
Wie doppelsinnig! Unter diesen Umständen. Und wie charakterschlecht!
Welch eine Verhöhnung des Toten!


Samstag, 21. März 1949

Heute habe ich meine Ausbildung bei der Nachlassabteilung, Amtsgerichtsrat Lenepfeid, begonnen. Ich bedauerte, von der Vormundschaftsabteilung wegzugehen, denn der Dienst dort hatte mir gut gefallen, während beim Nachlass die Bedingungen nicht so günstig sind. 8 Referendare zugleich, bei einem Richter, der zwar herzensgut und sehr menschlich, aber doch zu wenig bestimmt ist gegenüber der Überzahl von Referendaren. Und hierunter gibt es welche mit sehr unkollegialem Verhalten.


Mittwoch, 30. März 1949

Ich habe Kürzung der 1. Stage beantragt, um schneller vom Nachlassgericht fortzukommen. Der Dienst dort ist infolge der derzeitigen Umstände unerquicklich. Mein Zeugnis von Amtsgerichtsrätin Frl. Nolter war nur befriedigend. Ich hatte mehr erwartet.


 

April 1949

Donnerstag, 14. April 1949

Habe heuten meinen Unterhaltszuschuss beantragt, nachdem ich am 9. April meinen Dienst bei der Nachlassabteilung beendet hatte.
Bin jetzt bei Abt. 33, Schöffengericht, Appellhofplatz. Habe gestern an der ersten Sitzung teilgenommen. Es gefällt mir sehr gut.


Samstag, 16. April 1949

Nachdem ich heute für Mama zu Ostern eine Schallplatte "Mag der Himmel euch vergeben" aus Mar___ (Flotow) und "Auf trinket in durstigen Zügen" aus La Traviata (Verdi) und für Trude die Schallplatte "Alleluja" aus dem Messias (Händel) und "Die Himmel rühmen" von Beethoven gekauft hatte, ging ich heute Abend zu meiner Mutter, um sie um meinen dunklen Anzug für die Ostertage zu bitten. Sie antwortete mir, dass sie meinen Anzug (in welchem ich übrigens das Examen bestanden hatte) verkauft habe, um damit die Instandhaltung von Papas Grab zu bestreiten. Es gab eine heftige Auseinandersetzung. Warum bin ich immer wieder weichherzig und will meiner Mutter eine Freude machen, während es mir so gedankt wird.


Donnerstag, 21. April 1949

Trude hat schon einige Verhandlungen, in denen ich als Referendar tätig war, mit angehört. Heute Nachmittag hat sie den Giftmörderinnenprozess "Schwurgerichtsverhandlung gegen Swinza" besucht, zu dem ich ihr eine Karte besorgt hatte.


Freitag, 24. April 1949

Heute hat Mutter Braß Namenstag und Paulchen Geburtstag (er wird 2 Jahre alt.)


Samstag, 30. April 1949

Ich bin nicht sonderlich zufrieden mit meinem Richter, dem Amtsgerichtsrat Dörner, da er von einer geradezu krankhaften Kritelsucht befallen ist. Er lässt keins meiner Urteile gelten, aber nicht etwa, weil sie rechtlich zu beanstanden wären, sondern weil ihm einmal der Sprachstil nicht gefällt, dann, weil ihm die Reihenfolge der Gedanken nicht behagt usw. Komme ich tags darauf mit dem abgeänderten Urteil, so will er es wieder gerade umgekehrt haben, nämlich, wie's am Vortage gewesen ist. Dieser Herr ist nicht großen Geistes Kind; darum versucht er zu scheinen, was er nicht ist, indem er alles andere verdammt. Auch seine Art der Verhandlungsführung in Strafprozessen missfällt mir außerordentlich, da er die Angeklagten wie die Zeugen anschreit, schon dann, wenn sie nicht an dem vorgeschriebenen Platz vor dem Richtertisch Aufstellung nehmen. Es ist ihm dabei gleichgültig, ob er auch eine Frau anschreit. Meines Erachtens bleibt auch einer angeklagten Frau das Recht auf den nötigen Respekt, zumal die bei unserer Abteilung vorkommenden Strafsachen - Zollhinterziehung, Schwarzbrand usw. - ohnehin mehr Formaldelikte als Verbrechen im eigentlichen Sinne sind. Alles in allem, ein Richter, wie er nicht sein sollte.


 

Mai 1949

Samstag, 7. Mai 1949

Meine Mutter wartet wieder mit Überraschungen auf. Nachdem ich mich heute mit der Absicht trug, ihr morgen anlässlich des Muttertages einen Blumenstrauß zu geben, schickt sie mir heute eine Rechnung herauf, wonach sie für die vergangenen Monate eine Rückerstattung des geleisteten Unterhalts in Geld sowie einen Mietbetrag für das von mir bewohnte "möblierte" Zimmer verlangt.
Diese Frau hat den Teufel im Leib und ist in den Mitteln der Schikane nicht sonderlich wählerisch. Natürlich bleibt die Rechnung unberücksichtigt.


Sonntag, 8. Mai 1949

Muttertag. Karte an Mama. Mit Mutter Braß und Trude recht schön bei Kaffee und Kuchen gefeiert. Am Nachmittag gingen Trude und ich in ein Chorkonzert, welches von dem Männergesangverein, in welchem Opa Braß singt, veranstaltet wurde. Wir waren sehr zufrieden mit Programm und Darbietung.


Mittwoch, 11. Mai 1949

Habe heute bei der Zivilprozessabteilung angefangen. Der Richter, Amtsgerichtsrat Dr. Mehl, ist ein ausgezeichneter Mensch und Pädagoge.


Freitag, 13. Mai 1949

Heute war ein Freudentag. Nach langem ungeduldigem Warten erhielt ich die Mitteilung, dass ich ab 1. Juni Unterhaltszuschuss in Höhe von 135 DM monatlich bekomme. Jetzt kann ich endlich etwas zum Haushalt von Mutter Braß beisteuern, die ohnehin nicht mehr weiß, wie sie mit dem Geld rund kommen soll.
Habe mich heute früh bei der Verwaltung des Amtsgerichts zu einem Referendartermin nach England gemeldet.


Samstag, 14. Mai 1949

Heute haben Karin und Matthias sich kirchlich trauen lassen. Sie feierten bei der Mutter Karins das Fest und wir waren dort. Selten ist vor einer Hochzeit wohl so viel gesprochen und gestritten geworden über das Brautpaar und mit dem Brautpaar wie gerade bei diesen beiden. Hoffentlich geht die Ehe in Wirklichkeit besser ab als alle Befürchtungen ahnen lassen.



Dienstag, 24. Mai 1949

Silberne Hochzeit von Mutter Braß. Ohne Vater. Besser, kein Wort zu schreiben über diesen Tag schöner Erinnerungen der Mutter, die sie zur Wehmut stimmen.
Es bleibt nur eins: hoffen, dass Vater Braß wieder kommt. Jeden Abend kommen in Köln 2 Züge mit heimkehrenden Russlandgefangenen an. Ob nicht auch einmal Vater Braß darin sein wird?!


Donnerstag, 26. Mai 1949

Vatertag. Noch ist's mit mir nicht so weit. Daher musste es heute bei Bohnenkaffee und Reibekuchen bleiben.


Samstag, 28. Mai 1949

Heute ist Willys Namenstag. Von ihm und seiner Familie fehlt mir jede Nachricht. Von ihm insofern, als die Hoffnung der Frau Wolff, dass er zurückkommt aus Russland, wo er als tot gemeldet wurde am 19.8.1944, sich bis heute nicht bestätigt hat.
Und Familie Wolff lässt nichts von sich hören. Sie wollten mich schon lange zum Nachmittagskaffee einladen. Ob der Konkurs ihres Sohnes Caspar sie davon abhält?


Dienstag, 31. Mai 1949

Habe heute mein erstes Gehalt bekommen. In der Amtssprache heißt es zwar - Unterhaltszuschuss - aber ich nehme es darum doch. 131,90 Deutsche Mark. Eigentlich 135 DM. Aber der Staat konnte es nicht lassen, auch vom Unterhaltszuschuss etwas abzuknapsen. 2,50 DM Lohnsteuer und 0,60 DM Notopfer Berlin.
Zum Gedenken an dieses erste Gehalt sei einer der Geldscheine hier eingeklebt, der auch zu der Gehaltsauszahlung gehörte.


Streng genommen ist dies ja nicht mein erstes Gehalt. Ich habe zum ersten Mal Geld bekommen, als ich als 16-jähriger Junge die Schule in der Kreuzgasse verlassen musste und als Lehrling zur Kölnischen Mode- und Textilgroßhandlung im Richmodishaus ging. Da bekam ich 16 RM monatlich. Aber die Arbeit geschah unfreiwillig und ich nahm daher von diesem Verdienst keine freudige Notiz. Dann erhielt ich beim Rechtsarbeitsdienst 25 Pfennig pro Tag für geleistete Arbeit. Auch unfreiwillig und ungern. Im Anschluss hieran bekam ich 50 Pfennig pro Tag beim Militär. Noch viel unfreiwilliger. Während des Kriegs zahlte man mit Wehrsold und später Monatsgehalt (10 RM alle 10 Tage + 118,- Mark monatlich). Der ganze Wehrdienst geschah unter Zwang und ich vertat meine wertvolle Zeit mit sinnloser Beschäftigung. Darum machte mir dieses Geld letzten Endes auch keine Freude.
Nach dem Krieg musste ich als Hilfsarbeiter auf eine Baustelle gehen, zuerst zur Südbrücke, später zum Allianzgebäude, für 72 Pfennig die Stunde. Gott sei Dank war diese Zeit im November 1945 zu Ende, als ich neu immatrikuliert wurde. Das Geld, das ich als Hilfsarbeiter verdiente, war mir gleichgültig, ja sogar verhasst, denn ich sträubte mich gegen diese Arbeit, da sie mir mit Zwang aufgebürdet worden war.
Im vorigen Jahr habe ich bei meiner Mutter Zuschneidearbeiten getan und wurde dafür entlohnt. Diese Arbeit geschah aus Verzweiflung, weil ich monatelang ohne einen Pfennig Geld in der Tasche war.
Aber heute bekomme ich das ersehnte Geld für eine freudig gewollte, freudemachende Arbeit.

 


Juni

Dienstag, 7. Juni 1949

Heute haben Trude und ich beim Standesamt das Aufgebot bestellt.

Wir haben uns ziemlich überraschend entschlossen, uns standesamtlich trauen zu lassen, weil uns das eine Gehaltserhöhung von 65 Mark monatlich einbringt, die wir ohne das dem Staat schenken würden. Es ändert sich ja in der Hausgemeinschaft nichts, da wir alle bei Mutter Braß leben.
Unsere kirchliche Trauung wird in einigen Monaten nachfolgen, einschließlich dem obligaten Fest.
Heute Nachmittag hatte Mutter Braß Besuch aus Ellrich (Ostzone) von Onkel Hans (Schmidt). Ein Herr Wagner, der endgültig in die Westzone abgewandert ist und hier in Köln wieder ansässig wird, berichtete uns in zwei unterhaltsamen Stunden von dem Leben drüben und insbesondere von Onkel Hans.


Mittwoch, 13. Juni 1949

Endlich hat unser Hündchen Paul seine so sehnlichst erwarteten Jungen bekommen. Heute Nachmittag um 10 Minuten vor 4 Uhr kam das erste Tierchen, ein weißes mit braunen Flecken, groß und kräftig, um 4 Uhr 15 kam ein zweites, schwarz-weiß gefleckt mit einem breiten weißen Fleck auf der Stirn eines im übrigen schwarzen Kopfes, das dritte Tierchen, das Möhrchen, wurde um 5 Uhr nachmittags geboren, schwarzer Kopf, schwarzer Rücken, weißer Kragen. Das vierte Tier kam unerwartet noch um 7 Uhr abends, schwarz-weiß gefleckt, mit weißem Stirnscheitel, ungefähr wie Paul. Die Tierchen kamen alle in einer durchsichtigen haut gut verpackt zur Welt. Dann isst Paul die Haut auf und verspeiste sie mitsamt der Nabelschnur; sogleich darauf begannen die Kleinen zu schreien. Sie sind alle wohlauf und quietschen vergnügt drauf los. Auch Paul fühlt sich zeitentsprechend, er trinkt viel Bohnenkaffee, damit er nicht einschläft und sich tolpatschigerweise auf die Tierchen legt, so dass sie ersticken.
Gegen Abend lässt er uns schon nicht mehr an sein Lager, der mütterliche Verteidigungsinstinkt ist erwacht.


Mittwoch, 14. Juni 1949

Anbei einige Bilder von der am 14. Mai 49 erfolgten Hochzeit Karins mit Matthias.



Samstag, 18. Juni 1949

Heute Abend hat Mama mich zu sich kommen lassen und mich gebeten, zur Aufhebung der Adoption mein Einverständnis zu geben. Ich habe die Aufhebung der Adoption abgelehnt, weil ich keinen Grund habe, den Namen "Schiele" abzulegen. Außerdem gäbe das unnötige Schwierigkeiten beim Gericht, da man zweifellos rückfragen würde, weshalb ich die Namensänderung habe vornehmen lassen.
Im Verlaufe der Unterhaltung mit meiner Mutter, in der sie alles noch einmal vorbrachte und die ältesten Dinge wieder aufwärmen wollte - sie ist tatsächlich unversöhnlich - habe ich mich immer mehr über mich verwundern müssen und über den Umstand, dass ich's so lange bei ihr ausgehalten habe. Sie ist nämlich ein störrischer, unbelehrbarer Geist, der jeden, auch den kleinsten Trumpf auskostet, erst wenn sie in der Lage ist sich davon zu überzeugen, dass es dem anderen weh tut.
So hat sie's heute fertig gebracht, mir einen recht merkwürdigen Einigungsvorschlag zu machen:
Gegen eine monatliche Ratenzahlung von 15 DM als Abzahlung auf ihre Rechnung über Unterhalt und Miete ist sie bereit, mir nach und nach meine noch in ihrem Besitz befindlichen Sachen herauszugeben.
Ein merkwürdiger Vorschlag.
Aber ich habe ihn wegen des Friedens angenommen.
Ich laufe auch sonst Gefahr, dass sie jedem Unberufenen unsere häuslichen Angelegenheiten erzählt, wie sie's schon getan hat.
Damit ist unserer Familie aber nicht gedient. Daher habe ich so oft schon in den sauren Apfel gebissen und Ruhe gehalten, das ist das Beste.


Dienstag, 21. Juni 1949

Wir haben heute den entscheidenden Weg zum Standesamt getan, Trude und ich, sowie Mutter Braß und Richard Faber als Trauzeugen und nunmehr sind Trude und ich rechtmäßig verbundene Eheleute.


Herr Richard Faber ging mit uns nach Hause und wir begannen einen feierlichen Nachmittag in kleinem Rahmen, zu dem nachmittags auch Herr Günter Faber hinzu kam. Er brachte ein sehr hübsches Geschenk von seiner Familie mit, eine sehr geschmackvolle versilberte Zuckerdose mit Silberzange. Der Nachmittag ging mit Kaffee, Kuchen und Wein vorüber. Abends kam unsere Verlobungsbowle auf den Tisch mit einer bekömmlichen Erdbeerbowle. Im Verlauf des angeregten Abends boten die beiden Herren Faber , Trudi und ich uns gegenseitig Freundschaft an, die durch einen kräftigen Trunk und das obligate Du bekräftigt wurde. Ein sehr freundlicher Abend. Wir haben viel gelacht, Trude hatte einen kleinen Bowlenschwips und kam aus dem Lachen nicht heraus.
Die lebensphilosophische Betrachtung zur Eheschließung wurde durch eine Tasse Kaffee beschlossen; sodann begleiteten Trude und ich Günter und Richard nach Hause, wo Günter uns von einem vor ihrem Hause stehenden Baume einen Glückszweig abbrach, der umseitig folgt.


Mittwoch, 22. Juni 1949

In der Nacht ist das an vierter Stelle geborene Hündchen gestorben. Habe es am Morgen begraben. Abends hatte ich noch versucht, es mit Milchzugabe durch eine Augenspritze am Leben zu halten, da ich glaubte, dass es hungere, weil die anderen Tiere es in ihrer Rücksichtslosigkeit nicht an die Mutterwarzen herankommen lassen. Es hat dennoch nichts geholfen.


Freitag, 24. Juni 1949

Habe mein Gesuch um Erhöhung meines Unterhaltszuschusses eingereicht, nachdem ich mit Herrn Oberlandesgerichtsrat Dr. Pize, einem sehr jovialen Herrn gesprochen habe. Hoffentlich ...
Am Montag, dem 20.6. habe ich meine Amtsgerichtstage beendet und meinen letzten Ausbilder, Herrn Amtsgerichtsrat Dr. Mehl verlassen, einen ausgezeichneten Menschen mit Herz und Verstand.
Gestern habe ich mein Zeugnis eingesehen, dass Herr Dr. Mehl mir ausgestellt hat: Note: "Gut". Ein sehr schönes Zeugnis.
Habe gestern auch meinen Dienst bei der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln aufgenommen. Heute habe ich die erste Sitzung beim Landgericht mitgemacht. Vorwiegend Ehescheidungssachen. Unappetitlich ...
Herr Landgerichtsrat Morkopp, mein Ausbilder, ist ein sehr feiner Herr. Der Kammervorsitzende, Herr Dr. Schulze, ist ein etwas pedantischer, diktatorischer Herr, aber im Übrigen von vornehmer Wesensart.


Samstag, 25. Juni 1949

Mit Trude in "Was Ihr wollt" von Shakespeare. Hat uns ausgezeichnet gefallen. Shakespeare einmal von der unblutigen Seite; ein sehr feines Lustspiel mit guter Besetzung.


Sonntag, 26. Juni 1949

Zum 21.6. habe ich noch etwas zu schreiben; denn dieser Tag ist zu unserer Hochzeit nicht von ungefähr gewählt worden, sondern weil er für uns Menschen eine allgemeine und für mich eine besondere Bedeutung hat. Der 21. Juni bedeutet den Abschied vom Frühling und die Wende der Sonne zum Sommer hin, ein neuer Abschnitt im Ablauf des Jahres. Und am, 21.6. 1935 lernte ich meinen leider allzu früh verstorbenen Freund Willy Wolff kennen, der für meine jugendliche seelische und geistige Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung geworden ist. Ihm zur Erinnerung und zum Gedenken habe ich meinen Hochzeitstag auf diesen Sommersonnenwendetag gelegt.


Montag, 27. Juni 1949

Gestern bekam unser braunes Hündchen seine Äugelchen und heute blinzeln alle drei in die Welt. Es ist allerliebst.


Juli 1949

Montag, 4. Juli 1949

Richard Faber hat heute sein Examen bestanden.


Sonntag, 17. Juli 1949

Unser braunes Hündchen hat seine Heimat gewechselt und ist zu Onkel Josef und Tante Finchen gekommen. Es heißt jetzt Peterle.


Montag, 18. Juli 1949

Heute hatten Matthias und Karin das schwarz-weiße Hündchen abgeholt und ihm den Namen "Jockele" gegeben. Jetzt besitzen wir noch das Möhrchen, welches die Mumm bekommen soll.


Freitag, 21. Juli 1949

Einen Monat verheiratet. Unsere Ehe wurde schon belohnt; am Montag, dem 17.7.49 erhielt ich die Nachricht, dass mein Gesuch auf Erhöhung meines Unterhaltszuschusses genehmigt worden sei. Trude und ich erhalten nunmehr DM 200,- im Monat.


Samstag/Sonntag, 30./31. Juli 1949

Ein Ferienwochenendaufenthalt bei Onkel Fred und Tante Lieschen in Frielingsdorf. Mit den Rädern bei herrlichem Wetter hingefahren, Trude und ich. Köstlich bewirtet. Und eine wundervolle Entdeckung: Die Pfarrkirche von Frielingsdorf und die Kreuzweggemälde im Inneren der Kirche.


August

Sonntag, 14. August 1949

Wahl zum Bundestag.
Es gibt eine Pflicht:
die Menschen die dieses (s.u.) Wahlblatt herausgegeben haben, nicht zur Macht kommen zu lassen, denn die Folgen werden verhängnisvoller sein als die von 1933. Zu der brutalen, hochfahrenen Dummheit der damaligen Machthaber wurde nun mehr die Erfahrung des systematischen Mords und ein glühender Hass gegen alles ehrliche und besonnene Denken und Handeln kommen.

 


Donnerstag/Freitag/Samstag, 18./19./20. August 1949

An diesen Tagen vor einem Jahr schrieb ich meine drei Examensklausuren. Mit vielen Nöten, aber doch auch mit Erfolg.


Sonntag, 21. August 1949

2 Monate verheiratet ... und noch nicht gereut. Am 2. Oktober des Jahres wollen wir uns kirchlich trauen lassen. Leider, leider ist das Geld noch arg knapp.


 

September

Samstag, 3. September 1949

Allen Ärger, den uns meine Mutter, Frau Schiele, fast täglich mit beleidigenden Briefen, Gerüchte-Verbreitungen und sonstigen Hassausbrüchen bereitet, haben Trude und ich heute mit einem Fläschchen Münsterländer hinunter gespült.


Dienstag, 6. September 1949

Heute waren wir schwimmen, Trude, Hans-Helmut und ich. Es hat uns gut gefallen, ein wenig Entspannung von dauernder anstrengender Nachtarbeit um die Gutachten zu bewältigen.


Dienstag, 20. September 1949

Inzwischen wurde mein Jahresurlaub genehmigt. Ich habe Urlaub in der Zeit vom 3. - 20. Oktober 49 beantragt. Trude und ich wollen die Zeit benutzen, Onkel Felix in Hermeskeil mit dem Fahrrad zu besuchen. Dort soll unsere Hochzeit nochmals gefeiert werden.
Heute Abend haben wir Trudes Geburtstag vorgefeiert. Voriges Jahr haben wir dazu nachstehend bezeichneten Wein getrunken (1947 Lörzweiler Hohberg).
Habe Trude mein Damenfahrrad geschenkt, außerdem für 1 Mark Groschenstücke. Trude sammelt sie nämlich und hat von derartigen Groschenstücken bereits ihre weißen Hochzeitsschuhe gekauft.
Im Übrigen ist das Schenken dieses Mal etwas bescheidener als voriges Jahr, da wir das Geld für unsere Hochzeit am 1. Oktober 49 zusammen halten müssen.


Mittwoch, 21. September 1949

Aber zu einer Flasche Wein zu Trudes Geburtstag hat es dennoch gereicht. Voriges Jahr waren es zwar 21 rote Gladiolen. Diesmal ist es eben nur ein 1948er Schweppenhäuser Steyerberg von der Nahe, den wir mit Richard Faber, der ebenfalls heute Geburtstag hat und 28 Jahre alt wird, getrunken haben.


Dienstag, 27. September 1949

Habe heute unsere Vermählungsanzeigen an alle Verwandten, Bekannten und Freunde abgesandt.
Vermählungsanzeige
Auch an Mama, verbunden mit einer in herzlichen Worten gehaltenen schriftlichen Einladung. Aber noch am gleichen Tag habe ich die Anzeige und Einladung postwendend ohne ein Wort der Erklärung zurückerhalten. Mama will offensichtlich den endgültigen Bruch. Es ist bedauerlich, dass es Menschen auf Erden gibt, die mit ihrem Hass selbst vor einem solch schönen Tag nicht Halt machen und zwei jungen Menschen nicht die Möglichkeit geben, das neue und gemeinsame Leben in Frieden mit allen Menschen zu beginnen.
Noch bedauerlicher ist es, dass die eigene Mutter, wenn auch die Adoptivmutter, zu dieser Art Menschen gehört. Ich freue mich darum umso mehr, mit Trude nach der Hochzeit zu Onkel Felix fahren zu können, um dort wenigstens mit Menschen von eigenem Fleisch und Blut zusammen zu sein.


 

Oktober

Samstag, 1. Oktober 19949

Kirchliche Hochzeit in St. Anna. Gertrud Schückes, Traupatin und Brautführerin ist fast die Treppe rauf gestürzt.


Gertrud Schückes und Günter Faber sitzen nebeneinander und Helmut fragt: Wollt Ihr Euch nicht verloben?
Gästeliste

Kirchliche Hochzeit in St. Anna

Gertrud Schückes Traupatin ...

Ur-Opa Braß singt das Hobellied
Text


Sonntag, 2. Oktober 1949

Heute vor einem Jahr habe ich mein Examen bestanden.
Vormittags gemütlicher Frühstückskaffee mit Trude, Mutter, Hans-Helmut, Tante Lieschen, Käthchen und Onkel Heinrich sowie Egon.
Mittags sind Trude, Egon, Hans-Helmut und ich auf den Dom geklettert. Ein herrlicher Blick in die Weite und ein grauenvoller Blick auf die verwundete Stadt.
Und tiefes Ehrgefühl vor der Grüße dieses hehren Bauwerks.
Abends bei Schnaps und Kuchen Restessen.


Montag, 3. Oktober 1949

Egon zur Bahn gebracht Zuvor noch in das Römisch-Germanische Museum im Kölner Dombunker. Das Dionysosmosaik ist ein sehr eindrucksvolles Kunstwerk aus alter Zeit: wir haben uns gewundert, mit welch feinem Kunstsinn den Römern bereits die Darstellung von Mensch, Tier und Pflanze gelungen ist.


Abends haben Trude und ich die Kleine Nachtmusik von Mozart angehört und dabei ein Gläschen Schokoladen Cocktail getrunken, wobei uns vier Zierkerzen Licht spendeten.


Dienstag, 4. Oktober 1949

Start zur Hochzeitsreise. Morgens trafen wir noch auf der Bonner Straße Fräulein Gertrud Schückes, meine Brautführerin, und dann ging's los über Bonn, Remagen, Andernach, Koblenz bis Bingen an der Mosel, wo wir bei Dunkelheit Rast machten und in einem Zimmerchen mit dem Blick auf die Mosel unsere Ruhe fanden.


Mittwoch, 5. Oktober 1949

Um 8 Uhr früh ging's weiter. Treis, Cochem, Traben-Trabach. Die Beine sind müde und schmerzen. Wir entschließen uns, die Mosel zu verlassen, da die Schlingen und Kurven der Moselstraße zu viel Umweg bedeuten. Wir steigen in den Hunsrück hinauf über Langkamp. Ein unendlicher Aufstieg. Sodann Weitermarsch nach Gonzerath. Starke Abfahrt nach Morbach. Wir stoßen auf die Hunsrückhöhenstraße und steigen auf nach Immert. Ein unendlicher Aufstieg. Müde und zerschlagen kommen wir in Immert, kurz vor Thalfang, an. Wir können uns nicht entschließen weiterzufahren und fallen in die Betten.


Donnerstag, 6. Oktober 1949

Morgens die restlichen 17 km über Thalfang geschafft.
Hermeskeil. Ein überaus herzlicher Empfang durch Tante Johanna, Kurt, Egon und Onkel Felix. Eine Flasche "1948er Zeller schwarze Katz" tut ihr übriges. Mit froher Laune setzen wir uns an den Mittagstisch. Welch herzliche Atmosphäre!
Abends Kaninchenfutter geholt. Onkel Felix hat 48 Kaninchen.


Freitag, 7. Oktober 1949

Ein gemütlicher, sonniger Tag der Erholung. Mutter Braß hat unsere Hochzeitsbilder geschickt. Sie sind grauenhaft schön.


Samstag, 8. Oktober 1949

Welche Ruhe und welch ein Frieden herrschen hier. Nachmittags haben Trude und ich im Park auf der Wiese gelegen, uns gesonnt und gelesen. Abends nach einem leckeren Abendessen habe ich Klavier gespielt und Tante Johanna sowie Egon und Kurt sangen dazu. Es war sehr schön und friedvoll und gemütlich.


Sonntag, 9. Oktober 1949

Nach dem Kirchgang sind Egon, Kurt, Trude und ich zu Onkel Josef, einem Schwager von Tante Johanna und Inhaber eines Musikaliengeschäfts gegangen, haben dort Schallplatten gehört und drei Stück ausgewählt, die Onkel Felix uns schenkt. Und zwar:
"Ich bete an die Macht der Liebe" sowie: "Wir singen für Dich", gesungen vom Don-Kosakenchor. Diese Platte wollen wir Trudes Mutter schenken. Dann die Kirchenchöre: "Regina coeli laetari" und: "Lasst uns preisen den Herrn", aus Cavalleria rusticana und den Hochzeitsmarsch und das Scherzo aus dem Sommernachtstraum von Mendelsohn. Wir sind begeistert.


Montag, 10. Oktober 1949

Trude, Egon und ich sind heute mit dem Rad - steile Abfahrt - nach Trier gefahren und haben römische (Porta Nigra, Kaiserthermen, Amphitheater Basilika, Römerbrücke) und mittelalterliche (Dom, vor Liebfrauen Matthiaskirche) Bauwerke besichtigt. Wir waren tief beeindruckt.

Um 17 Uhr fuhren wir mit dem Autobus nach Hermeskeil zurück.


Dienstag, 11. Oktober 1949

Heute Morgen sind wir über die Grenze ins Saargebiet gegangen - natürlich unter Umgehung der Zollschranken- und haben Liesel, Trudis Cousine, sowie deren Mann Edmund und ihren Sohn Heinz-Jürgen besucht. Angeregte Unterhaltung. Um 1/2 5 Uhr nachmittags kam Edmund von der Arbeit. Froher Empfang durch ihn. Abendessen bei Kaffee und Wein.


Mittwoch, 12. Oktober 1949

Etwas durchs Dorf gegangen (Nonnweiler). Nachmittags mit Edmund zurück über die Grenze. Von Franzosen angehalten. Ließ uns aber weitergehen. Herzlicher Abschied von Edmund.
Herzlicher Empfang bei Onkel Felix, Tante Johanna und Söhnen.


Donnerstag, 13. Oktober 1949

Abends gemütlicher Abend bei Onkel Josef und Tante Maria (Schwester von Tante Johanna). Deren Sohn Rudi, ein musikbegabter junger Mann musizierte und sang (Lieder von Schubert).


Freitag, 14. Oktober 1949

Abschied. Schade. Es hat uns gut gefallen in Hermeskeil. Wir gehen auseinander in dem Bewusstsein, gute Freundschaft geschlossen zu haben.
Abfahrt nach Trier mit dem Rad. Um 13.35 Uhr mit dem Zug nach Gerolstein, Ankunft 15.57 Uhr. Was hatte der Zug zu klettern, durch die Eifelberge. Aber besser er, als wir mit den Rädern. Von Gerolstein mit den Rädern Aufstieg nach Hillesheim durch schmutzige (Balsdorf) Eifeldörfchen. Dann auf glatter Straße über Wiesbaum nach Dollendorf. Um 1/2 8 Uhr abends Ankunft bei Onkel Hein und Tante Käthchen in Schloßthal. Herzlicher Empfang mit Bohnenkaffee und gutem Abendessen. Und dann in die Betten.


Samstag, 15. Oktober 1949

Mit Onkel Heinrich "auf der Burg" gewesen, auf den Ruinen einer durch napoleonische Truppen zerstörten Burg. Gemütliche Unterhaltung.


Sonntag, 16. Oktober 1949

8 Uhr früh Gottesdienst im Vellerhof. Eine herrliche Landschaft. Grüne, rote, goldgelbe Laubwälder, Sonne und Vogelzirpen, dann das rauhe "Krah, Krah" der großen schwarzen Raben.
Nachmittags Buttercremetorte. Tante Käthchen und Onkel Heinrich tun alles für uns.


Montag, 17. Oktober 1949

Der letzte Tag in Schloßthal. Abends Reibekuchen, dann habe ich Onkel Heinrichs Radio repariert. Er meint, jetzt wisse er, warum die Juristen so unheimlich wäre, nämlich, weil sie sich in allem verstünden.


Dienstag, 18. Oktober 1949

Wind und Fieselregen. Morgens 1/4 vor 10 Uhr Abschied und Abfahrt.
Über Blankenheim nach Tondorf. Von dort einen kleinen Abstecher nach Stulz, wo ich 1938 in Arbeitsdienst war. Ich hatte Mühe, den Lagerplatz wiederzufinden. Wo früher große, schöne und gepflegte Baracken standen, wächst heute Knieholz und Ginsterstauden. Nicht einmal die Steinsockel sind mehr auffindbar. Der Kasernenplatz ist fast unkenntlich durch wild wucherndes Unkraut und Gestrüpp. Die Transitpforte noch da.
So sah es 1938 aus. Der Untergang dieses Lagers als Sinnbild des Schicksals jener Regierung, die den Bau des Lagers befahl.

Über Münstereifel, Euskirchen ging's in schneller Fahrt bei etwas Regen nach Hause. Um 1/2 4 Uhr nachmittags kamen wir an. Mit echter Freude wurden wir empfangen. Insbesondere von Paul, der gar keine Ruhe mehr geben wollte. Wir mussten erzählen und ließen uns berichten. Abends tranken wir bei Kerzenschein (4 goldverzierte Hochzeitskerzen) Kakaolikör und Wein. Den Wein hatten wir bei der Hochzeit zurückgelegt für spätere Zwecke. Und unser Hochzeitswein schmeckte uns auch heute vorzüglich.
Dann spielten wir unsere neuerworbenen Schallplatten. Mutter war von "ihrer" Schallplatte begeistert.
Im Laufe des Abends kamen noch Karin und Matthias, mit denen wir den Abend beschlossen.


Montag, 19. Oktober 1949

Lange geschlafen. Danksagungskarten geschrieben. So sehen sie aus:
Karte
Am Vormittag mit Frau Krux unsere letzte Flasche Wein getrunken. Heitere Mittagslaune. Ein rechter Ferientag. Abends besuchte uns Herr Josef Berens. Wir haben mit ihm die Möglichkeiten besprochen, an eine andere Wohnung zu kommen. Magere Aussichten.
Bei Schallplattenmusik gemütlichen Abend verbracht. Später kamen Karin und Matthias zum üblichen Mittwochabendessen.


Dienstag, 20. Oktober 1949

Und jetzt hole ich Albumeintragungen nach.

Unsere Hochzeitsreise in einigen Bildern:

Allerdings mit dem Rad, nicht mit dem Wagen, aber darum nicht weniger schön.
Foto
Bonn
Karten von Remagen, Andernach, Koblenz, Burg Bischofstein, Cochem/Mosel, Traben-Trabach, 3 x Trier:

Remagen

Andernach

Koblenz

Burg Bischofstein

Cochem

Traben-Trabach

Trier, Kaiserthermen

Trier, Porta Nigra

Trier, St. Matthiaskirche

Und nun müsste ich eigentlich von allen Geschenken, Blumen und Glückwünschen schreiben, die uns zu unserer Hochzeit erreicht haben. Viele Freunde, Verwandte, Bekannte und Nachbarn haben uns erfreut. Die Boten gaben sich am Hochzeitstage die Klinke in die Hand; es ist unmöglich festzustellen, wer was geschenkt hat. Drum gelte ein Glückwunsch, wie er uns gebracht wurde und nachstehend überliefert wird, für alle die vielen vielen anderen.
Karte


Samstag, 29. Oktober 1949

Ich bin seit 21. Oktober bei der 2. Strafkammer beim Landgericht Köln. Es ist dies die sogenannte Jugendschutzkammer. Die dort vorkommende Materie ist zwar etwas einseitig; denn der immer wieder und allein vorkommende Strafparagraph ist 176 STGB. Aber die Kammer ist wegen der Kindervernehmungen sehr interessant; es werden an die Richter höchste psychologische Anforderungen gestellt. Ich bin mit den Richtern, dem Vorsitzenden LG Dir. Dr. Custor und dem noch ausbildendem Richter LG Rat Johannsmann recht zufrieden.


 

November

Sonntag, 1. November 1949

Allerheiligen. Trude, Hans-Helmut und ich sind zum Westfriedhof gefahren und haben Papa, sowie die Großeltern Trudes und Hans-Helmuts besucht.


Donnerstag, 17. November 1949

Frau Schiele hat nach einer Ruhepause von 48 Tagen wiederum ein neues schikanöses Manöver gegen mich gestartet. Ich wähnte mich ob der Ruhe der letzten Wochen schon überglücklich. Doch ich habe die Rechnung ohne meine Adoptivmutter gemacht. Sie droht mir nunmehr wegen rückständiger Miete und sonstiger Schulden mit Zahlungsbefehl und fordert mich erneut auf, in die Aufhebung der Adoption einzuwilligen. Sie hat sich auch der Mühe unterzogen, den Dezernenten der Adoptivabteilung beim ___ Köln, A.G. Rat Schlechter in Anspruch zu nehmen. Ihr neues Schlagwort, bei Nachbarn und Bekannten stereotyp ausgeplaudert, lautet: "Ich kann meinem Sohn das Brot nicht geben, aber ich kann es ihm nehmen, und das werde ich tun."
Welch erhabener Charakter einer mütterlichen Seele.
Von Anzug, Mantel, Schuhe und all den vielen Dingen, die noch bei ihr im Schrank hängen, spricht sie mit keinem Wort. Und ich laufe indessen mit abgetragenem Anzug und Schuhen.
Es ekelt mich, mehr zu schreiben.


Sonntag, 20. November 1949

Seit 15. Nov. ist Mutter Braß bei Tante Lieschen in Frielingsdorf. Sie wird wohl in einer Woche wieder kommen. Seit ihrer Abreise lebe ich Diät. Milchsuppe, Milchgriesbrei, Milchreisbrei, Milchsuppe usw. Eine leider notwendige Strapaze, um meinen Magen wieder in Ordnung zu bekommen.


Dienstag, 22. November 1949

Ein vielfacher Glückstag.
Morgens habe ich für Herrn Schell einen Prozess durch einen günstigen Vergleich zu einem guten Abschluss gebracht. Ich habe in der vor A.G. Rat Dr. Mehl stattgefundenen Beweisaufnahme bereits meine künftigen Anwaltstalente unter Beweis stellen dürfen.
Mittags lag ein sehr freundlicher Brief von Tante Johanna und Onkel Felix vor. Nachmittags sind Trude und ich zum Christkindchen in die Stadt gegangen und hatten für Hans-Helmut einen großen Märklin-Baukasten bestellt und anbezahlt.
Für Trude habe ich für den 21. Dez., den Halbjahreshochzeitserinnerungstag ein Amethystkollier mit dazugehörigem Ring erworben.
Ein Tag voller Freude.


Mittwoch, 23. November 1949

Nachdem ich in den letzten Tagen das Buch Stendhals: Die Kartause von Parma gelesen hatte, habe ich heute Mittag den Film gleichen Titels besucht, ein französisches Werk von großem Format. Interessant vor allem, zu beobachten, was dem Filmregisseur aus einem Romanwerk wichtig und effektvoll erscheint. Es sind doch zwei Welten, der Film und das Buch. Aber beide reizvoll und anregend.


Donnerstag, 24. November 1949

Heute Morgen, als ich mit Paulchen auf die Straße ging, damit er sich auslaufen könne, bekam Paulchen mit einem Mal einen Nervenkrampf, das ganze Köpfchen zitterte, die Augen standen starr. Ich hatte eine furchtbare Angst. Der Krampf legte sich schnell, aber Paul ist krank. Heiße Nase, Schwäche. Es ist mir so schlimm, als wenn ein Kind krank wäre. Mittags kam Mutter von Tante Lieschen zurück. Jetzt ist die Familie wieder beisammen.


Samstag, 26. November 1949

Mutter hat 50. Geburtstag. Und ich habe kein Geld, um ihr außer der Wolle, die sie schon Anfang des Monats bekam, und die Trude schon zu Ärmeln verstrickt hat in einen noch vorhandenen roten Pullover. Daher bin ich zu der Buchhandlung Peetz gegangen, wo ich 9 juristische Bücher seit 2 Monaten in Kommission stehen habe. Sie sind auch heute noch nicht verkauft. Ich habe sie nunmehr an mich genommen und damit viele Kölner Antiquariate abgeklappert. Der eine bietet mir für alle Bücher, nicht weil er sie haben will, sondern nur, weil ich sie geschleppt habe, DM 3,-. Der andere bietet mir den Altpapierwert nach dem Gewicht der Bücher. Schließlich habe ich in der Benesisstraße eine Buchhandlung angetroffen, dessen Inhaber mir 20,- DM gab. Ich war selig.
Gleich habe ich 1/4 Pfund Bohnenkaffee und einige Törtchen (Ananas, Picheler, Florentiner) für Mutter gekauft. Außerdem die Schallplatte: An die Musik (O holde Kunst) 5. Am Meer, von Schlußnuß gesungen. Es ist ein gemütlicher Nachmittag und Abend geworden. Karin, Frau Krux und Matthias waren auch dabei.
Morgens bekam ich bei Herrn Schell als Erkenntlichkeit für den gewonnenen Prozess ein großes Stück Rinderfilet, welches uns herrlich geschmeckt hat. Nachmittags brachte der Blumenhändler unserem Hans-Helmut einen schönen Adventskranz, den ich zuvor bestellt hatte.


Sonntag, 27. November 1949

1. Advent

Ein Kerzchen haben wir angezündet. Kastanien, Nüsse und Äpfelweihen die Weihnachtszeit ein.


Dienstag, 29. November 1949

Habe Mama einen sehr langen Brief geschrieben, in welchem ich nochmals den Versuch machte, mich mit ihr zu versöhnen. Habe im Hause am Treppenhaus, Speicher und Abortfenster die Verglasung übernommen. Abends mit Mutter und Trude für Trude ein Paar Schuhe gekauft.


Mittwoch, 30. November 1949

Hans-Helmut wird 9 Jahre alt. Er spart fleißig auf einem Postsparbuch, welches ich ihm vor kurzem eingerichtet habe. Mit Mutter und Trude in die Stadt gegangen. Weihnachtseinkäufe. Haben auch den Märklinbaukasten für Hans-Helmut abgeholt.


 

Dezember

Donnerstag, 1. Dezember 1949

Habe heute wieder für 15,- DM Bücher verkauft. Dann mit Trude ein blaues Kaffeeservice für 6 Personen gekauft, welches uns Mutter zu Weihnachten schenkt.
Morgens habe ich das Oberlicht unserer Haustür verglast.


Freitag, 2. Dezember 1949

Habe einen ganz ungezogenen Antwortbrief von Mama bekommen. Alle Versöhnungsversuche sind vergeblich.


Samstag, 3. Dezember 1949

Habe heute mein Überweisungsgesuch für die Staatsanwaltschaft geschrieben. Am 20. Dez. ist meine Zeit bei der 2. Strafkammer um. Ich war dort sehr zufrieden. Die Richter sind in Ordnung.
Abends bei Familie Faber. Mit Günter Nikolauspläne geschmiedet. Er soll am Nikolausabend als Nikolaus zu Hans-Helmut kommen und Richard als Knecht Rupprecht.


Sonntag, 4. Dezember 1949

Barbara. Sie hat Hans-Helmut 4 Schuhe mit Leckereien gefüllt, unserem Paulchen hat sie ein Stiefelchen voll Plätzchen gebracht, welches er gleich unter den Ofen schleppte und Trude bekam die Schallplatte: Intermezzo aus Der Bajazzo und Cavalleria rusticana.


Montag, 5. Dezember 1949

Nikolaus-Abend. Richard und Günter Faber haben sich verkleidet, Günter als St. Nikolaus und Richard als Knecht Rupprecht, und uns einen Besuch abgestattet. Der Besuch galt natürlich vor allem Hans-Helmut. Er war auch recht bange, vor allem hatte er einen großen Respekt vor dem Knecht Rupprecht, der mit einer Kette durch das Zimmer tobte. Günter, der einen Kaffeewärmer als Bischofshut aufgesetzt hatte, schwitzte derart, dass die zur besseren Tarnung angezogene Brille beschlug und er die Sünden im schwarzen Buch, die ich ihm vorher aufgeschrieben hatte, nicht mehr lesen konnte und teils etwas verlegen stotterte. Alles in allem aber ein sehr schöner, unterhaltsamer und für Hans-Helmut denkwürdiger Abend.


Donnerstag, 8. Dezember 1949

Habe Walther Staß in Deutz besucht, da er am 10. ins Examen gehen wird. Er ist trostbedürftig, da er allzu schwarz sieht und zu seinen eigenen Fähigkeiten und meinem Wissen nicht mehr das geringste Zutrauen hat.
Abends sind wir zu Großvater Braß gegangen, der sehr schlecht dran ist und infolge Altersschwäche auf die Hilfe von Großmutter ganz und gar angewiesen ist. Er selbst glaubt nicht mehr daran Weihnachten zu erleben. Wir reden ihm gut zu, aber sein Gesicht ist schon vom Tode gezeichnet. Es müsste schon ein Wunder ihn erretten. Opa ist 82 Jahre alt und sein Körper ist ehrlich verschlissen. Abgesehen von zeitweiligen Bewusstseinsschwächen ist Opa aber noch geistig rege und reagiert auf alle um ihn vor sich gehenden Dinge. Er fürchtet sich ein wenig vor dem Sterben, wenn er auch einsieht, dass ihm sein geschwächter Körper von Tag zu Tag mehr eine untragbare Last wird. Schade ist nur, dass Großvater in so armseligen Verhältnissen sterben muss, nachdem er ein Leben der Fülle in Glück und freudiger Pflichterfüllung hinter sich gebracht hat. Der Raum, in dem er krank darnieder liegt, hat keine Fenster und keine Decke. Alles ist mit Dachpappe verschlagen. Und das für einen Menschen, der nur im Wohlstand leben durfte.


Samstag, 10. Dezember 1949

 

 


Dienstag, 13. Dezember 1949

Habe heute früh Mama einen Glückwunschbrief anlässlich ihres Namenstags geschrieben. An mir soll die Wiederverständigung mit Mama nicht scheitern.
Vormittags habe ich in der Arbeitsgemeinschaft für Referendare eine Klausur geschrieben. Dabei erfuhr ich, dass Walther Staß im Examen durchgefallen ist. Wirklich bedauerlich. Zumal Walther ohnehin schon nicht den rechten Beruf gewählt zu haben scheint.
Abends habe ich von Großvater, der heute Mittag in einem Sarge im Zimmer der Großeltern aufgebahrt wurde, Photoaufnahmen gemacht als letzte Erinnerung.
4 Fotos


Mittwoch, 14. Dezember 1949


Großvaters Aufbahrung in der Leichenhalle des Westfriedhofs
Heute haben wir Opa beerdigt. Der Kölner Sängerkreis gab das letzte Geleit mit herrlichem Gesang.
Am Beerdigungstage nahmen wir abends diese folgenden Bilder auf:


Sie waren im Grunde Verlegenheitsaufnahmen, da wir den Film mit den Totenaufnahmen Opas schnell zu Ende knipsen und zum Photographen bringen wollten. Und dennoch sind die Bilder recht schön geworden. D.h. die Blitzlichtstarraugen waren nicht zu vermeiden. Und ich bin auch reichlich ungekämmt. Ansonsten geht es.


Donnerstag, 15. Dezember 1949

Hatte heute wieder Sitzung mit der 2. Strafkammer. Eine Sache stand an. Angeklagter ein Akademiker, Sadist. 2 Jahre Gefängnis. Ein schweres, schwieriges Urteil.
Von Onkel Felix und meiner leiblichen Mutter kamen heute recht schöne Briefe.


Freitag, 16. Dezember 1949

Von Herrn Schnell habe ich heute DM 50,- als restliches Honorar für meine Prozesstätigkeit erhalten. Ein begehrtes Bakschisch zu Weihnachten. Habe Mama eine Geburtstagskarte geschickt. Sie wird morgen 66 Jahre alt. Habe darin geschrieben, ich wünsche ihr noch recht viele Jahre in Gesundheit und Segen, und Gott möge ihr Frieden geben, damit die Tür, die in ihrem Wesen verschlossen ist, wieder aufgetan werde. Wie oft habe ich das schon gewünscht.
Gestern Abend habe ich Tante Maria (Mumm) in Marienburg den bei ihr ausgeliehenen Pelzmantel und Hut zurückgebracht. Hatte eine angeregte Unterhaltung mit Onkel Toni über Börsenspekulation und Glücksspiele, z.B. in Bad Neuenahr.


Sonntag, 18. Dezember 1949

4. Advent

Auch unsere Stadt rüstet sich zur Weihnacht. Das Bild stammt zwar aus früheren Jahren, dieses Jahr hat es noch nicht geschneit. Jedoch der Tannenbaum steht auch in dieser Adventszeit vor unserem Dom.

Abends haben wir zusammen gesessen und Weihnachtsgedichte vorgelesen und gesungen.


Montag, 19. Dezember 1948

Heute vor 26 Jahren wurde Mutter Braß standesamtlich getraut. Aus diesem Anlass haben wir Mutter einen Kaffeeuntersatz kombiniert mit Deckelhalter geschenkt.


Mittwoch, 21. Dezember 1949

Heute vor einem halben Jahr haben Trude und ich standesamtlich geheiratet. Ich habe Trude die Schallplatte "Zwischenspiel aus Notre Dame" von Schmidt und "Valse Triste" von Sibelius sowie ein halbes Pfund Speck geschenkt. Letzteres hatte sie sich schon lange gewünscht, um "einmal nur" zu essen.


Freitag, 23. Dezember 1949

Christkindchen trifft seine Vorbereitungen und unser Wohnzimmer ist für Unberufene verschlossen. Was mag wohl hinter der Tür vor sich gehen? Hans-Helmut kann vor Spannung nicht einschlafen und ist morgens der Erste wach.


Samstag, 24. Dezember 1949


Sonntag, 25. Dezember 1949

Weihnachten 1949

Ein welch friedliches Fest feiere ich in diesem Jahr im Gegensatz zu mancher Weihnacht der Vorjahre. Ich bin verheiratet und darf das Fest im Kreise einer friedfertigen Familie, zu der ich nun auch gehöre, mit begehen. Welch wesentlicher und wohltuender Unterschied zu den Weihnachtstagen der letzten 10 Jahre. Ich habe dem Friedensfest der Weihnacht zuliebe versucht, auch Liebe zu spenden und habe Mama zu Weihnachten eine Glückwunschkarte geschickt. Auch habe ich meiner wirklichen Mutter zur Weihnacht geschrieben und ihr ein Kästchen mit Seife aus Kölnisch Wasser gesandt. Und viele andere wurden mit meinen Glückwünschen bedacht. Könnte ich doch nur noch mehr tun. Ich hätte so gern ein armes Kind beschert. Aber dazu reicht mein eigenes Einkommen leider bei weitem nicht aus. Und es scheint auch so, so Gott will, als ob Trude und ich beim nächsten Male das eigene Kind beschenken dürften. Das tun wir natürlich noch am allerliebsten. Wäre es nur schon so weit.
Morgens kamen Richard und Günter Faber, um das Fest anzusagen. Sie haben sich gleich am Bau eines Krans beteiligt. Der Märklinbaukasten macht viel Freude. Nachmittags haben Trude, Mutter und ich dem Wein zugesprochen.
Wir verbrachten einen sehr schönen Nachmittag und Abend unter dem Weihnachtsbaum, während Hans-Helmut immer wieder mit Stolz auf all die vielen Dinge hinwies, die das Christkind ihm gebracht hatte. Es waren allein 6 Teller mit Leckereien, die er bekommen hatte. Bei der Großmutter hatte das Christkind ihm eine große Stabtaschenlampe gebracht. Nunmehr ist er außer sch vor Freude. Paulchen, unser Hündchen, hat vom Christkind ein Halsband mit Leine und einen Teller voll Nascherei bekommen. Den Teller nimmt er kaum noch zur Kenntnis. Er ist zu durchgegessen.


Dienstag, 27. Dezember 1949

Heute habe ich meinen Dienst bei Staatsanwalt Dr. Gierlich angetreten, nachdem ich vom 21.-23. auf der Geschäftsstelle, und am 24. mich auf dem Strafregister vorgestellt hatte. Der Staatsanwalt, vor dem die Referendare warnen, ist privat erträglich, dienstlich aber "ein scharfer Hund".


Mittwoch, 28. Dezember 1949

Morgens habe ich eine kurze Unterweisung auf dem Strafregister erfahren, weil der 24.12. zu schade dafür war.
Nachmittags kam Walther Staß zu Besuch. Trude und Mutter schliefen, ich war dabei, zu spülen. So hat er mich auch mal als Ehemann kennen gelernt. Er ist über das nicht bestandene Examen doch sehr verbittert.
Abends besuchen wir, Trude, Mutter und ich, Egmont von Goethe. Die schauspielerischen Leistungen waren gut. Jedoch die Musik war mäßig. Es ist aber auch möglich, dass wir durch unsere Schallplatten schon etwas anspruchsvoll geworden sind. Immerhin hat uns die Aufführung im Ganzen gefallen.


Donnerstag, 29. Dezember 1949

Abends statteten Trude und ich der Familie Faber einen Besuch ab. Es ging dort wieder recht freundlich und anregend zu und bei gutem Kaffee wurde die Weltgeschichte etc. durch den Kakao gezogen. Schließlich entschlossen Herr und Frau Faber sowie Trude und uns auf Anraten Richards hin, den Film Dschungelbuch aufzusuchen. Wir hatten's nicht zu bereuen. Eine ausgezeichnete farbenfreudige realistische Verfilmung des Dschungelbuchs von Kipling.


Freitag/Samstag, 30.-31.12.1949

In der Nacht wurde ich über Schüttelfrost wach. Ich fror am ganzen Körper und war auch mit den Nerven fertig. Trude machte mir Fliedertee und ich schwitzte wie ein Bär.
Am 31. im Bett gelegen. Mit Trude 1/2 l Flasche Arrak leer gemacht. Ich fühle mich wohler.
Abends kamen Matthias und Karin zum Sylvester. Ich lag auf dem Sofa und alle tranken wir Punsch, heißen süßen Rotwein mit Rum. So warteten wir dem Zwölf Uhr Glockenschlag entgegen. Schließlich war's soweit.
Prost Neujahr!
Die Glocken ertönten und kündeten den Beginn eines Neuen Jahres und eines neuen Halbjahrhunderts.
Heute vor einem Jahr, in dieser Stunde, haben Trude und ich uns verlobt. Genau vor einem Jahr wurde dieses Buch begonnen. Freud und Kummer ist darin festgehalten. Aber wenn ich recht schaue, dann ist's doch wohl mehr Freude. Das Jahr brachte unsere Verlobung, die kirchliche Trauung von Matthias und Karin, unsere standesamtliche und kirchliche Trauung, meine Referendarernennung, auch den Tod Opas und den Zwist mit meiner Mutter, der hoffentlich im Neuen Jahr ein Ende findet.
Im Übrigen: Es war ein glückliches Jahr.