Die übrigen Bau- u. Kunstdenkmäler.

1. Die Gertrudkirche

Die Zeit der Erbauung ist unbekannt. Wir haben in Pommern mehrere Kirchen dieses Namens. Bei Treptow a. R. liegt vor dem Geifenberger Tor eine Gertudkapelle, die aber ihrer ganzen Bauart nach zu einer andern Gruppe gehört. Abweichend von der bei den kirchlichen Bauten des Mittelalters sonst vorherrschenden Hauptform, die wir bei der Marienkirche kennen lernten, finden wir in Pommern einige Polygonalkirchen z. B. die Gertraudenkapelle in Köslin und die Gertrudkirchen von Wolgast und Rügenwalde. Von diesen gebührt durch Schönheit in der Entwicklung der inneren Architektur Ausstattung und Durchbildung in ihrer Anlage unbedingt der Preis der Rügenwalder Gertrudkirche, man kann sie getrost als ein Juwel unter den norddeutschen Kirchenbauten bezeichnen.

So mancher schüttelt verwundert den Kopf, wenn er diese einzigartig schöne Kirche zum ersten Male auf dem Kopfberge liegen sieht. Auf einem nicht allzu hohen 12 teiligen Unterbau mit abwechselnd breiten und schmalen Seiten erhebt sich ein mit Ziegeln gedecktes Zeltdach das einen genial erdachten Übergang zu einem außerordentlich hohen und schlanken Dachreiter mit Schindeldach und Verkleidung trägt. Vergebens forschen wir nach einem ähnlich zweiten, vergebens ist es auch, seinen Stifter, Baumeister und seine Baugeschichte ergründen zu wollen. Die einzigen erhaltenen Urkunden aus mittelalterlicher Zeit bestehen aus 6 Faszikeln im Rügenwalder Depot beim Stettiner Staatsarchiv, die hauptsächlich Kirchenrechnungen enthalten.

Kugler meint, die Wolgaster und Rügenwalder Kirche "sind Gebäude der Art, welche die Engländer als Heilige-Grab-Kirchen benennen und die man gewöhnlich als Nachahmungen der Kirche des h. Grabes zu Jerusalem betrachtet." - "Es wird behauptet, die Wolgaster Kirche sei von Herzog Bogislav X. nach seiner Rückkehr aus dem gelobten Lande erbaut worden." Bei der Rügenwalder kommt er zu dem Schluß, daß die Gewölbebildung dem 15. Jahrhundert anzugehören scheine "und die somit auf die Vermutung leiten könne, daß die Kirche etwa von König Erich zum Gedächtnis seiner Wallfahrt ins gelobte Land erbaut worden sei." Diese Annahme wird unterstützt durch den Umstand, daß mancher Sachverständige behauptete, die Kirche weise in einigen Bauformen unbedingt auf nordische Einflüsse, vielleicht sogar auf einen nordischen Baumeister hin. Auf Bornholm finden sich in der Tat einige so genannte "Festungskirchen", deren Bauart der Rügenwalder ähnelt. Zwei Sagen über ihre Erbauung bringen uns auch nicht einen Schritt näher, sie suchen den Namen "Gertrud" zu erklären und handeln von zwei Fürstinnen dieses Namens, die nach schrecklichem Sturme glücklich am Kopfberge landeten und aus Dank diese Kirche erbauten. Einen furchtbaren Sturm hatte nach Kantzow auch König Erich durchzumachen, als er 1449 hier ankam, und 1497 scheiterte wirklich ein Schiff am Kopfberge. Damit wären wohl alle Momente erschöpft, sie ergeben nichts als Vermutungen über ihre Entstehung.

Den Namen führt die Kirche nach St. Gertrud, einer Tochter Pipins von Landen, geb. 626, ward sie 647 Nonne und leitete das neu gegründete Kloster zu Nivelles in Brabant, gest. 659. Wegen ihrer großen Mildtätigkeit gegen Bettler und Wandernde wurde sie heilig gesprochen und in der Folgezeit die Schutzpatronin der Wanderer, und da nach altem Volksglauben die Geister der Toten ruhelos umherirren, bis der Leib der Erde übergeben ist, auch der Toten. Daher erklärt es sich auch, weshalb wir Gertrudkirchen auf Kirchhöfen finden. Nur einheimische Bürger und ihre Angehörigen durften um St. Marien begraben werden. Geringe Leute, Dienstboten, die Angehörigen des Scharfrichters und auch Soldaten fanden ihre Ruhestätte außerhalb der Stadtmauer auf dem "Kopfberg-Kirchhof". Wenn Handwerksgesellen von einem Orte schieden, dann tranken sie St. Gertruds-Minne. Auch Patronin der Feldfrüchte und Heilige gegen die Mäuse war Gertrud und ihre Attribute die Lilie und der Spinnrocken.

Die älteste Nachricht über diese Kirche findet sich in dem Gedichte "von dem groten Storme in Pommern" 1497. Dort heißt es: Dat drüdde Schiff quam ever das Scharlacken (Wiesen zwischen Kopfberg und Rügenwaldermünde) up dei Hauven nach St Gertrud. Damals also stand sie schon. Dann gibt Nachricht die Matrikel der 1539 von Herzog Barnim XI. geleiteten Kirchenvisitation. Darin wird unter den Kapitalien des Reichen Kastens aufgeführt: "3. Summen tho S. Gertruden verordnet gewest". 1620 wird angegeben, daß zu dem Gehalt des Concapellan (3. Geistlicher) 18 fl. ans der Kasse von St. Gertrud genommen werden sollen. Das ist wieder bis 1676 die einzige Nachricht, wenn wir nicht zwei andere Zeugen hätten. Der eine ist die Lubinsche Karte, der andere der Bau selbst. Der Bau von St. Gertrud weist auf der Stadtansicht einen Turm mit Dach, Dachreiter und welscher Haube auf. Wir können uns leicht selbst überführen, wenn wir auf steilen Leitern das Kirchendach von innen ansehen. Da finden wir über dem sechsseitigen regelmäßigen Hauptraum einen ebenso großen sechsseitigen Aufbau, eine so genannte Laterne, die auch noch die Fensteröffnungen hat, und in der eine Glocke hinreichend Platz hatte. Diese sechsseitige Laterne ist durchaus wohlerhalten und so fein konstruiert, daß sie noch heute das ganze Gebälk des Schindelreiters trägt. Durch Blitz oder Feuer wurde dann der Dachreiter zerstört, die Laterne mit der Glocke, die später nach St. Jürgen kam, blieb aber verschont. Auch das Innere der Kirche wurde in Mitleidenschaft gezogen, denn sämtliche Ausstattungsstücke weisen auf die Zeit nach dem 30 jährigen Kriege. Da man auf äußerste Sparsamkeit angewiesen war, setzte man auf den Unterbau einfach ein Zeltdach mit dem schlanken Dachreiter. So wird uns das eigenartige Aussehen des Baues verständlich.

Die Einnahmen der Kirche waren gering, Kapitalien fast gar keine vorhanden. Die Verwaltung der Einnahmen, die sich aus geringen Zinsen, den Gebühren für Grabstellen und Kirchengestühlen und dem Klingelbeutel zusammensetzten, stand unter 3 Provisoren, von denen einer dem Rate und zwei der Bürgerschaft angehörten. So betrugen z. B.

1676 Einnahme 151 Tlr. 2 Gr. 23 Pfg.
Ausgabe 107 Tlr. 3 Gr. 9 Pfg.
und 1718 nur Einnahme 32 Tlr. 19 Gr. 22 Pfg.
Ausgabe 31 Tlr. 2 Gr. 12 Pfg.

Dabei finden sich ständig Monita wegen Grabgeldes. In der Kirche selbst wurden auch Standespersonen und Kinder beigesetzt. So findet sich 1748 "Notar Grützmacher 1 Tlr. für ein eingewölbtes Kind." Diese Gewölbe fanden sich nicht nur unter dem Kirchenraum, sondern auch unter den späteren Anbauten und mußten 1912 bei der Tieferlegung des Bodens zugeschüttet werden.

Über den Umgang mit dem Klingelbeutel erhoben sich immer wieder Streitigkeiten, so daß derselbe mehrmals obrigkeitlich geregelt werden mußte. Es wurde z. B. bestimmt, daß

1741 die Zimmerleute, Töpfer und Maurer,

1742 die Kürschner, Tischler, Weißgerber und Sattler,

1743 die Leinweber und Tuchmacher usw. mit dem Klingelbeutel gehen mußten.

Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts hatten die Gewerke, Zünfte und Behörden feste Sitze in der Kirche erhalten, wofür Sie neben dem Ankaufgelde auch das Gestühl und die anliegenden Fenster in gutem Zustande zu erhalten hatten bzw. sie renovieren lassen mußten An Emporen, Chore werden sie in den Akten immer genannt, bestanden das Amts-Schusterchor und das ihm gegenüberliegende Freye Chor, das die Kirche für solche Personen hatte herstellen lassen, die keinen festen Platz hatten, wozu auch die Tischler gehörten, weshalb diese 1779 an den Magistrat als Patron eine Beschwerdeschrift einreichten. Sie baten darin, daß sie zwischen den beiden Chören, also an Stelle des heutigen Orgelchors für eigene Rechnung für sich ein Chor anlegen dürften, was aber abgelehnt wurde. Darauf ließ die Kirchenverwaltung 1781 für 31 Tlr. 6 Gr. "dieses Gestühl sehr schicklich und zierlich mondförmig" für 24 Sitze anbringen und wies das neue Chor dem Magistrat an, um "das alte Magistrats-Chor von 14 Gefäße im gleichen das Gestühl der Magistrats-Damen von 6 Gefäße" anderweitig zu vermieten. Als bei dieser Gelegenheit das Fenster auf dem nunmehrigen Ratschor erneut werden mußte, weigerten sich Tuchmacher und Schneider, denen diese Pflicht oblag, den Betrag zu zahlen, da ihre Gestühle durch das neue Chor so verdunkelt seien, daß Sie nicht imstande wären, "einen Gesang im Gesangbuch recht darin zu lesen". Noch später kam die Orgel auf das Chor. In der Zeit vom 26. Mai bis 30. August 1860 wurde die Kirche ausgeweißt. Wände und die meisten Gestühle wurden mit einem weißen Anstrich versehen. Alte Leute erzählten mir noch in früheren Jahren, daß sie sich sehr genau darauf besinnen könnten, daß die Wände bemalt gewesen wären und daß das eine Feld des Innenraumes die h. Gertrud gezeigt hätte. Bei dieser Gelegenheit fühlte sich der Kommerzienrat Eduard August Hemptenmacher veranlaßt, der Kirche eine in der Orgelbauanstalt F. Fr. Schulze-Söhne in Paulinzelle erbaute Orgel zu schenken, die von Superintendent Stoessel eingeweiht wurde.

Nach diesem kurzen, auf dürftigen Quellen beruhenden Überblick über die Geschichte der Kirche, betrachten wir ihre Renovierung, die 1912 nach den Plänen des Professors Sackur, damals an der Danziger technischen Hochschule, ausgeführt wurde. Es galt dabei, das wertvolle Alte zu schonen und zu restaurieren, alles Wertlose aber durch Neues, dem Stile des ganzen Angepaßtes zu ersetzen, damit eine einheitliche Gesamtwirkung erzielt würde, eine schwere Aufgabe, die aber restlos gelöst wurde. Bevor ich darauf eingehe, müssen wir uns das Innere erst genauer ansehen.

Der sechsseitige Hauptraum hat Umfassungen, die auf sechsseitigen mit feinen Rundstabbündeln gegliederten Pfeilern und darüber gespannten Spitzbogen ruhen. Er wird von einem niedrigeren zwölf seitigen Umgang umgeben. Den Hauptraum überspannt ein schönes Sterngewölbe, der Umgang weist achtteilige Kreuzgewölbe auf. Der Mittelraum mit seinem eleganten Sterngewölbe wirkt überraschend schön. Dadurch, daß der Boden jetzt tiefer gelegt wurde, kommen diese herrlichen in die Höhe strebenden gotischen Bogen noch besser zur Geltung; aber eben durch diese Tieferlegung wurde die alte Klage um mehr Licht noch berechtigter. Man entschloß sich daher, unter den gotischen Fenstern des Umganges kleine runde, so genannte Ochsenaugen‘ anzubringen, wodurch die Ähnlichkeit mit den nordischen Festungskirchen noch größer wurde. Auch die 3 Türen in der Umfassung, über denen man noch alte Wandverzierungen findet, mußten erneuert werden. Der Einfachheit halber möchte ich sie Ost- und Westtür nennen, derjenigen unter dem Orgelchor aber den Namen "Mündertür" lassen.

Das Ausmalen der Kirche wurde dem Professor Kutschmann in Berlin übergeben, der als seinen Vertreter Herrn Leusch hierher sandte. Obgleich man unter der weißen Tünche auf alte Wandmalerei stieß, entschloß man sich doch, die Wände weiß zu lassen, weil Sonst der Eindruck der von oben bis unten mit Malereien bedeckten Wände ein verwirrender, niederdrückender statt ein erhebender gewesen wäre und die edlen Formen der Gewölbe nur schlecht zur Geltung gekommen wären. Zur linken Hand der Osttür findet der Beschauer aber eine Probe der alten Malerei. Wäre anstatt des weißen Tones im Anstrich vielleicht ein etwas gelblicher gewählt worden, würde der ganze Eindruck lebendiger, wärmer sein.

Bei der inneren Ausstattung fallen uns zuerst Kanzel und Altar im neuen Gewande auf. Der Altar war klein, sein Aufbau, aus Holz geschnitzt, umschließt mit einer Säulenarchitektur eine Darstellung des h. Abendmahles mit der Unterschrift: Pastus hic lotis paratus queis renasci contigit = "Dieses Mahl ist bereit den Getauften, welchen es vergönnt ist, wiedergeboren zu werden."

Das Ganze war roh übermalt und machte den Eindruck, als ob früher irgend ein Umbau dazu gehört habe. Man schuf deshalb einen gemalten Säulenartigen Hintergrund, aus dem die Figuren des Abendmahles jetzt in wirkungsvoller Weise hervortreten, nachdem man mit vielen Schwierigkeiten die rohe Übermalerei entfernt hatte. Woher der Altar stammt, darüber findet sich nichts.

Die Kanzel, schon bei der Schloßkirche erwähnt, (S. 18) ist ein Glanzstück der Holzarchitektur aus dem 17. Jahrhundert. Leider war Sie nicht nur roh übermalt und hatte sehr unter dem Zahne der Zeit gelitten, Sondern es hatten auch ungeschickte Hände bei der Überführung und Aufstellung sich recht wenig verdient gemacht, als Sie nach ihrem Gutdünken und Können eine Ausbesserung abgebrochener Teile versuchten. Heute sind alle Teile: Treppentür, Treppe, Kanzel, Unterbau, Schalldeckel, Wappen und Sakristei in ihren ursprünglichen Farben wieder hergestellt und die damals ersetzten Teile stilgemäß erneuert. Die Kanzel steht auf einer gut geschnitzten Engelsfigur, die Ihren Halt auf einer wappen-geschmückten Steinplatte findet. Der Kanzelkörper weist geschwungene Linien auf und zeigt in seinem oberen Teile 5 Felder mit den Bildern Moses, David, Daniel, Elias und Elisaeus, zwischen denen sich korinthische Säulen befinden, die oben Engelsköpfe tragen und unten auf hermenartigen Figuren stehen. An den Symbolen: Engel, Löwe, Stier und Adler Hesekiel 1,10 erkennt mau darin die 4 Evangelisten. Zwischen den Konsolen sind 2 Reihen portraitähnlicher Köpfe von Cartouchen umrahmt, angebracht. Nach alter Überlieferung soll der Kopf in der obersten Reihe unter dem Daniel das Portrait Schöpfers dieses Kunstwerkes vorstellen. Er ließ sich früher herausnehmen. Dahinter soll eine Urkunde gelegen haben, die über den Stifter und Künstler Auskunft gab. Leider war diese Urkunde schon verschwunden, als ich vor langen Jahren mich selbst überzeugte, daß der Kopf herausnehmbar war. Die Überlieferung will weiter wissen, daß all diese Köpfe auf Kanzel und Treppe Portraits des herzoglichen Hofstaates sind und daß der Kopf mit grünem Jägerhut unter dem Elisäus den Prinzen Christian von Schleswig-Holstein vorstelle. Möglich wäre es wohl. Vielleicht hätte die Urkunde darüber Auskunft gegeben. Außerdem sind an der Kanzel und der Treppe noch eine schier unübersehbare Menge von Engelsköpfen und Seltsam geschnitzten andern Köpfen angebracht. Die Treppe weist in der Außenwand ähnliche Gliederung und Schmuck auf. Die Nischen zeigen hier die Propheten Jonas, Abdias, Esaias, Jeremias und Ezechiel. Besonders fällt hierbei wohl die naive Darstellung von Jonas’ Walfisch ins Auge. Die Kanzeltür zeigt in ihrem oberen Felde das Bild des guten Hirten, darunter den Text : "Sum pastor bonus et sparsos revocare peragros missus, oves late, pectusos offerte periclis", Joh. 10. Ich bin ein guter Hirte - die untere Nische hat ein Bild des Bußpredigers Amos. Die Tür wird von 2 korinthischen Säulen mit Seitenstücken flankiert. Der Fuß der linken Säule zeigt Moses mit den Gesetzestafeln, derjenige der rechten eine Frauengestalt, die in der Linken ein bärtiges braunes Männerhaupt emporhält (Judith und Holosernes). Die Säulen tragen ein reiches Gebälk mit durchbrochenen Giebeln und einem kombinierten Wappen. Auch am Schalldeckel finden wir figürlichen Schmuck in reichstem Maße angewendet. Ihn krönt ein lehrender Christus. Die Umschrift lautet: Verbum Dei manit in aeternum (Gottes Wort bleibet in Ewigkeit). Die Verbindung zwischen Kanzel und Schalldeckel bildet das pommersche Wappen. Wenn Sonnenlicht durch die Scheiben bricht und seine Strahlen den weißen Untergrund, die reiche Vergoldung, die bunten Nischen und Köpfe umflimmern, macht das ganze den Eindruck überwältigender Schönheit. Die Seitenwand der Sakristei nach der Westtür weist im unteren Teile auch reiche Schnitzerei, darüber ein Gitterwerk mit der zweizeiligen Umschrift : "Der Mensch prüfe Sich selbst und also esse Er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch; denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das gerichte 1. Cor. 11. Das Predigergestühl der Kanzel gegenüber zeigt in neuer Malerei in 4 Feldern der Brüstung die Bilder von Luther, Paulus, Petrus und Melanchton. Am Pfeiler daneben steht ein alter Opferstock.

Doch wir wenden uns nun dem Zuhörerraum zu. Da fällt uns zunächst auf, daß sämtliche Bänke, dem Charakter der Kirche als Begräbniskirche entsprechend, dunkel gestrichen sind; dagegen zeigen die Brüstungen der Gestühle die mannigfachste Abweichung in der Malerei, die teils auf die Heilsgeschichte, teils auf die Geschichte der Kirche bezug hat. Das Hauptgestühl zeigt an der Brüstung die elf getreuen Jünger in Medaillenform mit ihren Symbolen und verjüngt sich nach hinten. Das linke Seitengestühl weist das Wappen der Stadt, der Brauer und Kaufleute 1733 auf und gehörte damals dem Magistrat, den Brauern und Kaufleuten. Zu beiden Seiten der Münder Tür sehen wir 2 Sondergestühle, links das Gittergestühl, ein alter Beichtstuhl für die Kirchenprovisoren und rechts mit allerlei allegorischen Bildern das der alten Tuchmacher- und Leinweberzunft. Allegorische Figuren weist auch das rechte Seitengestühl auf. Vier Engel an der Brüstung nach der Westtür tragen Symbole der Leidensgeschichte: das Kreuz, die Geißel, die Dornenkrone und Würfel. Dahinter fällt uns eine alte Bankwange der Schneiderinnung von 1593 auf.

Nunmehr wenden wir uns den 3 Emporen zu, oder wie Sie hier genannt werden, dem Frei-, Orgel- und Schusterchor. Das Freichor ist am 25. Mai 1764 erneuert worden, worauf die Inschrift hinweist :

Beschirm die Polizei
Und unseres Königs Thron,
Daß er und wir gedeihn,
Schmück all‘ mit einer Kron :
Die Alten mit Verstand,
Mit Frömmigkeit die Jugend,
Mit Gottesfurcht und Tugend
Das Volk im ganzen Land.
Richt unser ganzes Leben
Allzeit nach deinem Sinn,
Und wenn wir‘s sollen geben
In Todesrachen hin,
Wenn‘s mit uns hier sein aus,
So hilf uns fröhlich streben
Und nach dem Tod ererben
Des ew‘gen Lebens Haus.

Die andere Brüstung zeigt die 4 Evangelisten in neuer Malerei, darunter: "Im Jahre des Heils 1912, den 8. Mai." Das Orgelchor mit seiner "Schicklich und zierlich mondförmigen Brüstung" trägt die Orgel, die in ihrem ganzen Prospekt 1912 im Stile der Renaissancezeit erneuert wurde. Den Unterbau schließt die Inschrift ab:

"Lobet der Herrn in seinem Heiligtum,
Lobet ihn in seinen Taten,
lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit !"

Besondere Beachtung verdient das Schusterchor mit seinen alten Malereien, die bis 1912 durch Gedenkkästen mit versilberten und vergoldeten Kränzen fast vollständig verdeckt waren, wie ja auch die ganzen Wände bis oben hin diesen Schmuck aufwiesen. Heute sind davon nur einige zurückbehalten worden. Die eine Brüstung zeigt die Inschrift:

Anno 1655, den 31. May.
Dieses Chor haben die löblichen Ampts-Meister der Schuster wieder Renovieren lassen.

Anno 1734, den 24. Jung.
Alter Leute: Friedrich Ziegenhagen, Johann Heinrich Plate, Jürgen Riensberg, Gildemeister: Christian Linke, Paul Ehlert.

Die Füllungen darüber zeigen einen Engel oder einen Heiligen (Crispinus) mit einem Riefenstiefel und links und rechts Erzeugnisse der edlen Schusterzunft. (Meisterstücke ?)

Auf der andern Brüstung finden wir:

Gott zu Ehren und der Kirche zur Zierde haben dieses Chor stafieren laßen die Ehrbaren, deren Namen: Joachim Pinn, Martin Schuhmacher, Lorentz Mincke, Michael Rahteicke.

Anno 1670 d. 14. April.

Darunter: Dieses haben Renovieren laßen die ehrbaren Ampts-Schuster-Gesellen.

Anno 1734, den 2. Juny.

Auch hier in den Füllungen den Schutzpatron, aber ohne Flügel, und Gesellenstücke. (?)

Bevor wir unsern Rundgang vollenden, müssen wir uns noch einige der zahlreichen Epitaphien ansehen, die mit Ausnahme weniger auf dem Kirchenboden ein dunkles Dasein fristeten, aber 1912 auch eine fröhliche Auferstehung feierten. Vielleicht stimmt das eine oder das andere den aufmerksamen Beschauer, wenn er es mühsam entziffert hat, zum Nachdenken, warum die Alten gerade diesen Vorfall für wichtig genug hielten, der Nachwelt zu überliefern und immer wieder vor Augen zu stellen. Wir beginnen unsern Rundgang wieder bei der Osttür.

Links finden wir eins, das die Kreuzigungsgruppe aufweist. Vom Kreuze links sehen wir den Stifter mit seiner Familie und rechts 3 kleine Kinder, für die es gestiftet worden. Darunter steht:

"Dieses Epitaphium halt der Ehrenfeste, Fürachtbare und Kunstreiche Musikus Michael Stoltenberg, Wollbestalter Musicus instrumentalis hiesiger Stadt Rugenwald, und dessen Ehefraw, die Viel Ehr- und Tugendsahme Fraw Anna Havenstein in diese Kirche zum Gedächtniß Ihrer und ihrer Kinder, derer Sie etzliche allhin begraben ließ

Aufgerichtet den 10. Juli Anno 1660

Baruch IV, 19.

Ziehet hin, ihr lieben Kinder, ziehet hin! Ich aber bin verlassen einsam."

Das 2. Epitaph am rechten Pfeiler zeigt ein Vollschiff‘ darüber 3 gut gemalte Köpfe, 2 Mädchen und 1 Knabenkopf, "Ihnen zu Ehren aufgesetzt von den Mutterbruder Schiffer Christian Jacob Karsten Anno 1760."
Also wahrscheinlich das Schiff, das er gefahren.

Das 3. hängt am Pfeiler links vom Mündertor und hat eine rätselhafte, vieldeutige Inschrift, die zu allerlei Vermutungen Anlaß gegeben hat:

Halt Leser höre mich:
Mein Vater war bemüht,
den Rosenbusch zu brechen,
Der harte Todes-Dorn
Mein Leben abzustechen.
Sieh beides ist geschehen,
Gott ordnet seine Zeit:
Auch junge Leute sind schon
Reif für die Ewigkeit.
Drüm Alter fürchte dich!

Die Umschrift lautet :

Anna Elisabeth Gehrken.

Nata Anno MDCLXXIV den 30. November. Denata MDCLXXVIII den 7. Juli."

Michael Gehrke Chur Rügenwalder Amtsgetreuer. Am folgenden Pfeiler findet sich eines in Tempera-Malerei, das sich auf 2 kleine Kinder des Schlossers Peter Rathke 1679 bezieht. Zur linken Seite der Westtür hängt dann noch ein Kreuz mit einer kaum leserlichen Inschrift vom 26. März 1616. Frau Anna Christian Hansen hat es für ihren Sohn den Schmiedegesellen Christian Hansen aus Anlaß seines plötzlichen Todes gestiftet.

Damit schließen wir unsern Rundgang durch St. Gertrud, obgleich noch manches erwähnenswert wäre. Kunst und Handwerk in Rügenwalde reichten sich 1912 brüderlich die Hand, um in unendlicher Arbeit ein einheitliches Werk zustande zu bringen: St. Gertrud in neuem Glanze erstrahlen zu lassen.