Contergan

Nachwort

Während sich das Gesicht des Verbrechens im großem Stil in anderen Ländern unverhohlen und dreist durch Mord und Totschlag zeigt, gibt man sich bei uns smarter. Man raubt dem aufsässigen Opfer nicht sein Leben, man raubt
ihm seine Rechte. Macht es mundtot. Während man dem kriminellen Tun des Schädigers den Anschein der Legalität verleiht, verhöhnt man die Opfer mit der Miene des Bedauerns über einen scheinbar schicksalshaften Unglücksfall,
für den es keinen Verantwortlichen gibt. Wenn sich dann noch einige Betroffene einen Funken Selbstachtung und Gerechtigkeitssinn bewahrt haben und dennoch aufbegehren, werden diese als immerwährende Schreier und nörgelnde Querulanten diffamiert.

Die regelmäßig aus der Sicht von den Geschädigten zwangsweise Verwendung von sogenannten außergerichtlichen Schadensbegrenzungsinstrumentarien wie Vergleiche und Stiftungslösungen ist noch mehr als die ständige Einstellung von Strafverfahren eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates und ein sowohl sozialpolitisches wie markt- und volkswirtschaftliches Disaster.

Durch sie wird nicht der eigentliche Deliktsschaden begrenzt sondern lediglich die Inanspruchnahme der Schädiger durch die Geschädigten.

Während die finanzkräftigen Schädiger, nachdem sie ihren bei einer Vergleichs- lösung vereinbarten und bei einer Stiftungslösung gesetzlich bestimmten, im Verhältnis zum angerichteten Schaden geringen Ablaßbetrag gezahlt haben, nach einer kurzen Durststrecke wie Grünenthal heute wieder im Lichte hoher Gewinnspannen stehen, ringen die Geschädigten wegen des beruflichen, pflegerischen, schulden-, behandlungs-, hilfsmittel- und folgenschädenbedingten Mehraufwands um die Vermeidung des sozialen Abstiegs bis hin zum Existenzminimum.

Die zur Vermeidung des sozialen Abstiegs der Geschädigten aufzubringende Kostenlast aus den Töpfen des sozialen Netzes zahlt die Allgemeinheit durch entsprechende Abgaben.

Die gesellschafts- und rechtspolitische Dimension dieses eklatanten Mißstands zeigt sich in der erschreckend banalen Feststellung, daß es heutzutage für ein Unternehmen keine Gefahr darstellt, ein für den Verbraucher schädliches oder
sonst minderwertiges Produkt auf den Markt zu bringen, weil eine strafrechtliche und zivilrechtliche Verfolgung einfach ausbleibt.

Durch das Ausbleiben einer Verfolgung krimineller Vorgehensweisen von Wirtschaftsunternehmern wird empfindlich in die Dynamik des freien Marktes eingegriffen: Produkte von gewissenhaften Anbietern sind für den Verbraucher
nicht mehr erkennbar, weil sich die Gewissenlosen aufgrund der fehlenden Präzedenz-Judikatur den Anschein von Gewissenhaftigkeit verleihen können. Aufrichtige Anbieter werden verdrängt, weil sie ihre Produkte aufgrund ihrer
genauen Qualitätskontrollen gegenüber denen der Unaufrichtigen zu schwerfällig und kostenintensiv produzieren müssen. Wirtschaftlich schwächere Anbieter werden hierdurch gezwungen, es den Gewissenlosen gleichzutun. Ethisch labile Produzenten werden eingeladen, gewissenlos zu werden. Schließlich ist nicht mehr Marktführer, wer das sicherste und qualitativ hochwertigste Produkt herstellt, sondern der es an möglichst vielen Qualitätskontrollen vorbeiproduziert und dann auf Gedeih und Verderb rücksichtslos an den Verbraucher veräußert.

Die Gründe hierfür liegen nicht allein im geschriebenen Recht, sondern vor allem in der denkwürdigen Weigerung der höchstrichterlichen Justiz z.B. im Wege der Rechtsfortbildung Rechtsinstitute zu entwickeln, die den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Waffengleichheit im Prozeß auch für den Verbraucher zur Geltung kommen lassen.

Desweiteren sind sie im politischen Umfeld zu suchen, wo Lobbyismus allzuhäufig auf seiten der Abgeordneten mit vorbeugender Kumpanei zur Legalisierung sozialschädlicher Interessen der Wirtschaft verwechselt wird.

Wir brauchen ein umfassendes gesetzliches Instrumentarium, daß der Justiz den Spielraum verdeutlicht, den sie jetzt schon hätte, wenn die Phantasie der Richter nicht so sehr um ihre eigene Karriere als um einen konsequenten Schutz der Opfer ranken würde.

Hierzu gehören einschneidende Beweissicherungs- und Beweislastumkehrver- fahren bis hin zur Einrichtung einer generellen Gefährdungshaftung für die gesamte chemische Industrie.

In einem Rechtsstaat muß die Vermutung gelten, daß, wenn ein Unternehmen wissentlich die Gefahren eines seiner Produkte herunterspielt oder zu vertuschen sucht, die Verantwortlichen beim Auftreten von Schäden die Allgemeinheit zumindestens mit bedingtem Vorsatz schädigen wollten.

Anstatt Haftungshöchstsummen müssen Haftungsuntergrenzen und eine mit der Gewerbeerlaubnis verknüpfte Haftpflichtversicherungspflicht geschaffen werden, die sämtliche Schäden abdeckt. Ist das Unternehmen liquide, ist es hinsichtlich des Schadensfalles mit spürbaren Eigenleistungen zu beteiligen. Ist ein Produktrisiko nicht mehr zu versichern, muß dies als Indiz für die potentielle Gefährlichkeit des Produkts gelten. Es muß der Grundsatz gelten: Im Zweifel ist der Schädiger und nicht der Geschädigte zu enteignen.

Anwaltskosten müssen wie in Amerika erfolgsabhängig berechnet werden.
 

Den Betroffenen aller Pharmazie- und Chemieskandale rufen wir zu:

Verlaßt Euch auf Euer Gerechtigkeitsgefühl. Es ist allemal besser als das der Justiz. Laßt Euch nicht abdrängen. Laßt Euch nicht durch Jahre, Jahrzehnte, zermürben. Darauf spekulieren unsere Schädiger. Kämpft ohne zu taktieren.
Betrachtet Eure Niederlagen als ein weiteres Indiz für das allgemeine Unrecht. Bedenket, daß der Kampf um Euer Recht einen Beitrag zur Humanisierung dieser Welt darstellt. Und vergeßt nicht: Alles kann man uns nehmen, nur nicht unsere Würde und Selbstachtung.
 

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