Von den Noarch und der Schwertmeistergilde

von Robert Spahl

 

Es versprach ein Tag wie jeder anderer zu werden. Mit einem Seufzer ließ sich Francesco DiForgia in seinen Ledersessel fallen. Sein Blick wanderte über die Schriftrollen, Schreibfedern und Tintenfässer die vor ihm auf dem breiten Schreibpult standen. Das rote Licht des Herbstmorgens wurde von den violetten Vorhängen an den Fenstern gedämpft.

Wieso ich? murrte er. Pfui, kein anständiger Mensch sollte gezwungen sein sich mit diesem Zeug abzugeben.. Ein Kämpfer gehört unter den freien Himmel und nicht hinter ein überladenes Schreibpult. Nicht einmal einem Goblin oder Nagai würde ich so etwas wünschen. Manchmal wäre es mir lieber, der Rat hätte jemand anderes zum Hohen Meister der Schwertmeistergilde zu Aachen gewählt.

Er legte sein Schwert quer über das Pult. Das kühle Metall seiner Klinge beruhigte ihn etwas. Irgend jemand mußte diesen Papierkram ja erledigen. Er war gerade bei einer Beschwerde über eine Rauferei in der Taverne "Zum eisernen Vogel" angekommen, als ihn das Geräusch von polternden Schritten, zeternden Stimmen und scheppernden Waffen aufschreckte. Während seine Hand zur Klinge griff folgten seine Augen dem roten Teppich bis zur schweren Eichentür am anderen Ende des Raumes.

Augenblicke später senkte sich das Gezetere vor der Tür soweit, daß das dreimalige Klopfen bis zu ihm vordringen konnte. Immerhin gab es da draußen noch jemanden, der genug Selbstbeherrschung hatte, um die Regeln nicht zu vergessen. So ernst konnte die Angelegenheit also nicht sein. Seine Hand verließ seine Klinge, um ein wenig seinen Überwurf mit dem Wappen der Gilde geradezurücken.

"Herein!"

Der Anblick hinter der aufschwenkenden Tür sprach fast für sich selbst. Drei der vier Gestalten im Halbdunkel des Ganges waren ihm bekannt. Da war Tarin, der Novize, der ihm im Augenblick als Diener zugeteilt war. Neben ihm stand Johannes VonBern. Sein hochrotes Gesicht wirkte fehl am Platz auf seinem in Plattenrüstung gekleidetem Körper. Die Art wie er seinen Schnurrbart zwirbelte ließ erkennen, daß er sich zutiefst gekränkt fühlte. Bei diesem Anblick konnte sich DiForgia ein Lächeln nicht verkneifen. Wahrscheinlich hatte VonBern wieder jemanden zum Duell gefordert und dabei den Kürzeren gezogen.

DiForgia´s Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die Dellen und Scharten in VonBern´s Rüstung. Sein trainierter Verstand konnte den Ablauf des Duells fast rekonstruieren. Der Gegner war geschickt gewesen und hatte VonBern´s Schwäche auf der linken Seite früh erkannt. Er muß ein gutes Langschwert geführt haben. Einige Tropfen Blut auf der Unterarmschiene von VonBern ließen DiForgia´s Lächeln erstarren. Das ganze schien doch ernster zu sein als erwartet.

Er konzentrierte sich jetzt auf die anderen zwei Gestalten. Im Hintergrund wartete Henning DeVries, ein Schwertmeister aus dem Rat, seine Hände demonstrativ in den Gürtel verkeilt. Eine passive Haltung, die bei ihm bedeutet, daß er ausnahmsweise mal nicht darauf aus war, sich in den Vordergrund zu stellen. Eine kleine Falte um seinen rechten Mundwinkel deutete darauf hin, daß er die Situation genoß.

Die vierte und letzte Gestalt war es Wert, ihr etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ihr Schwert war von fast so ausländischem Aussehen wie ihre Rüstung. Die Kleidung erinnerte an einen Beduinen und das Gesicht ließ ihn zurückschrecken. Eine vorstehende Schnauze, einzelne Panzerplatten auf der grüngeschuppten Haut und drei dunkle Streifen als Kriegsbemalung. Bisher hatte DiForgia Geschichten über diese Wesen immer für Geschwätz gehalten, aber jetzt stand er einem gegenüber. Einem Echsenmenschen.

Er erinnerte sich daran, daß man erzählte, sie würden immer Kriegsbemalung tragen, wenn sie ihre Heimat verlassen. Ein wenig übertrieben, dachte er damals. Aber wenn man bedenkt, wie sehr schon Elfen um ihre Ohren fürchten müssen, wieviel mag dann ein Echsenkopf wert sein?

Ein paar Schrammen an ihrer Rüstung und eine leicht blutende Wunde auf der Wange der Echse bestätigten den Verdacht, daß dieses Wesen der Duellgegner von VonBern gewesen sein muß.

"DiForgia, dieses Unwesen hat mich niedergeschlagen und den Ruf der Schwertmeistergilde geschändet, es gehört bestraft!"

VonBern schien kurz davor, wie ein Feuerball zu explodieren.

"Das ist ein Frevel, der nicht ungesühnt hingenommen werden darf!"

"Mäßigt Euch, Schwertmeister VonBern."

DiForgia betonte den "Schwertmeister" so stark, daß allen im Raum die drei Regeln der Schwertmeistergilde zu Aachen wieder bewußt wurden, die für alle, Schwertbruder oder Schwertschwester, Novize, Kämpe oder Meister, gelten: Ein Schwertbruder/Schwester kämpft ehrenhaft, Er/Sie ist bescheiden und Er/Sie ist Freund jedes anderen Gildenmitgliedes.

VonBern, der die Rüge verstanden hatten, fing an zu Schnaufen wie ein Magierkessel, kurz bevor er überkocht. Fast drei Minuten herrschte Schweigen, bis sich VonBern wieder etwas beruhigt hatte und DiForgia das Wort ergrifft.

"Was ist geschehen?"

"Dieses Untier hat mich in niederträchtigster Weise beleidigt und dann im Kampf von hinten niedergeschlagen!"

"Das ist Euere Version, Schwertmeister VonBern." mischte sich das erste mal DeVries ein.

"Dann schildert mir Eure Version der Geschehnisse, Schwertmeister DeVries."

"Ich saß in unsere Taverne 'Zum gekreuzten Schwert' und wollte gerade den guten Schluck genießen, der vor mir auf dem Tisch stand, als sich die Tür öffnete und Gorsch den Raum betrat."

DiForgia hob eine Augenbraue.

"Gorsch ist der Name des Echsenmenschen."

"Weiter."

"Er sah mich nicht, da ich hinter dem Kamin Platz genommen hatte und die Augen der Noarch, der Echsenmenschen, sich nur langsam an das Dämmerlicht in Tavernen gewöhnen können. Bevor ich aufstehen konnte ging er an die Theke und fragte nach mir.

'Ich suche Henning DeVries, Schwertmeister zu Aachen.'"

"Ihr kennt Euch?"

"Ja, aber das ist eine längere Geschichte, die mit dem Schutz der etraklinischen Burg Kirson vor den Thaskariern zu tun hat."

"Bleibt beim Thema."

"Sehr wohl. VonBern fühlte sich bemüßigt, an meiner Stelle zu antworten.

'Das da will doch nicht etwa Mitglied in der Schwertmeistergilde werden?'

An einigen Tischen brach Gelächter aus.

'Ich suche Henning DeVries, Schwertmeister zu Aachen.'

'Ist das der einzige Satz den Du sprechen kannst, Froschgesicht?'

Langsam ging Gorsch auf VonBern zu, bis nur noch wenige Zentimeter ihre Gesichter trennten.

'Nein.' war alles, was er antwortete.

'Erstaunlich, findet ihr nicht auch?'

Wieder an einigen Tischen Gelächter. Gorsch´s Antwort ließ dann einige Verstummen.

'Ich hätte mir denken können, daß Ihr mir nicht helfen könnt, denn jemand mit Eurem Benehmen wäre in der Schwertmeistergilde wohl nicht gern gesehen.'

In der folgenden Stille konnte man erkennen, daß die Stimme von VonBern eine Tonlage höher klang.

'Das ist eine Frechheit! Ich fordere Euch zum Duell! Und wenn Ihr zu feige seid anzunehmen, dann ...'

'Wann immer Ihr wollt. Jetzt oder später?'

Da ich Gorsch schon länger kenne konnte ich das leise Zucken unter seinen Augen als seine Art des Lächelns erkennen. VonHorn und Baron Blackadder, die auch in der Taverne waren, sorgten dafür, daß das Duell nach den Regeln unserer Gilde stattfand. Nur Schläge mit der flachen Seite und keine Schläge zum Kopf. Immerhin sollte es ein Vergleich des Könnens unter Gleichgesinnten sein und kein Spiel um Leben oder Tod.

Den Kampf brauche ich Euch nicht schildern, Ihr könnt an den Schäden an den Rüstungen erkennen, wer die Oberhand hatte."

"Ich ..."

Ein scharfer Blick von DiForgia ließ VonBern wieder verstummen.

"Weiter."

"Als sich die Verhältnisse deutlich abzeichneten brach Von Bern die Regeln."

"Es hat zuerst unsauber gekämpft!"

DiForgia warf einen Blick auf Von Bern. Sein Blick war erhoben, aber er wagte es nicht DiForgia in die Augen zu sehen. Das konnte nur bedeuten, daß DeVries die Wahrheit sagte.

"VonBern schlug mit der scharfen Klinge nach Gorsch´s Gesicht. Wäre Gorsch nicht gerade noch ausgewichen und wäre die Haut der Norach nicht härter als die unserige, so müßten wir jetzt vielleicht einen Mordfall verhandeln."

"Das ist eine infame Unterstellung!"

"Weiter."

"Gorsch fegte VonBern die Beine weg und landete einen Schlag mit dem Schwertknauf in VonBern´s Nacken. Ich sah die Zeit gekommen einzuschreiten und die Kämpfer zu trennen. Dies alles brachte uns hier her. Vor der Tür stehen noch einige Zeugen, die ihre Version der Geschichte erzählen können."

DiForgia ließ alle ihre Geschichten erzählen. VonBern sprudelte seinen Haß nur so heraus, so daß DiForgia ihn mehrfach zu mehr Ruhe ermahnen mußte. Die Geschichten von Thomas VonHorn und Baron Blackadder, zwei zuverlässigen Mitgliedern der Gilde, sowie die Variante der zwei anderen Tavernenbesucher deckten sich deutlich mehr mit der Version von DeVries als mit der von VonBern. Im Endeffekt hatte DeVries die Tatsachen schon recht gut wiedergegeben. VonBern hatte wohl wieder seinen Anstand vergessen und war diesmal an den Falschen geraten. Die Schwierigkeit war jetzt, VonBern zu tadeln und sich bei der Echse zu entschuldigen, ohne das Ansehen der Gilde zu schädigen.

"Gorsch, woher kommt Ihr?"

Bisher hatte der Echsenmensch noch kein Wort gesprochen. Seine Stimme klang müde, doch es fehlte der zischende Akzent, den man von einer Echse erwartet hätte.

"Aus Noarch, Hochmeister DiForgia. Die Wüste Noarch liegt weit südlich von hier. Ich glaube ihr nennt die entsprechende Halbinsel Norok."

"Was führt Euch dann hier her?"

"Drei Dinge. Ich suche meinen Bruder Raschiid, der zusammen mit seinem Meister in Euerem Land verschollen ist. Und ich wollte meinen Freund Henning DeVries besuchen."

"Und?"

"Und ich will um die Aufnahme in die Schwertmeistergilde zu Aachen bitten."

DiForgia horchte auf. Das bot eine Chance.

"Ihr wißt, daß Ihr eine Probezeit durchhalten müßt, in der Ihr einem der Schwertmeister als Novize zugeteilt seid, der Euch zusammen mit einem weiteren Schwertmeister im Kampf unterrichtet?"

"Ja."

DiForgia begutachtete noch einmal die Schäden an VonBern´s Rüstung. Gorsch würde die Novizenzeit wohl schnell hinter sich lassen.

"Hiermit schlage ich vor, Gorsch als Novize in die Schwertmeistergilde aufzunehmen. Er wird Schwertmeister Henning DeVries zugeteilt und VonBern wird als Duellpartner seine Ausbildung mit fördern."

Gorsch und DeVries sahen sich an. DeVries lächelte. Und wenn es stimmte, was DeVries über das Lächeln von Echsenmenschen gesagt hatte, so lächelte Gorsch auch.

"Aber ..."

" Keine Widerrede, VonBern. Da es sich in diesem Fall um eine besondere Begebenheit handelt, werde ich für übermorgen Abend den Rat zusammenrufen. Dort habt Ihr noch einmal Gelegenheit, Eure Meinung durchzusetzen. Der Ratsbeschluß ist endgültig. Und bis dahin möchte ich von dieser Geschichte nichts mehr hören. Ihr könnt gehen."

Der dumpfe Schlag der Tür ließ DiForgia alleine zurück. Lächelnd ließ er sich in seinen Sessel fallen. Dem entsetzten Gesicht von VonBern nach zu urteilen, hatte auch er den Sinn hinter seiner Anordnung begriffen. VonBern wird sich höflichere Manieren angewöhnen müssen, oder Gorsch wird dafür sorgen, daß ihn nach jedem Training ein paar blaue Flecken an sein Fehlverhalten erinnern. Hoffentlich änderte sich VonBern ein weinig. Es fiel DiForgia immer schwer, ein Mitglied wegen Unbeherrschtheit aus der Gilde auszuschließen.

Ein Echsenmensch in seiner Gilde. Das hätte er sich auch nicht träumen lassen, als er vor 18 Jahren in die Gilde eingetreten war. Für ihn waren damals schon Elfen und Zwerge außergewöhnlich erschienen. Der Eintritt von Stoag, dem Ork, hatte jahrelange gildeninterne Streitereien ausgelöst, bis sich alle daran gewöhnt hatten. Hätte sich Stoag nicht als so vorausschauend und taktisch klug erwiesen, so hätte sich damals die Gilde möglicherweise gespalten. Aber jetzt ein Echsenmensch? Ob die Geschichten über die magische Begabung der Echsen wahr sind? Verkehren sie wirklich mitten unter uns, durch einen Tarnzauber geschützt? Vielleicht wird er jetzt mehr über die Noarch erfahren können.

Gelassen lehnte er sich in seinen Sessel zurück. Das Leben bietet doch immer wieder neue Überraschungen.

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