Das Stimmengemurmel war hinter dem Vorhang deutlich zu hören. Wie jedes Mal wartete die Marionette auch heute geduldig auf ihren Auftritt. Unendlich lange schon trat sie wieder und wieder auf die Bühne, und zeigte sich dem neugierigen Publikum. Was sie zeigte machte sie nicht glücklich, wurde doch jede ihrer Bewegungen bestimmt durch die Fäden, die an ihren Gliedern festgemacht waren. Längst hatte sie es aufgegeben, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
So trat sie auch heute auf die Bühne, ohne mit dem Herzen dabei zu sein, und gab den Zuschauern, was sie sehen wollten: Eine kurzweilige Vorstellung. Kaum einem fiel auf, dass das Lächeln der Marionette niemals ihre Augen erreichte, dass die Fröhlichkeit, mit der sie sang und tanzte nur aufgesetzt war. Nur zu gerne ließ sich das Publikum täuschen.
Nach der Vorstellung sank die Marionette hinter dem Vorhang in sich zusammen. Aber sie musste sich wieder aufraffen - die Zuschauer wollten eine Zugabe. Sie würde wohl nie verstehen, wieso die Menschen sich so blenden ließen. Also trat sie wieder vor den Vorhang.
Als sie ihren Tanz beginnen wollte, sah sie zu ihrer Verwunderung einen Mann im Zuschauerraum aufstehen und an den Rand der Bühne treten. Etwas metallenes blinkte auf. Erst konnte die Marionette nicht erkennen, was es war, doch schnell erkannte sie eine Schere. Panik erfasste sie. Was mochte der Mann mit der Schere vorhaben? Wie in Zeitlupe sah sie, wie der Mann die Hand mit der Schere hob, ihre Fäden griff, und einen nach dem anderen durch schnitt. Augenblicklich sank sie in sich zusammen. Das Publikum wurde unruhig; Stimmen des Protests erhoben sich. Hatte der Mann ihnen doch ihre Vorstellung verdorben, nun da die Marionette reglos auf dem Boden lag.
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© Gisela Schmitz-Roth |