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Bohuslav Martinů (1890 - 1959)

Es gibt nicht viele Menschen, die von sich behaupten können, an einem ungewöhnlichen Ort geboren zu sein, der darüber hinaus auch ihre berufliche Entwicklung nachhaltig beeinflusst hat. Der tschechische Geiger und Komponist Bohuslav Martinu gehört zweifelsfrei zu dieser Gattung Mensch.

Am 8. Dezember 1890 erblickte er das Licht der Welt in einem Kirchturm seines Heimatortes Policka/ Mähren. Sein Vater, ein Schuster, war Wächter dieses Turms, in dem die Familie auch wohnte. Die ersten 12 Jahre verbrachte Bohuslav an diesem ungewöhnlichen Ort. Als Siebenjähriger bekam er seinen ersten Geigenunterricht bei dem Schneider Jan Cernovsky und entpuppte sich schnell als außergewöhnliches Talent. Nachdem er 1900 seine ersten kompositorischen Versuche unternahm, wurde er sechs Jahre später nach Prag auf das Konservatorium geschickt, um eine Ausbildung zum Geigenvirtuosen zu erhalten. Manche sahen in ihm das Potenzial, ein zweiter Jan Kubelik zu werden. Doch schon 1910 erfolgte die Entlassung vom Konservatorium wegen ‚unverbesserlicher Nachlässigkeit'. Trotzdem bestand Martinu 1912 im zweiten Anlauf sein Violinexamen und trat ein Jahr darauf auf Vermittlung seines langjährigen Freundes Stanislav Novak der Tschechischen Philharmonie bei, der er dann bis 1923 angehörte. Er blieb von der Einberufung zur Armee und der Teilnahme am Ersten Weltkrieg aus medizinischen Gründen verschont und widmete sich statt dessen dem Komponieren und Unterrichten in seiner Heimatstadt Policka. Da Martinu bis zu diesem Zeitpunkt als Komponist Autodidakt war, nahm er 1922 Unterricht bei Josef Suk und ging 1923, auch um dem tschechischen Smetana-Kult zu entkommen, nach Paris zu Albert Roussel. Ganze 17 Jahre blieb er in Frankreich und machte sich mit den Eigenarten der französischen Musik, ihrer Klarheit, Ordnung und Balance vertraut. Der Niedergang des Impressionismus' Mitte der zwanziger Jahre brachte Martinu in Kontakt mit den neuen Strömungen französischer Musik, der Group Les Six, dem Jazz und natürlich Strawinsky.

In den 30er Jahren wiederum beeinflusste vor allem der Neoklassizismus Martinus kompositorisches Schaffen, was sich in Werken wie dem Concerto Grosso (1937) und dem Doppelkonzert für 2 Streichorchester, Klavier und Pauken (1938) widerspiegelt. Vor allem kammermusikalische Kompositionen entstanden in diesen Jahren, die aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Welt bevorzugt wurden. So schrieb er in diesen Jahren fünf Streichquartette, eine Cellosonate, verschiedene Lieder, Klavierstücke und drei Klaviertrios.

Nachdem Paris 1940 von den Nazis besetzt wurde, flüchtete Martinu zuerst nach Südfrankreich (Aix-en-Provence) und emigrierte von dort aus, unterstützt von Schweizer Freunden, 1941 mit einem Visum als verfolgter Intellektueller in die USA. Hier entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Serge Koussevitzky, der das Concerto Grosso uraufführte und die erste Sinfonie 1942 in Auftrag gab. Auch Mischa Elman, der wohl bedeutendste amerikanische Geiger der 40er Jahre, bestellte 1943 ein Werk bei ihm - das spätere zweite Violinkonzert. Nebenher unterrichtete Martinu an verschiedenen Hochschulen und nahm 1942 einen festen Lehrauftrag am Berkshire Music Center, Tanglewood, an. Seine ersten vier Sinfonien (1942-1945), auch Kriegssinfonien genannt, entstanden für amerikanische Orchester und sind von dementsprechenden Einflüssen stark geprägt. Frische Rhythmen und synkopierte Melodien sind verbunden mit einer organischen Entwicklung thematischer Figuren und einfacher Schönheit der Harmonik, die nur selten dissonant ausfällt.

Bis zum Kriegsende blieb Martinu in den Vereinigten Staaten und kehrte erst 1946 nach Europa zurück. Hier ließ er sich anfangs in Italien und Frankreich nieder, siedelte dann aber 1956 in die Schweiz über. Dort vollendete er seinen Stil, der, angeregt durch das tschechische Musikantentum und dem französischen Impressionismus, zu einer ganz eigenen, dissonant geschärften, polytonalen Musik wird.

Zu den wichtigsten Werken seiner letzten Lebensjahre gehören die Fantaisies symphoniques (6. Sinfonie) und die Frescoes of Piero della Francesca, die beide stark neoimpressionistische Züge tragen.

Bohuslav Martinu starb am 28. August 1959 im schweizerischen Liestal. Seine Musik beweist vor allem einen ungeheuren Sinn für Raum und reine Formen. Er selbst sah diese Fähigkeit in seinem Geburtsort begründet, jenem Kirchturm im mährischen Policka.

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