Hirntod als sicheres Todeszeichen
Aktuelle Auseinandersetzungen
Astrid Multhaupt, Thomas Stolpmann, Lars Wojtecki und Maria von Wulfen
aus: Kölner Universitätsjournal 2/98 S.35-36
 
Die Diskussion über den Status des Hirntodes als sicheres Todeszeichen ist ihm Rahmen der Debatte zur Verabschiedung des Transplantationsgesetzes zunehmend in der Öffentlichkeit besprochen worden.
Inwieweit unterschiedliche Standpunkte den "Hirntod" als den Tod des Menschen betrachten, wie dies die Bundesärztekammer bereits 1982 formuliert hat, oder ob an dieser Fragestellung aus ethischen, religiösen und naturwissenschaftlichen Gründen Zweifel anzubringen sind – zur Erörterung dieser Frage lud das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Studenten zu einem Blockseminar im Frühjahr 1997 in die Eifel ein.
Unter der Leitung von Prof.Dr.Dr.Bergdolt und Priv-Doz. Dr. Karenberg nahmen 17 Studenten und Studentinnen an diesem Blockseminar teil. Unterstützt wurde die Arbeitsgruppe von Herrn Dr.Dr. Schäfer , Assistent am Institut und von Herrn Dr. Hick , Lehrbeauftragter.

Auf Grundlage eines vom Institut zusammengestellten Readers, der die wesentlichen Arbeiten zur Problematik enthielt, diskutierten die Teilnehmenden in Form von Arbeitsgruppen und Themenforen mittels Rollenspiel , Pro-und Contra –Gesprächen und Plenum miteinander.

Angst vor dem Scheintod

Die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Todesdefinition und Todesfeststellung kann nicht losgelöst von ihrer Vergangenheit gesehen werden. Sie ist historisch bedingt durch Entwicklungen besonders in der Technik , der Medizin und der Philosophie.
Bis zum 18. Jh. Galten vorwiegend die fehlende Atmung und der ausbleibende Herzschlag als sichere Indikatoren für den Tod des Menschen. Diese Todeszeichen wurden jedoch seit Mitte des 18. Jh. In ihrer Sicherheit angezweifelt. Vermehrtes Interesse der Medizin galt todesähnlichen Zuständen , wie dem Koma, der Asphyxie , des Erfrierens oder des Ertrinkens. Die Grenze zwischen Leben und Tod schien sich nicht mehr allein aufgrund von Herz- und Lungentätigkeit festlegen zu lassen und es traten massive Ängste vor dem Scheintod auf . Fortschritte in der Biologie , Neurophysiologie und Anatomie warfen neue philosophische Fragen auf: Wann im Sterbeprozeß eines Menschen starb der Organismus als Ganzes ? Endete die Existenz eines Menschen mit dem Ausfall aller Organe ? Die massive Angst vor dem Scheintod trat Mitte des 19. Jh. zurück. Dies war bedingt durch gestiegenes Vertrauen in die Medizin , aufgrund verbesserter diagnostischer Möglichkeiten. Zum Ende des 19. Jh.
Konnten durch Fortschritte in der Reanimationstechnik die Herz- und Lungentätigkeit eines Patienten über Stunden weitergeführt werden, auch wenn die Hirntätigkeit bereits versagt hatte. Dieser Zustand des "Hirntodes" leitete einen neuen Komplex von Fragen und Ängsten ein.
Konnte der Hintod als der Tod eines Menschen definiert werden ?
1968 trat eine Ad Hoc Kommission der Harvard Medical School zusammen und legte den Hirntod als sicheres Todeszeichen fest. Durch diese Deklaration wurden neue Wege in der Transplantationsmedizin eröffnet. 1975 entstand in den USA der Vorschlag, dieses "Ganzhintodkriterium" auf ein "Teilhirntodkriterium" auszuweiten. Diese besagt, daß für die Feststellung des Todes nur diejenigen Hirnfunktionen erforderlich sind, die spezifische Bewußtseinsäußerungen vermitteln. 1981 verknüpfte die "President´s Commission" beide Kriterien zur "Todesdefinition" , die bis heute offiziell für die Begründung des Ganzhirntodkriteriums herangezogen werden. Dieses Konzept wurde 1982 von der Bundesärztekammer übernommen.

Der Hirntod - Erlöschen von Geist und Seele

Die Funktion des Gehirns ist von einer dauerhaften und ununterbrochenen Sauerstoffzufuhr abhängig. Wird die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn mehr als 10Min. unterbrochen, so sterben die Gehirnzellen ab und das Gehirn ist irreversibel geschädigt. Schon bei einer Unterbrechung von 5-10 Sekunden tritt ein Bewußtseinsverlust ein. Nur innerhalb einer Zeit von 3-8 Minuten , maximal jedoch innerhalb von 10 Minuten , besteht die Möglichkeit einer Wiederbelebung de Gehirns.
Wie Prof. Dr. Walte Haupt von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Köln im Rahmen der Vorlesungsreihe zur Ethik in der Medizin (WS 96/97) definierte , bedeute der Hirntod den vollständigen und endgültigen Ausfall aller Gehirnfunktionen. In diesem Zustand seien alle geistigen und seelischen Funktionen des Menschen endgültig erloschen.
Der Anblick des Hirntoten kann den Eindruck vermitteln , als würde dieser schlafen.
Die Gehirnfunktionen sind erloschen , die Gehirnzellen sind irreversibel geschädigt , die Herz-Kreislauffunktion und die Atmung werden mittels der Intensivmedizin aufrechterhalten.
Folgende diagnostische Schritte Schritte zur Feststellung des Hintodes sind festgelegt:
Voraussetzung zur Diagnose des Hirntodes ist eine primäre Schädigung des Gehirns. Ferner müssen Krankheitsbilder ausgeschlossen werden , die dem Hirntod ähnlich ,aber reversibel sein können.
Dies kann bei einem toxischen oder endokrinen Koma, einer neuromuskulären Blockade , einem Schock oder einer Hyperthermie der Fall sein.
Die klinischen Kriterien des Hirntodes sind : das Koma , der Ausfall aller Hirnstammreflexe und das Erlöschen des Atemantriebes. Durch eine erneute Untersuchung dieser klinischen Kriterien des Hirntodes innerhalb eines Zeitraumes von 12 Stunden kann der Hirntod endgültig diagnostiziert werden. Wahlweise kann das "Hirntodsyndrom" durch technische Zusatzmethoden elektrophysiologischer Art (EEG, evozierte Potentiale) oder durch Messung des Blutkreislaufs im Hirn (Angiographie, Szintgraphie, Dopplersonographie) endgültig bestätigt werden.
Jegliche diagnostische Schritte müssen von zwei unabhängigen und erfahrenen Ärzten erfolgen.

Zugrunde liegt das Menschenbild

Betrachtet man die verschieden Standpunkte, die jeweils aus naturwissenschaftlicher, philosophischer und religiöser Sicht die Hirntodefinition in ihrer Sichtweise unterschiedlich interpretieren, so fällt es zunächst schwer, sich durch das Dickicht scheinbar kontroverser Äußerungen einen Weg zu bahnen.
Ein Vier-Ebenen-Modell ursprünglich von Youngner und Bartlett (1983) und in Erweiterung von Kurthen, Linke und Moskopp (1989) dient dazu, Argumente zu kanalisieren und die Orientierung zu erleichtern. Die Vorgehensweise soll am Beispiel des "Herz-Kreislauf-Todes" näher erläutert werden:

1.Die Subjekt-Ebene: Hier lautet die Frage : Wer oder was stirbt ? Natürlich ist in unserem Falle der Mensch gemeint, doch muß nach bestimmten Attributen jenes Menschsein gefragt werden. Was macht den Mensch zum Menschen ? Unser Körper ? Unsere leiblich-geistige Ganzheit ? Ein körpergebundenes Bewußtsein ?
Beispiel : Der Mensch als körperliche GesamtheitDie

2.Definitions-Ebene : Steht ein Subjekt fest, fragt man : Wann ist das Subjekt tot ? Sicherlich in dem Augenblick, da eben jenes Attribut erlischt.
Beispiel: Das irreversible Erlöschen zentraler Organfunktionen , die zur Aufrechterhaltung des menschlichen Lebens zwingend erforderlich sind.

3.Die Ebenen der Kriterien: An dieser Stelle sucht man nach Kriterien, die das Erlöschen nachweislich belegen.
Beispiel : Irreversibler Ausfall der Herz-Kreislauf-Funktion

4.Die Test-Ebene: Gesucht werden Testverfahren, die ein erfülltes Kriterium eindeutig nachweisen.
Beispiel: Es gibt hier kein direktes Testverfahren zum Nachweis des irreversiblen Ausfalls dieser Funktionen. Die Irreversiblität kann jedoch als erwiesen gelten, wenn jeglicher Versuch der Reanimation gescheitert ist.

Findet dieses Modell Anwendung auf die Diskussion um den Hirntod , stellt man fest , daß die vorhandenen Argumentationen sich oft in verschiedenen Ebenen tummeln, hin und her springen und so schwerlich einen Beitrag zu diesem Thema leisten können. Will man das Für und Wider eins Herz-Kreislauf, Hirn- oder Teilhirntod-Kriteriums gegeneinander abwägen, so ist es zwingend erforderlich , sich Klarheit über das jeweils zugrundeliegende Menschenbild zu verschaffen (Subjekt-Ebene).
Nur wen unser Mensch-Sein in der leiblich-geistigen Ganzheit, mit dem Gehirn als zentrale Integrationsorgan dieser Ganzheit gesehen wird, ist das irreversible Erlöschen dieser integrativen Funktion als Kriterium für den Tod des Menschen logisch folgerichtig. Dem Herz-Kreislauf-(s.o.) bzw.Teilhirntod liegen wiederum andere Auffassungen des Menschen zugrunde.

Die unterschiedlichen Argumentationen wurden im Seminar erarbeitet und auf diese Vier-Ebenen-Modell bezogen. Dies hier im einzelnen darzustellen sprengt den Rahmen. Hier soll lediglich eine sinnvolle Struktur zur Diskussion vorgestellt werden, die es ermöglicht, die komplexe Problematik sinnvoll zu erfassen.