Der Brief ans Kollegium
- in Auszügen -

Umfrage zu "Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit"


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

anliegend finden Sie die Ergebnisse der Umfrage, die einer meiner SOWI Kurse der Stufe 11 durchgeführt hat.

Die Umfrage hat schon zum Zeitpunkt ihrer Durchführung zu einigen Diskussionen in den befragten Kursen geführt. Schülerinnen und Schüler haben mich persönlich angesprochen, auch einige von Ihnen.

Ich möchte deshalb auf einige Fragen eingehen, die in den Gesprächen immer wieder auftauchten:

Zur Anlage der Untersuchung

Die vorgelegten Ergebnisse wurden aus einer schriftlichen, anonym durchgeführten Fragebogenerhebung gewonnen. Befragt wurden alle Schüler/innen und Schüler der Stufen 10 bis 13. In die Auswertung gingen somit die Antworten von 357 Schüler/innen und Schülern ein, die Antworten der Ausländer haben wir bewußt herausgenommen. An der Repräsentativität der Umfrage kann es somit keinen Zweifel geben.

Zum Anspruch der Untersuchung und der Validität der Ergebnisse

Die in von einigen Kolleg/innen im Gespräch geäußerten Fragen, ob Schüler/innen
* aus einer Protesthaltung zum Thema "provozierend" geantwortet haben
* sich wirklich anonym fühlten, wenn Mitschüler/innen ihnen zugucken konnten
* sich innerlich selbst zensierten, weil sie nicht als "rechts" da stehen wollten und deshalb bestimmte Aussagen lieber "politisch korrekt" beantworteten, statt ihre Meinung zu sagen
sind berechtigt und wir können solche Verzerrungsfaktoren (in beiden Richtungen) nicht ausschließen. Ein Großteil dieser Einwände dürfte übrigens für jede Meinungs - und Einstellungsumfrage gelten, die nicht auf tiefenpsychologisch fundierten Interviews der Befragten resultieren.

Obwohl wir also keinen wissenschaftlichen Anspruch mit der Umfrage erheben wollen, bin ich der Überzeugung, dass die Erhebung soweit valide ist, dass sie als Basis für eine Diskussion über die angesprochenen Themen ernst genommen werden sollte.

Dass eine solche Diskussion und Auseinandersetzung notwendig ist, zeigen aus meiner Sicht die Ergebnisse.

Einige Bemerkungen zu den Ergebnissen

Wie Sie die Ergebnisse im Einzelnen bewerten, ist Ihnen selbstverständlich selbst überlassen. Ich möchte nur auf einige Aspekte hinweisen, die mir bemerkenswert erscheinen und die in den Grafiken z.T. nicht auftauchen:

* Interessant scheint mir die durchgängige Überschätzung des Ausländeranteils in Deutschland zu sein. Dieser beruht nach meiner Ansicht zum einen auf mangelnder politischer Information, reflektiert sicher zum zweiten die öffentliche Aufmerksamkeit, die dem Thema periodisch gewidmet wird. Ein dritter Aspekt scheint mir hierzu überlegenswert: Ausländer, wenn sie als solche erkennbar sind, fallen einem mehr auf als Deutsche. Insbesondere türkische Jugendliche - und das ist die Hauptgruppe, über die unsere Schüler/innen reden - treten zudem häufig in Gruppen auf. Diese subjektive Wahrnehmung führt auch zu einer quantitativen Überschätzung.

* In diesem Zusammenhang - wie auch im Hinblick auf die meisten anderen Ergebnisse - ist die Differenzierung nach Geschlechtergruppen erhellend: 35 % der 17 bis 18jährigen Mädchen und immer noch 22 % der 19 bis 20 jährigen Mädchen schätzen den Ausländeranteil auf z.T. weit über 20 %, aber "nur" 11 % bzw. 3 % der Jungen in diesen Altersgruppen. Das mag Ausdruck von geringerer politischer Interessiertheit der Mädchen sein, könnte aber auch daran liegen, dass Mädchen häufiger negative Erlebnisse mit - vorrangig türkischen oder anderen unterprivilegierten ausländischen - Jugendlichen machen als Jungen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Mädchen auf diesen vermuteten hohen Anteil an Ausländern, der ja auch als bedrohlich empfunden werden könnte, trotzdem mit einer geringeren Ablehnung gegenüber Ausländern reagieren als die Jungen.
Die in den Grafiken erkennbaren geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Einstellungen sind nicht überraschend - sie werden durch alle Untersuchungen zu diesem Thema bestätigt.

* Hinweisen möchte ich auf einen weiteren Aspekt, der ebenfalls nicht neu ist, sich aber auch in unseren Ergebnissen zeigt. Nicht nur hinsichtlich des Ausländeranteils, sondern auch bezüglich der Kenntnisse zum Holocaust, zeigt sich in allen Altersgruppen dass die Jungen besser informiert sind. Setzt man das in Beziehung zu den Einstellungen, dann bestätigt das, dass Einstellungsänderungen nicht alleine durch mehr Aufklärung zu erzielen sind.

* Die bei einem Viertel der Schüler/innen erkennbare deutliche Distanz bis Ablehnung gegenüber Ausländern wird in sehr vielen Gesprächen, die ich mit Schüler/innen geführt habe, damit begründet, dass sie Negativerlebnisse mit vornehmlich türkischen Jugendlichen selbst erlebt oder zumindest davon gehört haben. Sicher gibt es viele weitere Ursachen für diese Haltung. Doch, wenn wir die Schüler/innen da abholen wollen, wo sie "stehen", erscheint mir wichtig, wie wir aufbrechen können, dass aus diesen realen Erfahrungen eine allgemeine "Ausländerfeindlichkeit" wird.
Nach meiner Einschätzung ist der Kern dieser Auseinandersetzungen ein soziales und kein nationales Problem. Unsere Schüler/innen gehören in ihrer Mehrzahl der gehobenen Mittelschicht an und sind als solche aufgrund der entsprechenden Statussymbole auch erkennbar. Die offensichtlich vorhandene Aggressivität von Teilen türkischer Jugendlicher ist sicher u.a. (auch hierfür gibt es sehr viel mehr Gründe) ein Ergebnis von Sozialneid, was sie nicht rechtfertigt, um da nicht mißverstanden zu werden. Dies den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln ist nach meiner Erfahrung ausgesprochen schwierig, weil sie dann ihre eigene privilegierte Stellung zur Kenntnis nehmen müßten.
Ich wünsche mir eine heftige Diskussion.

Mit kollegialem Gruß

Renate Bonow

P.S. Die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil unserer deutschen Schüler/innen deutliche Vorbehalte gegenüber Ausländern formuliert, wird auch unsere ausländischen Schüler/innen beschäftigen. Meine persönliche Konsequenz ist, dieses Problem offen anzusprechen. In dem Kurs, der die Untersuchung durchführte und in dem eine Deutsch-Französin, eine Österreicherin, ein Deutsch-Holländer, ein Deutsch-Engänder, eine Iranerin sowie zwei Türk/innen sind , gab es folgende Reaktionen: Die Gemischt - Staatler und die Österreciherin fühlten sich nicht angeprochen. Die Türk/innen sagten, sie hätten die Ergebnisse so erwartet und wären daran gewöhnt!. Die Iranerin hatte die Haltung vermutet, war aber doch erschrocken über das Ausmass. Das Gespräch war auch deshalb wichtig, weil die deutschen Schüler/innen durch den Perspektivwechsel auch nochmal über die Ergebnisse nachdachten.