Kladde
~ September 30, 2001
 
Leseorte (II)
Die Toilette.
Traditionell die Domäne der Zeitungsleser/innen bietet das stille Örtchen auch dem Bücherwurm eine willkommene Zuflucht. In der Arbeitswelt frönen Raucher hier der heimlichen Zigarette und Leser einer schnellen (und kurzen) Flucht aus dem Alltag. Verstopfung hilft ungemein ein dauernderes Vergnügen dem Ruf der Natur abzugewinnen.
Meine Toilette ist eher ein Ort der Gedanken und Einfälle: Rodins Denker kann ich mir hier sehr gut vorstellen.
Allerdings unterbreche ich keine Lektüre wegen eines schnöden Bedürfnisses und nehme so häufig ein Buch mit auf den Vardauungsthron. Leider neige ich dazu, dabei die Ellbogen auf die Knie aufzustützen und das tut irgendwann weh.
~ September 29, 2001
 
Ein Magen-Darm-Virus läßt einfach zu wenig Zeit zur Lektüre zwischen Kloschüssel und Plastikeimer. Man hängt viel zu oft mit dem Kopf nach unten.
 
Leseorte (I)
Die Badewanne.
Früher suhlte ich mich Stunden in Badewannen. Die Vorbereitungen kamen einem kleinen Umzug gleich. Was wurde da nicht alles ins Bad geschleppt: Radios, Fressalien, Getränke, Kerzen, Bücher, Zeitschriften...
In Wasser gebettet las ich dann wohlentspannt bis die Haut erbarmungslos Falten warf, die Temperatur gen Null ging und die Wanne einen schönen fetten Rand hatte. Ab und an zahlte ein Buch für meine Unachtsamkeit mit welligen Seiten, aber im Großen und Ganzen verbrachte ich ungetrübte Stunden im eigenen Sud.
Heute bin ich Warmduscher.
~ September 24, 2001
 
Was kann man bei Kopfweh und Frostanfällen lesen? Calvin and Hobbes. Manchmal sind kurze Aufmerksamkeitsspannen unabwendbar und dann sollte man sie so köstlich wie möglich gestalten.
~ September 21, 2001
 
Durch die Lesung zuviel über den Inhalt des Buches erfahren (betrifft immer noch Norfolks Boar). Die Geschichte enthüllt sich mir nicht mehr selber, der Autor hat mir den Apfel der Erkenntnis ins Maul gestopft. Ich weiß, wohin sich die Dinge entwickeln werden, bin nur noch im Kleinen überraschbar.

Mr. Norfolk spricht anders als er in seinen Romanen formuliert, aber dieser Essay trifft seinen Konversationston und ist zudem eine vergnügliche Abhandlung über Übersetzungen. Mal nicht die Mühen des Übersetzers oder die Krittelei der Leser: Wie ergeht es denn einem Autoren, der übersetzt wird?
Kleiner Wunschtraum: Harry Rowohlt übersetzt Lawrence Norfolk und ich erhalte Einblick in den Briefwechsel.

~ September 19, 2001
 
Lawrence Norfolk - Er liest heute Abend in Köln. Laut Eintrittskarte In Gestalt eines Ebers. Könnte interessant werden.
In übermenschlicher Anstrengung versuche ich sein neuestes Werk bis 20.30 gelesen zu haben. 350 Seiten in acht Stunden, von denen ich vier arbeite, anderthalb verklöne und eine am Computer verdaddel. Hm. Möchte jemand Wetten abschliessen?
 
Seite 58 ist es geworden und das auch nur, weil sich der Anfang des Romans durch eine Fußnotenfülle auszeichnet, wie sie mir sonst nur in wissenschaftlichen Werken untergekommen ist. Oben drei Zeilen Roman, der Rest der Seite: Fußnote. Köstlich.
Mr. Norfolk erklärt sie folgendermaßen: seine Recherche des kalydonischen Ebers ergab soviel Widersprüche zwischen den einzelnen Versionen, dass er sich entschloß, diese nicht auszubügeln, sondern aufzuführen. Aber er wollte auch klarmachen, dass keinesfalls e r sie verbrochen hat. Fußnoten. So you know who to blame. (NB: Die Fußnoten waren der Übersetzerin größte Müh', denn die Zitatweise englischer Altphilologen gleicht keineswegs denen ihrer deutschen Kollegen. Philologists of the world/unite and take over.)

Ein Nervöser, dieser Autor, aber beredt und mit britischer Selbstverständlichkeit selbstironisch bis zum Anschlag. Eine kleine Zuhörerschaft, unbequeme Stühle und abschliessende Diskussion (Deckname für Fragen an den Autor) waren die Ingredienzen eines schönen Abends.
Und es gab tatsächlich jemand, der die unvermeidliche Frage nach des Autors Meinung zu den Terroranschlägen stellte. Die Antwort allerdings war hörenswert: Die sekundenschnelle Nachrichtenverbreitung läßt keine Zeit mehr zur Überlegung. Nach fünf Minuten sollte die eigene Meinung stehen (sonst wird nachgeholfen) Wie schnell wurden die ersten Verdächtigungen erhoben. Was konnte zu diesem Zeitpunkt ermittelt worden sein? Nichts.

~ September 18, 2001
 
Quis leget haec?

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