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Kladde
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~ Oktober 31, 2001
Schrott präsentiert: Fflewddur Fflam, der aber Dafydd ap Gwilym heißt. An diesen Namen merkt man schon: wir sind in Wales, Heimat einer der ältesten Literaturen Europas. Dafydd ist laut Gruffudd Gryg (ich liebe diese Namen) ein Passions-Poet von Lust und Zorn und seine Gedichte versöhnen mich wieder mit der Erfindung der Poesie. Frech einfallsreich, gebildet - was will ich mehr. Er besingt seinen Schwanz ebenso wie Möwen und Schnee und in der Satire auf Rhys Meigen kann man noch einiges übers Schimpfen lernen. (Du troubadour für trampeln und für trutschen/futneidiger frotzler froschaugiger fretter/hundsfott von einem lottersack und falotten/du verhatschter hennengreifer und hurenigel - Der so Besungene soll verstorben sein, nachdem ihm dies Lied zu Gehör kam) Ein Auszug aus Der Dichter und der Franziskaner: Gott nährt seinen mann Dichter im Gespräch sind immer fein, sei es Gernhards Dichter und Stralsund oder Majakowskis A Conversation with the Inspector of Taxes about Poetry (Tipp: Majakowski ist noch mal so mitreißend in Herbert Marshalls englischer Übersetzung) Diese Schimpfkanonade ist einfach köstlich. Noch'n Stück Dafydd Ap Gwilym: der katzbucklerische kuttenbrunzer stottert wimmerlgsichtiger wichtigmacher du windiger widerhaariger wirtshaushocker und bierdimpfel ~ Oktober 30, 2001
Das dritte Buch über Achim. Karsch über West und Ost: "Karsch wollte eigentlich hinaus auf die Ähnlichkeit aller Städte seiner Welt, sie erinnerten im äußeren Bild von Reklameplakaten und Inhalt der Schaufenster und Form der Autos und Benehmen der Kellner so sehr an einander, dass er da bald von diesen Ähnlichkeiten abgesehen hatte und zu anderen Vergleichen hin; (...) hier offenbar aß und trank man nicht das selbe, es wurde mit anderen Mitteln gewaschen, es gab andere Mengen und Arten von Autos (...)" "(..)er spricht die Sprache und kann sich nicht verständlich machen (...)" "Er war kaum je vorher so unsicher gewesen in einem fremden Land: in diesem war ihm der Rückhalt seiner Lebensweise gänzlich abgegangen, wurde blaß, war fast nicht anzuwenden." Es geht nicht nur um zwei Deutschländer in diesem Buch, da ist auch noch ein drittes präsent: Nazideutschland. Achims Biographie wäre ja ohne die Jugend nicht komplett und die ist leider nicht sehr hervorzeigbar wenn es um Heldentum geht. "Er war einer von den hartmäuligen Uniformjungen". Das vorletzte Kapitel in Schrotts Die Erfindung der Poesie behandelt die Entstehung des Sonetts im 13. Jahrhundert. In Sizilien steht die Wiege. Schrott beschreibt sehr ausführlich und mit einer Fülle von gewiß nötigen Fremdwörtern die Thematik dieser Gedichtform und bedenkt die eh schon leicht verwirrte Leserin auch noch mit einem Logikexkurs. Kurz gesagt: Ich bin im Stacheldrahtverhau seiner Gelehrsamkeit elendig verreckt. Auch die Sonettbeispiele waren mir etwas zu, tja, logisch. Ich halte es nicht ganz mit Robert Gernhard: Sonette find ich sowas von beschissen, hat, heute noch son dumpfen Scheiß zu bauen; darüber, daß son abgefuckter Kacker Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert. Aber wenn Sonette, dann lieber von Engländern. That time of year thou mayst in me behold This thou perceiv'st, which makes thy love more strong,
~ Oktober 29, 2001
Guihelm der Neunte, Graf von Poitiers und Herzog von Aquitanien und Großvater der Eleonore von Aquitanien (erinnert jemand den Film The Lion in the Winter?): Edelmann, der auch mal exkommuniziert wurde, tapferer und streitbarer Ritter, dessen Armee in Heraklia aufgerieben wurde, großer Schürzenjäger, von dem sich zwei Frauen scheiden ließen und lieber ins Kloster gingen. Immerhin aber der erste bekannte Trobador und wohl auch der erste Poet, der in einer modernen europäischen Sprache dichtete. Schrott schätzt ihn als Könner und ganzen Mann und läßt dabei durchblicken, wie er andere Dichter beurteilt: "Sie (Guihelm, Oswald von Wolkenstein und Neidhart von Reuenthal) verkörpern wie der Archipoeta, Villon, Cecco Angiolieri, Hofmannswaldau, Carl Michael Bellman, um nur einige zu nennen, eine verschüttete Literaturtradition, die zuallererst das Leben betont und dabei aus einem vollen Faß schöpft; ganze Kerle eben, keine Wachsfiguren, Speichellecker, Hosenscheißer, Winkeladvokaten, Versicherungsvertreter, Parvenüs, Musterschüker, Hofräte, Wetterfahnen, Schrebergärtner und Abstauber, von denen das Literaturkabinett sonst ja zur Genüge hat." ~ Oktober 28, 2001
In die Jahrestage bin ich reingeflutscht wie ein Fisch ins Wasser (okay, idealerweise befindet sich ein Fisch bereits im Wasser, in diesem Fall war er eben mal, ähm, einkaufen) und wollte gar nicht mehr raus. Bin tatsächlich morgens früher augestanden, um vor der Arbeit noch drin lesen zu können (wie weiland Dr. Johnson bei Burtons Melancholy). Natürlich wollte ich danach mehr Uwe Johnson und in einem dieser sprunghaften und kurzlebigen Anfälle von Ordnung griff ich nach seiner ersten Veröffentlichung: Mutmaßungen über Jakob. War das ein Kampf. Vielleicht las ich es zur Unzeit, aber ich hatte das Gefühl die Sprache hätte sich im Türrahmen verkeilt und ließe sich durch nichts erweichen, durchzuflutschen. Und Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen. Mir fiel das nicht leicht. Nun mein dritter Johnson und sein zweiter: Das dritte Buch über Achim. Erst leicht mißtrauisch den Zeh eingetunkt und dann schnell überzeugt hineingeworfen. Der Autor macht es einem zwar nicht leicht mit dem Verständnis, er hat zum Beispiel seine eigenen Kommaregeln, an die ich mich erst gewöhnen mußte und es ist mir noch nicht klar, wer da ich und du ist und wie sie zu Karsch stehen. Karsch, der westdeutsche Journalist, der ein Buch über Achim, das ostdeutsche Rennfahrerass schreiben will. Aber das tut meinem Vergnügen keinen Abbruch. Vielleicht klärt sich auch noch, wer die Zwischenfragen stellt (wohl das du, whoever that is) ob ich gleich Karsch ist und ob es mehr als eine Kaprice war, den Eingangssatz klein zu beginnen. "da dachte ich schlicht und streng anzufangen so:" ~ Oktober 27, 2001
Gestern in Eins Live Klubbing las Wladimir Kaminer aus Militärmusik vor. Selten so gelacht. Genaugenommen bin ich bald vom Stuhl gefallen vor lauter Vergnügen. Staubtrocken und stark russisch akzentuiert präsentierte er Kostproben aus seiner sowjetischen Vergangenheit. Davon will ich mehr. David Sedaris betreibt ähnliche Vergangenheitsbewältigung, stammt nur aus einer anderen Welt. Ist das ein neuer Trend? Autobiographie als Schelmenroman? "Die älteste Schicht der Bibel ist Poesie." Poesie unter dem Zeichen religiöser Dominanz. Dauerte dann nur noch über tausend Jahre bis sich eine profane hebräische Dichtung entwickelte. Schrott stellt Samuel Ha-Nagid, Wesir des Königs von Granada, vor. Er war ein Rundumgenie und natürlich ein begnadeter General und ziemlich wehleidig als die Altersschwäche zuschlug. Das kann jedem dereinst blühen. Es empfiehlt sich nicht, dann vierseitige Klagegedichte zu schreiben: Das erinnert arg an die endlosen Todesarien in bombastischen Opern und kippt gerne ins Lächerliche. Kürzer gefällt er mir besser: Denk nach und du wirst darauf kommen dass die lust Wenn sie es denn tun. Im 11. Jahrhundert dichteten die Araber nicht nur in Nordafrika, dem Nahen Osten und Andalusien, sondern auch auf Sizilien. Mohammed Ibn Al-Qatta': Wenn zeit ist für das glück dann nehme ich sie wahr Und gelange ich wenn in diesem leben nicht zu ihr Sie hielt mich mit wein zurück und sie war wild Da konnte ich nicht widerstehen. Denn anscheinend bin ich Henry Rollins. (Via via via, wer weiss noch, in welchem weblog es zuerst stand?)
Josh Kirby ist tot. Er war der Künstler der Umschläge der Discworld Novels. Was die Orginalausgaben anbelangt. So machte Terry Pratchett es in alt.fan.pratchett bekannt: I have just heard that Josh Kirby, who did all the DW covers (well, all I'm going to have a drink. ~ Oktober 26, 2001
I am done with Mary Stewart. Von der will ich so bald nichts mehr lesen. Der dritte Band der Merlintrilogie war nur noch langweilig, nicht einmal mehr Bedienstete mit Profil gab es. Allerdings schälte sich langsam ein interessanter Artus heraus. Das war es aber auch. Dank flüssiger Sprache kam ich schnell durch und kann endlich diese unerträglich selbstzentrierte und -überzeugte Hauptfigur hinter mir lassen. Wahrscheinlich ertrage ich nur noch zerrissene, zweifelnde Protagonisten. Fühle mich als ich hätte ich eine Woche von Weissbrot gelebt, jetzt brauche ich dringend etwas Handfestes. ~ Oktober 25, 2001
Zeitgenössische Dichtung I was never faithful/and I was never one to trust borderline and schizo/guarantee to cause a fuss I was never loyal/except to my own pleasure zone I'm forever blackeyed/a product of a broken home Nicht ganz so groß wie: ~ Oktober 24, 2001
Mary Stewart unter erschwerten Bedingungen. Den dritten Band, The Last Entchantment, lese ich mit Wattehirn. Deshalb mag ich Erkältungen so: Man ist benebelt im Kopf, völlig wehleidig und damit auch quengelig. Und von der ganzen Naseputzerei bekomme ich immer so eine schöne rote Schnapsnase. Und der Geschmack ist auch hin. Und alles ist sooooooooo anstrengend. Dann doch lieber melancholisch. Fremde Bücher zu bekritzeln ist Vandalismus (was machen Bibliophile eigentlich mit Kleinkindern?), die Bücher seines Arbeitgebers zu bekritzeln ist subversiver Vandalismus. Erwartet man so etwas von Mönchen? Die irischen Mönche des 9. Jahrhunderts kannten da gar nix, begnügten sich aber zumeist mit Vierzeilern. Wahrscheinlich kann man auch nur eine bestimmte Menge an grammatikalischen oder theologischen Texten transkribieren ohne eine Ausflucht zu suchen. Nachricht für dich: Der wind schneidet Von rot zu rost Der schnee stöbert Nebenbei taucht hier zum ersten Mal der volle Reim in Europa auf. In der Prosa erwähnt ihn schon Aristoteles (homoioteleuton), doch in der Poesie wurde er bis dahin nur in den orientalischen Sprachen benutzt. Kann man ja mal so nebenbei in einer Unterhaltung fallen lassen. Schindet bestimmt Eindruck. ~ Oktober 23, 2001
Mir scheint, Rankin hat über die Jahre zu viele Running Gags angesammelt, die erschlagen mittlerweile den Plot. Web Site Story enthüllt, dass der Millennium Bug eine geplante Aktion von Mute Corp war. Sie setzten die Geschichte in Umlauf, damit alle ihre Sicherheitsvorkehrungen trüfen, die Mute Corp dazu nutzte den Mute Chip einzusetzen, der dann wirklich übles anrichtet und unter anderem einen Virus auf Menschen überträgt. Eek! A mouse! betrifft dann nicht nur pelzige Nager. ~ Oktober 21, 2001
Rezension zu Schrott von Andreas Isenschmid. Das ist der Mann, der in diesem alternativen LQ mit Elke Heidenreich immer so dicke Bücher anschleppte und mir auch ansonsten positiv auffiel. Sendung (deren Namen ich nicht mal erinnere) läuft garantiert seit Jahren nicht mehr, die Rezension ist empfehlenswert. "Bisweilen lässt uns Schrott etwas sehr über die Stacheldrahtverhaue seiner Gelehrsamkeit stolpern." Da hat er Recht, der Herr Isenschmid. Abu Nuwas (eigentlich Al-Hasan ib Hani al-Hakami), der Stenz, war der Poesie zugetan, Wein und jungen Knaben. Da haben wir das Problem: Wie trenne ich Werk (und das Vergnügen daran) von der Person des Autors. Wie kann ich gleichzeitig empört Päderast brüllen und seine Lyrik goutieren. (Übrigens eins der Themen in The Shape of a Boar, dort der Dichter als Mörder) "Nichts als lebende tote sind die menschen Dieses Salatblatt ist nicht verwelkt, Watership Down hat die Jahre unbeschadet überstanden. Ob man von den Downs das Gleiche behaupten kann? Auch Literatourismus birgt zerstörerische Kräfte. Immer noch spannend und berührend diese Kaninchen-Aeneis. Am Ende ist es kaum auszuhalten, selbst wenn man den Ausgang kennt. Einer der hervorragendsten Cliffhanger: Hazel unter der Katze. "Can you run?" hissed the cat. "I think not." Ein neuer Robert Rankin. Web Site Story. Und nach den letzten beiden schwachen Büchern, wäre mir ein Qualitätsanstieg sehr willkommen. Ich weiss, dass er gute Bücher schreiben (und nicht nur hinreissende Umschläge gestalten) kann. ~ Oktober 19, 2001
Literaturverfilmung Seit Monaten (oder sind es schon Jahre) gehe ich mit Carola, wenn nix Gescheites im Kinoprogramm zu entdecken ist, zum Residenz um Brot und Tulpen anzuschauen. Und jedes Mal landen wir doch in einem anderen Film. Gestern war es Ghost World, laut Filmplakat der Kultfilm zum Kultcomic. Und siehe: Er war trotzdem gut. Habe selten so über Teenager gelacht wie hier, ohne das es auf Kosten der Handelnden ging. Hinterher fielen mir Dutzende kleine Szenen ein, die liebevoll gemacht und herzzerreißend komisch waren. (Immer ein gutes Zeichen, wenn der Film stückchenweise wieder hoch kommt und wiedergekäut werden kann.) Auch auf das obligatorische romantisch-optimistisch-amerikanische Happy Ending wurde verzichtet. Woher allerdings diese Überzeugung kommt, das Leben wäre andernorts besser und erträglicher und bestimmt ohne all die Probleme, die man hier hat (oder auch einfach nur anders), ist mir schleierhaft. Bin auch der eher sesshafte Typ. Die liebsten Stellen in Watership Down sind mir die El-Ahrairah-Geschichten. Till Eulenspiegel auf Kaninchisch. Oder Hodscha Nasreddin oder Robin Hood oder sonst einer dieser Schelmen und Diebe und Narren, die den Machtinhabern auf der Nase umhertanzen und damit durchkommen. Das ist wichtig. Denn unserereins kriegt ja sofort eins auf's Maul. ~ Oktober 18, 2001
Aus der Rubrik: Nach 20 Jahren erneut gelesen. Noch bevor ich das Buch öffne, schwirrt mir Art Garfunkel durch den Kopf: Is it a kind of dreeheam/floating out on the tihide... War mir schon immer ein bisschen zu süßlich das Lied, genau wie mir die Kaninchen im Trickfilm allzu niedlich aussahen und ich ihn deshalb bis heute nicht gesehen habe. Was ich an Watership Down schätze, ist ja gerade, dass bei allem Anthropomorphismus die Hauptdarsteller durchaus kaninchenhaft bleiben. Bestimmt gibt es irgendwo im Netz eine Seite, wo man seinen Watership-Down-Kaninchennamen rausbekommt. Ohne jede Hilfestellung behaupte ich: Ich bin ein Pipkin. ~ Oktober 17, 2001
Hrmpf. Der dritte Band muß es wohl sein, denn Ralf und Stilicho hüpfen noch immer munter umher, Ralfs Pferd hat es allerdings erwischt, es lahmt aber nur. Vielleicht bekam Mary Stewart nach dem ersten Band ja doch Skrupel oder vielleicht hat die Vermittlungsfirma für Personal Merlin auch klar gemacht, dass man so fahrlässig mit Bediensteten nicht umgehen sollte. Die Bücher lesen sich ja weg wie geschnitten Brot, aber ich lese sie sehr misstrauisch und mit großen Vorbehalten. Merlin hat zuviel von einem Spin Doctor und alles damit zu rechtfertigen, den Willen eines Gottes zu erfüllen - das hat Torquemada sicher auch behauptet. Da der Sloganizer wieder in Mode ist, wer wäre ich, ihn zu ignorieren. Die Erfindung der Poesie wendet sich nach Arabien. Wir schreiben das 6./7. Jahrhundert und sieben Beduinendichter verfassen präislamitische Oden. Diese werden später in der Mo'allaqat zusammengefasst. In diesen Oden geht es um Liebe, Wein, Kamele (Kamellob so bilderreich wie Frauenlob) und Eigen- und damit Stammeslob. Der Verfasser der berühmtesten Ode, Imru'l-Qays, war ein rechter Hallodri. Einst schrieb er einen Vierzeiler über den Beischlaf, der als das obszönste Gedicht, das je ein arabischer Dichter vortrug, in die Geschichte einging. Es ist dem Band nicht beigefügt und vielleicht auch gar nicht erhalten. Mohammed hatte schließlich nicht viel übrig für die Poeterey und nannte Imru'l-Qays den poetischsten aller Dichter und ihren Anführer auf dem Weg zur Hölle. ~ Oktober 16, 2001
Seite 402. Ralf lebt. Stilicho lebt. Und beide sind mittlerweile verheiratet. Nicht das ich ihnen was schlechtes wünsche... - aber wann opfern sie sich endlich für Merlin auf (und berechtigen damit ihr Dasein)? Werd doch wohl nicht noch den dritten Band lesen müssen, um zu erfahren wie sie enden? Könige übrigens sind das schon von Geburt an, wenn nicht noch früher. Die haben das einfach dieses Königtum und diese Führerschaft. Sie verstehen die Leute so zu begeistern, dass alle blindlings hinterher laufen. Entsteht nur leider selten ein Camelot draus. ~ Oktober 15, 2001
Seite 234. Ralf lebt. Wohl nur, weil er nicht bei Merlin ist, sondern über Artus Kindheit wacht. Dafür gibt es einen neuen Todeskandidaten: Stilicho, Sizilianer und damit automatisch gut mit Lügen und Giften. Laut Merlin. ~ Oktober 14, 2001
Knapp 350 Seiten Melancholie lassen mich mit einem Heißhunger auf einen Plot zurück. Es war ein Vergnügen, auch wenn er Feministinnen genügend Anlaß zur Steinigung geben dürfte: "keine Heimsuchung kommt einer zänkischen Schlampe, Hure, Närrin, Furie oder Teufelin in den eigene vier Wänden gleich" (drum prüfe...). Die anderen entlarvenden Stellen hatte ich mit vorsichtigen Eselsohren markiert - leider so vorsichtig, dass sie nicht mehr erkennbar sind. Hier wurde beim Druck gutes Papier verwendet. Dieses Buch enthielt: Eine gigantische Vorrede, die Definition der Melancholie, ihre Ursachen, ihre Auswirkungen (sehr weise die Mahnung mittendrin an Melancholiker dies besser nicht zu lesen, alldieweil sie zu Hypochondrie neigen und sich leicht noch einige Leiden zuziehen könnten - zu spät! ups.) und ihre Heilung und stellt damit nur ein (gekürztes) Drittel des Orginalwerks dar. Es gibt noch ein Drittel über Heilungsmethoden und eins über religiöse und Liebesmelancholie. Burton ist ein Jäger und Sammler, ein Zitierer, ein Aufzähler, ein Anekdotenerzähler, ein Betroffener, ein Ereiferer mitunter und ein Melancholiker. Wer sich für diese Krankheit weniger interessiert, dem möchte ich zumindest die Vorrede wärmstens empfehlen. Noch einmal Mary Stewart und ihr Merlin, diesmal der zweite Band The Hollow Hills. Die einzigen Figuren, die mich in dieser quasihistorischen Darstellung interessieren, sind Merlins Bedienstete. Und denen widerfährt meist nix Gutes: Sie werden getötet. In diesem Buch heißt Merlins Diener Ralf und ich prophezeie: Der wird nicht alt. Auf Seite 178 lebt er allerdings noch. ~ Oktober 13, 2001
Ach wie gut, dass es ausschweifendere Surfer als mich gibt. Mich altes Gewohnheitstier zieht es doch immer auf die gleichen Weidegründe. Holger verweist auf einen amerikanischen Buchenscheit. Haps. Hat sich mein Auslauf wieder erweitert. ~ Oktober 12, 2001
Gott. Die Sterne. Alter. Vererbung. Falsche Ernährung. Nahrungsmenge. Ernährungsgewohnheiten (insbesondere der Verzehr von Rindfleisch), bestimmte Vorlieben und Zwangslagen. Verhaltung und Ausscheidung. Schlechte Luft. Maßlose Ertüchtigung. Einsamkeit und Müßiggang. Schlafen und Wachen. Leidenschaft und Gefühlsaufwallungen. Betrübnis und Kummer. Furcht. Scham und Schande. Neid, Bosheit und Haß. Rivalität, Haß, Parteisucht und Rachedurst. Zorn. Verdruß, Sorgen und Not. Begierden und Ehrgeiz. Habsucht. Spielleidenschaft und Vergnügungssucht. Eigenliebe, Aufgeblasenheit, Lob, Ehre, grenzenloser Beifall, Stolz und übermäßige Freude. Wissensdurst und maßloser Lerneifer. Verlust der Freiheit, Knechtung und Gefangenschaft. Armut und Not. Das alles sind mögliche Melancholieauslöser. Also: Let's be careful out there. ~ Oktober 11, 2001
Leseorte (III) Die Straßenbahn. Pendler können hier tägliche Fahrtzeiten sinnvoll nutzen. Sitzplatz ist vorzuziehen, im Stehen geht es aber auch. Ein packendes/interessantes Buch hilft die Umwelt auszuschalten. Vier Jugendliche, die mit Stentorstimme neben mir deutschen Rap üben und ein Familienausflug mit fünf liebenswerten, aber lautstarken Blagen vor mir lassen mich allerdings die Flagge streichen. Vidiadhar Surajprasad Naiapaul erhält den diesjährigen Literaturnobelpreis. Und wer hat noch nichts von ihm gelesen? Moi. Die Kenntnis der zwei schönsten Herbstgedichte verdanke ich einem Mann und seinem schmalen Bändchen: Wolfgang Hildesheimer mit den Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge. Was mit mit einem Sechs-Seiten-Beitrag zu einer Festschrift für Max Frisch begann, verzehnfachte sich und wurde ein spielerisches Abklopfen der Sprache. Der Eingangssatz ist schon ein Schmuckstück: "Wieder ist, wie Du, lieber Max, wahrscheinlich bereits festgestellt hast, ein Jahr vergangen, und ich weiß nicht, ob es Dir so geht wie mir: allmählich wird mir dieser ewigwährende Zyklus ein wenig leid, wozu verschiedene Faktoren, deren Urheber ich in diesem Zusammenhang, um mich keinen Unannehmlichkeiten, deren Folgen, die in Kauf zu nehmen ich, der ich gern Frieden halte, gezwungen wäre, nicht absehbar wären, auszusetzen, nicht nennen möchte, beitragen." Ja, ich bin froh, dass Deutsch meine Muttersprache ist, ich möchte es nicht als Fremdsprache erlernen müssen. "Im Deutschen ist übrigens Lebensgefahr und Todesgefahr dasselbe. Das gibt zu denken." ~ Oktober 10, 2001
Oszillieren zwischen Melancholie und Poesie. Das ist mal ne Vorrede. Sie umfaßt 132 Seiten und damit ein Drittel des Buches. Burton plaudert als Demokrit Junior über seine Pseudonymwahl, sein Buch, den Wahnsinn der Menschheit ("Der Jurist Nevisanus hält es für eine ausgemachte Sache, dass die meisten Frauen unvernünftig sind, was nach Seneca auch von den Männern, gleich ob jung oder alt, gilt. Und wer würde das bezweifeln? Die Jugend ist verrückt, das Alter nach Cicero kaum besser dran.") in seinen vielen Erscheinugsformen, über all das was faul ist im Staate Dänemark, über seinen eigenen Utopia-Entwurf und letztendlich auch über die Melancholie. Jean Paul eat your heart out. Immer bedenkenswert: "(...) und entsprechend gilt: nur du und deine Mitsektierer sind weise, andre sind auf halbem Wege stehengeblieben, der Rest aber ist nicht bei Sinnen, Idioten und Eselspack. Weil wir unsere eigenen Irrtümer und Unzulänglichkeiten nicht zugeben, können wir gefahrlos über andere herziehen, als ob wir allein nicht betroffen und im übrigen bloße Zuschauer seien." Schrott derweil präsentiert Propertius und seine Elegien. Was dem Petrarca seine Laura, ist dem Properz seine Cynthia, eine recht temperamentvolle Dame scheint's. Der erste übrigens, der seine Gedichte an eine Geliebte richtete, war Mimnermos mit Nanno. Ein Beitrag für das Handbuch des nutzlosen Wissens. Die Birken im Garten gilben strähnenweise. Aus den Büschen springen grelle Beeren. Die über den Sommer hin staubmüde gewordenen Blätter fallen matt zu Boden und im Blattwerk des Garagendachs breitet sich das tiefe Rot aus wie eine Blutlache. Man kann ja nicht immer nur in Bücher schauen. ~ Oktober 9, 2001
Die handelsüblichen Übersetzungen der poetischen Klassiker stammt zumeist aus dem 19. Jahrhundert, als die Philologen auf den Knieen vor der Erhabenheit der Antike lagen. Raoul Schrott hat für Die Erfindung der Poesie Neuübersetzungen erstellt/erstellen lassen. Sie sind so "nahe wie möglich und so frei wie notwendig". Da würde mich doch interessieren wie im 19. Jhd dieser Catull übersetzt wurde (es sei gewarnt vor explicit lyrics): Ich werd's euch zwei besorgen von vorne und von hinten ~ Oktober 8, 2001
Asche auf mein Haupt. Nicht Richard, Robert. Robert Burton der Verfasser der Anatomy of Melancholy. Gar nicht einfach zu bekommen, schon gar nicht im Orginal (wenigstens nicht zu vertretbaren Preisen, jetzt allerdings gibts die Anatomy als NY Book Review Classic: 1392 Seiten für fast 57 Märker - bestellt). War deshalb froh, als dtv 1991 zumindest den ersten Teil, wenn auch übersetzt und gekürzt, herausbrachten. Und dann hat es auch nur noch 10 Jahre gedauert, bis ich ihn endlich zu lesen angefangen habe. Und prompt mit dem Schauspieler mit der angenehmen Stimme (höre: War of the Worlds) verwechsle. Naja, sind beide tot. Archilochos gab uns die Iamben, Sappho aber den silbernen Mond. Da die Werke der alten Griechen meist nur in Fragmenten überlebt haben, erinnern sie mich mitunter an Haikus. Ein Archilochos: Ein Sappho: Und Sapphos Mond: Ja, Zirbel, das ging mir an der Stelle auch durch den Kopf. Und das ist nicht das einzige Mal, dass ich beim Schmökern in der Anatomy an die Gegenwart erinnert werde. ~ Oktober 7, 2001
Look what the cat dragged in. Gemeinhin tote oder benommene Mäuse und Vögel. Heute den ganzen Celan, inklusive In Gestalt eines Ebers. Vielen Dank! Von gestern auf heute drei Roald Dahls verschlungen: Boy, Going Solo und The wonderful Story of Henry Sugar. Die ersten beiden Bücher autobiographisch, das dritte eine Sammlung Kurzgeschichten, darunter Lucky Break, auch autobiographisch, weist aber einige Abweichungen zu Going Solo auf. Welchem Dahl glaube ich denn nun? Medienereignis Krieg. Gulf war all over again. Hänge mich bei Richard Burton ein und flüchte mit ihm in die Gelehrtenidylle Oxford. "Tagtäglich höre ich neueste Nachrichten und landläufige Gerüchte über Kriege, Seuchen, Feuer, Überschwemmungen, Diebstähle, Morde, Massaker, Meteore, Kometen, Geister, Wunder, Erscheinungen, über belagerte und eroberte Städte in Frankreich, Deutschland, der Türkei, Persien, Polen, von Aushebungen und Kriegsvorbereitungen, Schlachten und Gefallenen, über Zweikämpfe, Schiffsuntergänge, Piraterie und Seeschlachten, von Friedensschlüssen, Bündnissen, Kriegslisten und neuen Mobilmachungen, wie sie diese stürmischen Zeiten erzeugen." Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert. Morde, Massaker und Meteore - möchte nicht jemand den passenden Roman schreiben? Oder gibt es den schon? ~ Oktober 6, 2001
Die früheste (ca 2350 v. Chr.) bekannte Lyrik (nur hieß das noch nicht so) stammt von Frauen, den Sumerinnen Enheduanna und Il(...)ummiya. Die eine Hohepriesterin, die andere Thekenschlampe. Und daran erkennt man, dass ich mir mitnichten Celan besorgt habe, sondern Raoul Schrott - Die Erfindung der Poesie. Ob Terry Pratchett irgendwie verwandt ist mit der grausigen Mrs. Pratchett aus Roald Dahls Kindheitserinnerungen? Dieses schmierige, unfreundliche Weib rächt sich für einen Streich (na gut, tote Mäuse in Bonbongläsern sind nicht die feine englische Art) mit Beschwerde beim Schulrektor und anfeuerndem Rufen beim Prügeln der Schuldigen. Ein anderer prügellustiger (oder besser: prügelgeiler) Schulleiter brachte es später bis zum Erzbischof von Canterbury. Hat der Papst nicht auch mal unterrichtet? ~ Oktober 5, 2001
Pereira erklärt jenen Sommer 1938 in Lissabon. Nein, er erklärt ihn nicht, er erzählt wie es war als die Bekanntschaft mit Monteiro Rossi und dessen rebellischer Freundin, ihn den herzkranken, übergewichtigen Witwer aus seiner Vergangenheitszuflucht in die kalte, diktatorische Gegenwart weckte. Antonio Tabucchi erzählt es ganz leicht und sparsam in Form einer Beichte/Befragung, deren Gegenüber ungenannt bleibt. Und wie damals beim ersten Lesen 1995 fängt er mich wieder ein und ich sehe ihn vor mir den Doktor Pereira im Cafe Orquidea vor Limonade und Kräuteromelette wie es ihm langsam kalt und unwohl im eigenen Land wird. Er fühlt sich als guter Katholik, auch wenn er an die Auferstehung des Fleisches nicht glaube. An die Seele schon, aber warum sollte er weiter all dies ganze Fleisch, den Speck, den Schweiß mit sich herumtragen bis in alle Ewigkeit, erklärt Pereira. ~ Oktober 4, 2001
Quasi im Vorbeigehen angefangen und kleben geblieben: Mary Stewart - The Crystal Cave (eins von einem Schock Bücher, den ich vom letzten Besuch bei Barbara heimschleppte. Leserattenbekanntschaften sind gefährlich für den Rücken. Demnächst kreuze ich mit einem Einkaufswagen bei ihr auf. Oder ich leihe mir weniger Bücher aus. - Nein.) Trotz Spannungsfaktor ließ mich diese Interpretation des Merlin-Mythos kalt. Vielleicht bin ich durch die Nebel von Avalon verdorben, das hat mich damals hingerissen, als einziger Zimmer-Bradley, von den Nachfolgebänden wußte ich lange nicht und gereizt haben sie mich nie. Für mich sind die Nebel ein abgeschlossenes Werk, das ich vielleicht noch mal lesen sollte, um mein Urteil zu überprüfen. Begeisterung der Mädchenjahre? ~ Oktober 3, 2001
Lawrence Norfolk - In the Shape of a Boar Nachgedanken Schöne Spiegelung der Fußnoten des ersten Teils in der Wassersteinschen Ausgabe der Keilerjagd. (Verständnis dieses Satzes setzt Kenntnis des Buches voraus. Wirft die Frage auf: Sind dies private Notizen? Ja, aber im öffentlichen Raum. Erklärungen wären nett, machen mir das Ganze aber wieder zu umständlich. Das soll ja hier ein Ort für die schnelle Notiz sein. Erklärungen also wird es keine geben. Sorry.) Jede Menge Zeitebenen, doch verständlich verknüpft. Verschiedene Aussichtspunkte, die mehr Klarheit bringen, aber auch gleichzeitig alles diffusieren. Mythischer Nebel im 20.Jahrhundert (Hinterher sitzt man wie nach Sauras "Carmen": Hat er sie nun umgebracht? Hier: Hat die Jagd statt gefunden?) Angedeutete, aber nicht ausgeführte Konflikte. Die Jäger wichtiger als die Beute oder: Der Symbolismus haut nicht immer hin, manche Sachverhalte sprengen ihn. Warum warten Autoren mit ihren neuen Büchern immer bis ich kein Geld habe? Endlich gibt es einen neuen Hap & Leonard von Joe R. Lansdale, leider gebunden. Jaja, Hardcover für Krimis ist schon eine Auszeichnung, aber mir ist das Hemd näher. Über 50 Märker für ein Buch ist viel und wirkt auch in Euro nicht wesentlich besser. Als Trostpflaster eine Kurzgeschichte: Veil's Visit. ~ Oktober 1, 2001
Langsam erreiche ich die Hinterläufe des Ebers. Ja, ich bin immer noch bei Norfolk. Er hat mein Interesse für Paul Celan geweckt, der als Vorlage für Solomon Memel dient (jetzt, wo ich das Buch fast durch habe, fallen mir einige Fragen ein, die ich Herrn Norfolk bei der Lesung gern gestellt hätte, nicht zuletzt über Celan. Merke: Vorher lesen!). Was kennt man schon von ihm außer der Todesfuge? Die Preise der Gedichtbände dann höchst abschreckend. Gilt mein Bibliotheksausweis eigentlich noch? | ||