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Kladde
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~ Dezember 31, 2001
Aus dem literarischen Leben: 31.12.1980 Sebalds Die Ringe des Saturn ist kein Reisebericht. Seine Wanderungen in Suffolk sind Rahmenhandlung für Exkurse in verschiedene Gebiete, die eins gemeinsam haben: Zerstörung und Leiden sind immer präsent, sei es in China unter der machtklammernden Kaiserinwitwe, in Belgisch-Kongo oder im Seegefecht vor Southwold. Ich habe so eine Ahnung, dass sich das in den nächsten 140 Seiten nicht ändern wird. Man folgt ihm gerne auf seiner Reise, zu welch menschlichen Abgründen sie auch immer führen mag. Seine Sprache ist ein wenig umständlich, etwas krämerisch, aber nicht so sehr, dass es stört, sondern nur soviel, dass es auffällt. ~ Dezember 30, 2001
Hier ist die Chance, mal in Mr. Lansdales Collins/Pine-Universum reinzuschnuppern. Bis zum 3.1.2002 gibt es Kapitel 6 von The Two-Bear Mambo auf seiner Free-Stories-Seite. Im net bib weblog entdeckt: Auszüge aus Lichtenbergs Sudelbüchern in der Bibliotheca Augustana. Sehr empfehlenswert auch ein weiterer Streifzug durch deren Gefilde. Da gibt es zum Beispiel Daz buoch von guoter spîse aus dem 14. Jahrhundert oder das Reglement der Berliner Kunstakademie aus dem Jahre 1776. Die Eingangsseite ist ganz in Latein gehalten, inklusive Counter und Optimierungshinweis: AppleMac et Netscape his paginis optimum visum dant. Cave Gatem et Exploratorem! Köstlich. Literaturverfilmung, gemächlich. Gestern über fünf Stunden Pride and Prejudice angeschaut. Eine BBC-Produktion, die Mitte der Neunziger in sechs Teilen gesendet wurde, in Albion, nicht hier. Mit soviel Zeit zur Verfügung kann man das Buch natürlich in aller Seelenruhe erzählen. Manchmal war der Gang der Geschehnisse schon arg behäbig und in solcher Ausführlichkeit hätten die Tänze des frühen 19. Jahrhunderts wegen mir nicht vorgeführt zu werden brauchen. Aber das sind Kleinigkeiten. Die Ausstattung war von gewohnter englischer Güte, die Musik ebenso passend wie ansprechend und die Charaktere sehr schön getroffen. Die Familie Bennet war natürlich wesentlich lebendiger als Mr. Darcy, aber das liegt nun mal in deren Wesen begründet. Es gab einfach herrliche Dialoge, in denen sich so manche Schärfe offenbarte, die bei der Lektüre gar nicht so auffällt. Woher allerdings die große Aufregung um Mr. Darcys Bad im See rührt, ist mir rätselhaft. Die Szene war mehr als kurz und weniger als aufregend. Hm. ~ Dezember 29, 2001
Aus dem literarischen Leben: 29.12.1191 ~ Dezember 28, 2001
Aus dem literarischen Leben: 28.12.1879 ~ Dezember 27, 2001
Literaturverfilmung, humhamhom. Gestern in Lord of the Rings und weder besonders begeistert noch besonders abgestoßen hinausgegangen. Grandios die Landschaften, schön umgestzt die Bauten (würde sofort in eine Hobbithöhle ziehen). Die Charaktere teils teils. Den Hobbits fehlte auf alle Fälle die Fußbehaarung und sie wirkten nur klein genug, wenn sie mit Menschen oder Elben im Bild waren. Bilbo war gut getroffen, Frodo entsetzlich nichtssagend. Wie Harry Potter griemelt er viel zu oft in die Kamera. Beim dritten oder vierten Mal tauchte bei mir das Romikaschuhesyndrom auf (reintreten und sich wohlfühlen). Sowas macht einen Charakter nicht sympathisch, sowas nervt. Nervend auch die Musik. Muß es denn in Monumentalschinken immer so wagnermäßig daherwabern? Und muß es gar so opernhaft inszeniert sein? Boromir, der so gar nicht sterben will, aber wenigstens auf das Singen dabei verzichtet, Gandalf, der noch einen Moment am Brückenstein hängt und Balins Grab in einen Lichtstrahl getaucht, dass man glaubt, der heilige Gral fahre gleich hernieder. Der Anfang allerdings war wunderbar, eine wirklich schöne Exposition mit einem beeindruckenden Sauron, der später als lidloses Auge eher bescheuert aussieht. Die Vorkommnisse im Shire gut verdichtet und die Ringgeister schön bedrohlich. Keinerlei Einwände wo der Film das Buch veränderte, um es filmgerecht zu machen (mehr Actionszenen und kleine Umkehrungen der Abfolge, damit auch der Nichtleser versteht, worum es geht). Aber manche Änderungen waren unnötig und ärgerlich. Arwen als Retterin in der Not war ganz und gar grauslich. Über die Frauen sollte man eh besser den Mantel des Schweigens decken (und dann mit dicken Felsbrocken beschweren). Galadriel kam daher wie Madonna in einem mittelmäßigen Video. Gimli und Legolas hingegen überzeugend (und die Anspielung auf dwarf throwing in einem neuseeländischen Film war herrlich), Boromir und Aragorn ebenso, man muss sie ja nicht mögen (geht mir im Buch genauso). Gandalf meistens großartig, aber zu schwächlich, was wohl daran lag, dass der ersten Auseinandersetzung Saruman-Gandalf viel mehr Gewicht gegeben wurde als im Buch. (Isengard schön schaurig als Höllenversion.) Die Elbenfürsten farblos. Die größte Enttäuschung der Balrog, aber wohl, weil ich mich so auf dessen Darstellung freute. Nee, kam an meine Vorstellung nicht ran. ~ Dezember 26, 2001
Aus dem literarischen Leben: 26.12.18.. Wie schön, dass es anderen nicht besser geht. Obwohl ich mich oberflächlich damit abgefunden habe, nagt es doch tief unten: Reading Anxiety. Weiland las ich den König David Bericht in zwei Tagen, heuer braucht es fünf. Heuer gibt es aber auch Internet und Diablo und Weihnachten. Ethan ben Hoshaja wird von König Salomo beauftragt, beim Verfassen einer staatstragenden (meint: Seine Macht verfestigend) Geschichte des König Davids mitzuwirken. Leider entdeckt Ethan immer üblere Seiten Davids und steckt bald in der Zwickmühle: Was ist ihm werter, sein Leben oder seine Liebe zur Wahrheit. Es ist der alte Kampf zwischen Macht und Geist. Im Buch gewinnt die Macht, mit dem Buch aber der Geist. ~ Dezember 25, 2001
Studentische Stilblüten. "Plato invented reality. He was teacher to Harris Tottle, author of 'The Republicans.' Lust was a must for the Epicureans. Others were the Vegetarians and the Synthetics, who said, 'If you can't play with it, why bother?' " Erinnert mich an lang verflossene Schultage als unsere Englischlehrerin auf ihre Frage, was die Briten nach Zerfall des Empire machten, zur Antwort erhielt: Sie bauten das Empire State Building. Aus dem literarischen Leben: 25.12.19.. ~ Dezember 24, 2001
Aus dem literarischen Leben: 24.12.18.. ~ Dezember 22, 2001
Aus dem literarischen Leben: 22.12.1772 ~ Dezember 20, 2001
The Book of Fictional Days. Hinreissendes Kleinod (siehe unter Today in Fiction) bei Salon.com. Chronik fiktiver Ereignisse, aber nicht irgendwelcher, sondern solchen, von denen in Büchern erzählt wird. Hätte ich mir denken können, dass ich nach Ahasver unausweichlich zum König David Bericht greife. Wie soll ich dann nur aus den biblischen Gefilden nach Suffolk finden? Am Anfang fällt Ahasver und am Ende wieder, diesmal aber mit dem Rabbi Joshua/Jesus und nicht mit Luzifer. Jesus hatte denn doch die Faxen dicke und das warten auf den Himmel auf Erden satt und wendet sich gegen Gottvater. Der ist ihm aber über. Aber gut hat ihm die Rebellion bestimmt getan, meint wenigstens Ahasver. ~ Dezember 19, 2001
Im Cafe auf eine Verabredung warten hat durchaus Vorteile: Bin ein gutes Stück mit dem Ahasver vorangekommen. Auf drei Ebenen entrollen sich die Ereignisse: im lutherischen 16. Jahrhundert (altväterisch mit Augenzwinkern vorgetragen), in einem Briefwechsel, den 1980 ein hebräischer und ein DDR-Gelehrter führen und in der zeitumspannenden Sphäre der Engel, gefallen. Ahasver ist der ewige Jude, der Jesus die Rast verwehrte und dafür zu ewigem Wandertum verflucht wurde und ein gefallener Engel. Er glaubt an Veränderung zum Besseren, Luzifer hingegen, der damals mit ihm fiel (bzw. er mit ihm), hat es mit diesem Gott und dieser Welt ganz drangegeben. da hilft nur noch Armageddon. ~ Dezember 18, 2001
Die FAZ scheint über ihren eigenen Übereifer gestolpert zu sein. Gerade noch so den Nachruf auf Stefan Heym reingequetscht, aber leider nicht den aktuellsten: Stand 1996. Naja, was stellen Schriftsteller in 5 Jahren auch groß an... Gestern Ahasver angefangen und die Ringe habe ich nunmehr auch in der Tasche. Ich sach ja: Bittner. Und nach jedem Besuch nehme ich mir vor, dort öfter zu kaufen und lande dann doch meistens in den Großbuchläden, weil sie so gnadenlos nah an Arbeitsplatz und U-Bahn liegen. ~ Dezember 17, 2001
Stefan Heym ist tot. Danke für Ahasver und den König David Bericht. Keine gesunde Zeit für Schriftsteller dieser Spätherbst. ~ Dezember 15, 2001
W. G. Sebald starb gestern in einem Autounfall. Seine Ringe des Saturn haben mich seit Erscheinen immer wieder gelockt, doch nie ist es zur Lektüre gekommen. Ghul der ich bin, werde ich sie jetzt vornehmen. Keine gute Idee: In der Vorweihnachtszeit mal schnell am Neumarkt auszusteigen um ganz fix einen Sebald zu erstehen. Die Menschenmassen schlossen Schnelligkeit von vorneherein aus und die beiden großen Buchhäuser hatten keine Saturnringe da. Einfach wird mir die Leichengier nicht gemacht. ~ Dezember 13, 2001
Leseblock. Kann keinen längeren Text am Stück lesen. As I Lay Dying angefangen und wieder beiseite gelegt. Herumstöbern ist möglich oder Aphorismensammlungen (Liebet eure Feinde, vielleicht schadet das ihrem Ruf von Lec, Beispiel: Viele die ihrer Zeit vorausgeeilt waren, mußten auf sie in sehr unbequemen Unterkünften warten.). Wer noch ein Zitat für Schreibende sucht: und der dichter bittet unterdessen um ein wort und spart das wort sich ab vom mund aus Skacels Ein Vormittag bei Dichtern in der Küche ~ Dezember 12, 2001
Steine. Ich hege großen Respekt für Steine, vom kleinen Sandkorn über Kiesel, Felsen bis zu Gebirgsmassiven. Was mich keineswegs dazu verleitet, in letzteren herumzukraxeln. Als ich gestern Jan Skacels Wundklee durchstöberte, kam ich wieder an diesem vorbei: willst du nicht steinigen Das war aber nicht der Auslöser für meinen Respekt und mein Zutrauen zu Steinen. Der war eine Science-Fiction Geschichte, die ich in später Jugend las. Sie war in einem Heyne-Sammelband und ich kann weder Autor noch Titel erinnern. Sehr schade, ich würde sie gerne wiederlesen. Es ging um einen Wissenschaftler, der einen Weg in das Innere eines Steines entdeckt hatte und dorthin reiste. Alles was ich erinnere ist, dass es dort sehr ruhig war und es gab einen wiederkehrenden Vers: Zu Jan Skacel: tschechischer Dichter, 1989 verstorben. Reiner Kunze hat die Gedichte in Wundklee übersetzt und womöglich ist dabei eher ein Kunze als ein Skacel herausgekommen, was weiss ich denn schon, bin des Tschechischen nicht mächtig,aber es ist auch egal, denn selbst wenn, sind diese Gedichte immer noch anrührend (an-sprechend) und in kleiner, feiner Sprache verfasst. ~ Dezember 11, 2001
Das hat Something wicked this way comes nicht verdient, so zerstückelt gelesen zu werden und dann noch mit keinem Fazit bedacht zu werden. Es ist ein Buch für einen langen Nachmittag und Abend, dazu gemacht in einem Rutsch durchgelesen zu werden. Gen Ende gefiel es mir immer besser (las auch die letzten 100 Seiten am Stück), was wohl auch daran lag, dass Wills Vater stärker beteiligt war, a very bookish person (eine büchnerische Person -Vorsicht, Anglizismen einzudeutschen läßt man gerade mal Goethe durchgehen). Hat Bradbury geschickt zwei Leserschichten verbunden? Die Jungs fürs junge Publikum, den Vater fürs erwachsene? Die Spannung, das Abenteuer für jung, die philosophischen Hintergründe für alt. Insgesamt ist es aber immer noch ein mannbetontes Buch. Was mir bei anderen Schriftsteller nie sooo auffällt. By the pricking of my thumbs ~ Dezember 10, 2001
Comfort Books. Würde ich gefragt, ich nennte die Kurzgeschichten von Cordwainer Smith oder Lord Dunsany. Oder die Sandman-Serie. ~ Dezember 9, 2001
Moonday Truesday Wodensday Thirstday Fire'sday Satyrday Son'sday The week according to Neil Gaiman. Sandman ist ja nicht nur eine brilliant erzählte und tieftraurige Geschichte, sondern ein Sammelsurium von Anspielungen, kleinen Spielereien und durchdachten Details. ~ Dezember 7, 2001
Langsam komme ich mir vor wie Anna Wulf in Lessings Golden Notebook, die sich in vier Notizbücher aufspaltete. In meinem Fall sind es Weblogs. Meine Lektüre stecke ich hierhin, meine Diäterei ins Brigittchen. Und wohin kann ich mich stecken? Die behaupten (via Susanne), ich sei Mona Lisa. Das ringt mir nur ein müdes Lächeln ab. Was aber unterscheidet ein gemaltes von einem geschriebenen Portrait? A. S. Byatt über The Back Half - Painted Faces. ~ Dezember 6, 2001
Literaturverfilmung, überflüssig. Harry Potter and the Philosopher's Stone. Nett, aber unpfiffig. Augenschmausig. Motivation der Charaktere war mehr als unklar. Wenn ich noch eine Einstellung mit einem grinsenden Harry Potter sehe, vergesse ich mich! Die Musik unter aller Sau und viel zu penetrant. Der einzige Lichtblick: Alan Rickman als Snape, der im Aussehen stark an Oscar Wilde erinnert und die beeindruckenste Stimme seit langem besitzt. Im Orginal wenigstens. Da kann man auch lernen, wie man Hermione ausspricht. ~ Dezember 5, 2001
Nulla dies sine lettra. Und so wenigstens ein paar Kapitelchen Something wicked this way comes abends in der U-Bahn. Eine ziemliche Verklärung der Jugendzeit, speziell der männlichen. Frauen gibt's hier nur als Mütter und Lehrerin. Die späte Heimkehrerein fand dann entzückt Sandman 8 - 10 auf der Matte. Fing mit 8 an, wechselte aber zu 9, weil sie dem Ende der Geschichte doch nicht widerstehen konnte. Ein Wechselbad von Gefühlen. Faszination, Vergnügen und Entsetzen. Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe. Und das natürlich bevor sie den Anfang richtig durch hatte, obwohl sie den Ausgang eh kannte (Segen und Fluch des Internet). ~ Dezember 3, 2001
Something wicked this way comes. Vielleicht der Mann von der GEZ? Ein Phänomen das in Newsgroups zu beobachten ist, wenn Harry Potter gelobt wird: Irgendjemand fängt an ein Gegenbeispiel zu nennen und zu preisen und, da es sich zumeist um das eigene Lieblingsbuch handelt, ziemlich vehement und voll erhabener Potter-Verachtung. In diesem Zusammenhang ist mir Bradburys Something Wicked untergekommen. Die Sprache ist anfänglich befremdlich. Umständlich und poetisch. Die Verklärung des Jungentums und der Jungenfreundschaft macht mir das Buch auch nicht vertrauter. Bislang spricht mich nur das Mysteriöse und Spannende an. ~ Dezember 2, 2001
Vagina Monologe im Theaterhaus Köln. Eine Nummernrevue von Eve Ensler entstanden aus vielen Interviews mit den verschiedensten Frauen. Geglückt in den frechen, lustigen Stücken, an der Grenze zur Peinlichkeit in den ernsteren. Eine Einführung ins Stöhnen, die erste Periode, Vagina-Workshop, die wunderbaren Buchstaben und ihre wohltuende Artikulation in Fotze (interaktiv, war ich froh, nicht in der ersten Reihe zu sitzen, die Betroffenen aber schlugen sich wacker: Schöne Worte mit F - Zuschauerin: Fasane schiessen - Schauspielerin: Öm), Vaginaneurose, die rasierte Vagina, Gewalt an Vaginas, der Vaginasong. Irgendwas habe ich jetzt sicher vergessen. Insgesamt amerikanisch, die Vagina wird zur Mission. Aber größtenteils gut unterhalten, wieder Neues gelernt und Stoff zum Nachdenken war auch dabei. Kein Glanzstück, jedoch empfehlenswert auch für Männer. ~ Dezember 1, 2001
Die interessante gefällige Seite von The Bottoms ist die Suche nach einem Serienmörder in Prä-Profilerzeiten und die durchgehaltene Jungenperspektive. Die interessante verstörende Seite ist die gnadenlose Darstellung südstaatlichen Rassismus. Apartheid, Kukluxclan, Lynchjustiz und der unwillkürliche (eingeimpfte) Rassismus, der so ganz weit hinten im Kopf selbst bei Nichtrassisten mitunter das unheilige Haupt erhebt. Dann erschrickt man vor den eigenen Gedanken und schämt sich und schimpft mit sich und würde sich gerne verstecken, aber wie versteckt man sich vor sich selbst? Lansdale ist nichts für niedrige Ekelwerte (hier ist er sehr zurückhaltend), aber er zelebriert keine Schockeffekthascherei, sondern zeigt erbarmungslos die Abgründe menschlichen Lebens. | ||