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Ein Dilemma der modernen Physik - die String-Theorie
Wie es dazu kam, dass sich die modernste physikalische Forschung mit Gartenschläuchen und Violinen beschäftigt...
Johannes Klauser
Die Physik und die Gesellschaft - zwei Dinge, die nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Ein jeder kennt den Begriff "Physik", manch einer denkt mit Grausen an seine Schulzeit zurück und die Qualen, die ihm dieses Fach bereitet hat, lag es nun an der Materie selbst, oder der Art des Vermittelns dieser Materie. Entsprechend groß sind die Ressentiments und Vorbehalte der Gesellschaft gegenüber der teuren physikalischen Forschung und der Frage über deren Notwendigkeit. Schließlich werden zur Überprüfung moderner Theorien gigantische Apparaturen benötigt, die Millionen an Steuergeldern verschlingen und deren Erfolg oder Nutzen auch unter Forschern mitunter umstritten ist.
Diesen Akzeptanzproblemen versuchen die Forscher auf eigenartige Art zu begegnen: während sie selbst über hochkomplizierten mathematischen Gleichungen, die Sachverhalte beschreiben, welche sich zum größten Teil unserem Verständnis entziehen und auch unter den Forschern selbst mitunter jahrzehntelang kontrovers diskutiert werden - wie zum Beispiel die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik, die zwar als einzig richtige Auslegung des Verständnisses der Quantenphysik deklariert wurde, aber immer berechtigter Kritik unter den Wissenschaftlern ausgesetzt war -, brüten, versuchen sie gleichzeitig, einem großen Teil der Bevölkerung eben diese Sachverhalte in sogenannter "populärwissenschaftlicher Literatur" verständlich zu machen. Ein Paradebeispiel für ein solches Unterfangen ist Stephen Hawkings "Eine kurze Geschichte der Zeit", welches unter Fachleuten durchaus als "schwieriges Buch" gehandelt wurde, nicht für den Massenmarkt geeignet, aber trotzdem über einen langen Zeitraum hinweg in den Bestsellerlisten eines jeden Landes zu finden war, und aufgrund dessen sich mit einem Male große Teile der Bevölkerung in der glücklichen Lage wähnten, die moderne Physik zu verstehen. Über diesen Widerspruch lässt sich in der von Michael White und John Gribbin über Stephen Hawking verfassten Biographie folgende Anekdote zu der "kurzen Geschichte der Zeit" finden:
"Kurz nach der Veröffentlichung des Buches flog der russische Physiker Andrej Linde auf dem Weg zu einer Konferenz quer über den amerikanischen Kontinent, wobei er, wie häufig, neben einem Geschäftsmann zu sitzen kam. Irgendwann während des Fluges blickte er zu seinem Nachbarn hinüber und bemerkte, dass dieser Hawkings Buch las. Ohne den üblichen Smalltalk zu absolvieren, waren die beiden sofort in ein Gespräch über das Buch verwickelt.
"Was halten sie davon?" fragte Linde. "Faszinierend", sagte der Geschäftsmann, "ich kann es nicht aus der Hand legen." Oh, das ist interessant", erwiderte der Wissenschaftler. "Ich fand es teilweise ziemlich schwierig und habe manches nicht ganz verstanden."
Daraufhin klappte der Geschäftsmann das Buch zu und lehnte sich mit einem Mitleidigen Lächeln zu seinem Nachbarn hinüber: "Lassen sie mich erklären..."
Die populärwissenschaftliche Literatur bedient sich dabei größtenteils Veranschaulichungen und visualisierender Vergleiche dessen, wie man sich die Welt der Physiker vorzustellen habe. Es ist davon die Rede, man könne sich die Struktur unserer Welt wie eine "Sattelfläche" denken, und wenn sich unser Raum gerade nicht wie ein gespanntes Gummituch verhält, auf dem die Gestirne herumhüpfen, so könne man ihn getrost als Raum-Zeit-Kontinuum begreifen, was auch immer das bedeuten mag. Es kann sein, dass eben dieser Mystizismus die Attraktivität der populärwissenschaftlichen Literatur ausmacht, dass diese Ausflüchte der modernen Wissenschaft, wenn sie am Ende ihrer populistischen Erklärungs- und Interpretationsmöglichkeiten ihrer Forschungsergebnisse angelangt ist, eine Faszination an eben dieser erreichen, wenn dem Leser bewusst wird, dass er selbst das "wichtige" (nämlich das, was "verständlich" erklärt wurde) verstanden hat, aber dass er das "unwichtige", was er nicht versteht (also hauptsächlich die Herumrechnerei), den Physikern überlassen kann. Damit kann er seine Vorurteile aus der Schulzeit gegenüber den Physikern bestätigen, dass "anspruchsvolle" Physik im Prinzip relativ unwichtig sei, und erklärt sich seine seines Erachtens nach erhabene Stellung gegenüber den Physikern, die ja doch ein sonderliches Völkchen seien, ganz von Realität abgehoben.
Hinzu kommt der Welterklärungsanspruch der Physik, und die Versuche der letzten Jahrzehnte, eine "Weltformel" zu finden, die sämtliche physikalischen Beobachtungen erklärt und eventuell auch Antworten auf philosophisch-existenzielle Fragestellungen nach dem "Woher", dem "Wohin" und dem "Warum" der Menschheit bzw. unseres Universums formuliert. Dies steht im Widerspruch zu den von Philosophie und vor allem Religionen vertretenen Auffassung, man könne mit Hilfe der Naturwissenschaften nicht alle Fragen des Menschen restlos beantworten, es gebe auch Bereiche, die sich einer rationalen Erklärung entzögen und nur mit den Spekulationen der Philosophie oder der Religionen überprüfen ließen, einer Meinung, der auch ein Großteil der Bevölkerung anhängt - nicht umsonst lassen sich eine statistisch über fünfzigprozentige Horoskopgläubigkeit der Menschen in Deutschland attestieren. Demzufolge werden die naturwissenschaftlichen Welterklärungsversuche auch sehr kritisch beäugt, sind allerdings auch unter den Naturwissenschaftlern nicht unumstritten. Letzte Sicherheit in dieser Fragestellung wird es erst geben, wenn die ersehnte "Weltformel" schließlich vielleicht gefunden wird, und dann wird sich auch erst zeigen, ob sie sich überhaupt für Vorhersagen und Erklärungsversuche eignen wird, sei es in der Physik, in der Chemie, in der Biologie oder gar in der Psychologie wie auch Existenzphilosophie, ob sie so einfach zu handhaben sein wird, dass man sie ohne allzu große technische Probleme auf bisher ungelöste Probleme anwenden kann, oder ob sie aufgrund ihrer Komplexität nur als Statussymbol, als heiligen Gral der Physik betrachtet werden kann.
Schon seit etwa 50 Jahren wird eine schnelle Entdeckung dieser Weltformel vorhergesagt, doch immer wieder wurden die Forscher enttäuscht, immer wieder eröffneten sich neue Widersprüche, die einer Erklärung bedurften, widersetzten sich die verschiedenen parallel existierenden und in verschiedenen Systemen richtigen und notwendigen Erklärungstheorien einer Vereinheitlichung. Zwar existiert ein sogenanntes "Standardmodell" der Physik, mit Hilfe dessen alle beobachtbaren Phänomene erklärt werden können, jedoch ist es als "Weltformel" für die Physiker nicht akzeptabel, da dieses Modell zu viele Fragen ungeklärt lässt. Es gibt zum Beispiel keinerlei Hinweis in den Formeln, warum verschiedene Teilchen verschiedene Massen haben, wo die Materie des Universums ihren Ursprung besitzt, oder warum die Quantentheorie in Verbindung mit der Relativitätstheorie bei der Beschreibung der beobachtbaren und erklärbaren Realität versagt. Eben diese Unvollständigkeiten und Widersprüche in dem Standardmodell veranlasst viele Physiker zu der Vermutung, dass es eine Erklärung, eine Formel geben müsse, die das selbe, wie das Standardmodell leistet, aber in diesen Punkten ebenfalls Klarheit schafft und zudem auch noch von einfacherer Gestalt ist. Dies ließe sich aus der bisherigen Geschichte der Physik herleiten, in der eine Theorie meist von einer einfacheren, aber zugleich allgemeineren Theorie abgelöst wurde, die mehr als die vorhergehende Theorie leistete. Ein solches Verhalten wird auch bei der Weltformel erwartet, die demnach von einfachster und allgemeinster Gestalt sein sollte, aber zugleich auch eine entsprechenden Komplexität aufweist, um die Ereignisse und Regeln des Universums vollständig fassen zu können.
Als ein ganz heißer Kandidat für die Weltformel hat sich in den letzten 30 Jahren die sogenannte "String-Theorie" herausgestellt, und auch sie versuchen die Wissenschaftler populistisch "einfach" und anschaulich zu erklären, und wie bei anderen Theorien auch schaffen sie es, sie so zu erklären, dass man, wenn man ein wenig von der Schulphysik mitbekommen hat, das Gefühl hat, die wichtigen Probleme der String-Theorie verstanden zu haben. Der Grundgedanke ist, einen Wiederspruch zwischen der Quantentheorie und der Gravitationswechselwirkung zu vermeiden. Denn in der klassischen Formulierung dieser beiden Theorien geht man von Elementarbausteinen der Materie aus, die punktartig sind, also theoretisch keinerlei räumliche Ausdehnung besitzen. In den "normalen" Rechenanwendungen spielt dieser Aspekt keine Rolle, da man die eventuell auftretenden Probleme in den meisten Fällen mit Hilfe einiger komplizierter mathematischer Verfahren und Tricks umgehen kann. Jedoch ergibt sich ein grundsätzlicher Widerspruch bei der in den beiden klassischen Theorien erlaubten Situation, dass sich zwei Masseteilchen aufgrund ihrer nicht existierenden räumlichen Ausdehnung im Prinzip unendlich nahe einander annähern ließen. Dies würde aber nach den Gesetzen der Gravitationswechselwirkung zu einer unendlich hohen Schwerkraft zwischen den Teilchen führen - eine physikalische Absurdität, ein Widerspruch. Um diesen Widerspruch zu umgehen, gehen die String-Theoretiker von dem Gedanken aus, jedes der kleinsten Teilchen verdanke seine Existenz einem bestimmten Schwingungszustand einer noch kleineren Einheit mit einer definierten Größe, die ungleich null ist, eben einem sogenannten "String".
Ganz anschaulich formuliert, für jeden verständlich und nachvollziehbar, erklären die Forscher einen String als ein Fädchen, vergleichbar einer Violinsaite, die in bestimmten Situationen - anhängig von Länge und Spannung der Saite - unterschiedliche Töne hervorbringt. Zwar ist ein solcher String im Vergleich zu einer Violinsaite unvorstellbar klein, nämlich 10^-33 cm, aber mit lustigen Vergleichen könne man sich eine solche Länge auch vorstellen: Ein String, verglichen mit einem Stecknadelkopf, sei sogar noch kleiner, als ein Stecknadelkopf verglichen mit der geschätzten Größe des Universums. Also wahrhaftig winzig, und lustig deshalb, da die geschätzte Größe des Universums auch nicht genau bekannt, geschweige denn definiert ist. Es bleibt für den Leser also die Erkenntnis, dass das Universum unvorstellbar groß und ein String im Gegensatz unvorstellbar klein ist, allen Erklärungsversuchen zum Trotz bleibt er so schlau, wie zuvor.
Aber für die theoretische Physik ist dieser Aspekt, trotz aller Unvorstellbarkeit, entscheidend. Denn nun können sich zwei Elementarbausteine nicht mehr beliebig nahe kommen, eine Verbindung der Quantentheorie mit Einsteins Relativitätstheorie rückt in den Bereich des Möglichen. Jedoch ergaben sich bei einer näheren Untersuchung und einigem Überdenken dieser Idee einige zunächst unüberbrückbar scheinende Gegensätze, plötzlich fanden die beteiligten Forscher, allen voran die beiden Physiker John Schwarz und Michael Green im Jahre 1984, insgesamt sechs verschiedene Theorien, die alle das selbe zu leisten scheinen, und jede einzelne für sich ihre Berechtigung hat. Sie unterscheiden sich vor allem in der Annahme über das Aussehen der Strings, ob sie nun offene Fädchen, oder geschlossene Schleifen seien, und vor allem, ob sie eine sogenannte "Supersymmetrie" aufweisen, die für eine Beschreibung von Fermionen, einer bestimmten Teilchenart, und für einen engen Zusammenhang von Materieteilchen und Naturkräften unumgänglich ist.
Und ein weiteres Problem offenbarte sich: in jeder der sechs String-Theorien ergaben sich aus Gründen mathematischer Geschlossenheit und Vollständigkeit nicht nur unsere bekannten vier Raum-Zeit-Dimensionen, sondern 11 Dimensionen in den Superstring-Theorien bzw. gar 27 Dimensionen in der Theorie der offenen Strings. Was war zu tun? Und vor allem: Wie sollte man sich die offenbar zu viel vorhandenen Dimensionen vorstellen, da man bisher in allen Experimenten der Physikgeschichte keinerlei Hinweise auf irgendwelche zusätzlich vorhandenen Dimensionen hatte? Doch auch hier wussten die Physiker in ihren medialen Publikationen Rat. Man müsse sich die fehlenden Dimensionen sozusagen zusammengerollt vorstellen, versteckt zwischen den vier uns sichtbaren Dimensionen. Erst bei näherem "Hinsehen" könne man sie entdecken, vergleichbar einem Gartenschlauch, der uns aus der Entfernung betrachtet wie einen eindimensionale Linie vorkommt, sich bei näherer Betrachtung aber als dreidimensionaler Schlauch entpuppt.
Aber wie soll man die Richtigkeit des Ansatzes der String-Theorie nun nachweisen? Für alle historischen naturwissenschaftlichen Theorien hat man zu ihrer Begründung bis dahin nicht bekannte Phänomene entdecken können, die von den neuen Theorien vorhergesagt wurden, wodurch die Theorien bestätigt wurden und eventuell eine alte Theorie ablösten. Jedoch wird man aufgrund der winzigen Größe der Strings nie in der Lage sein können, diese direkt zu beobachten. Man weist in diesem Zusammenhang immer darauf hin, dass man zu einer String-Beobachtung Mikroskope bzw. Beschleuniger bräuchte, die größer als unser Milchstraßensystem sein müssten, ein Ding der Unmöglichkeit. Statt dessen versucht man, entweder die prognostizierten Extradimensionen entdecken zu können, oder aber eine Vorhersage der String-Theorie nachzuweisen, nach der in Gravitationswellen gewisse Abweichungen von den erwarteten Messwerten zu beobachten sein werden. Jedoch auch hier scheitert die Forschung bisher noch an der Messgenauigkeit der Instrumente, aber diese Schwierigkeiten lassen sich in naher Zukunft wahrscheinlich umgehen, vor allem von einem neuen Beschleuniger in der Nähe von Genf erhofft man sich neue Ergebnisse.
Kurz zusammengefasst: Wir haben es bei der voraussichtlichen weltbeschreibenden Theorie mit sechs verschiedenen "String-Theorien" zu tun, die multidimensionale Gartenschläuche beschreiben, welche wie Violinsaiten durch Schwingungen verschiedene "Töne" bzw. Elementarteilchen erzeugen und dabei so unvorstellbar klein sind, wie das Universum unvorstellbar groß ist, und deshalb nie beobachtete werden können.
So war zumindest der Stand der Dinge vor einigen Jahren, bis sich ein schlauer Mann namens Edward Witten, Professor am "Institute for Advanced Study" in Princeton, ganz insgeheim sagte, dass dieses Ergebnis nicht so ganz das Gelbe vom Ei sei, und es einer grundlegenden Renovierung des String-Theorien-Gebäudes bedürfe. Er bemächtigte sich also allerlei mathematischer Mittelchen und schaffte es tatsächlich, die Geburtsfehler der String-Theorie maßgeblich zu lindern, indem er alle sechs bekannten String-Varianten auf einen einzigen Ansatz zurückführte, die "M-Theorie". "M" steht hierbei für "Membranes", "Matrix", oder auch "Magic", je nach Intension des Verfassers. Es unterscheidet sich von den bisherigen Modellen darin, dass es keine eindimensionalen Fädchen beschreibt, sondern zweidimensionale Membrane von der Größenordnung der Strings, die ebenfalls nicht direkt nachzuweisen sind, auf denen die Fädchen schwingen können. So ist jedenfalls der populistische Jargon der Forscher, die aber selbst zugeben müssen, wie z.B. Jan Lois von der Universität Halle, dass diese neuen Entwicklungen und Erkenntnisse noch nicht annähernd hundertprozentig verstanden seien, zumal es Hinweise gäbe, dass die Raumzeit selbst kein Kontinuum sei, sondern ebenfalls eine stringartige Struktur aufweisen. Aber Hauptsache, der wissenschaftliche Laie wird in der Gewissheit gehalten, die modernste Physik begreifen zu können. Denn wer kann sich nicht schwingende Flächen vorstellen?
 
 
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18.02.2001 Als heißer Kandidat für die sogenannte Weltformel hat sich die String-Theorie herausgestellt.
www.superstringtheory.com |