D i e   Z u k u n f t  
d e r   E u r o p ä i s c h e n   U n i o n

Feinsteuerung der Europäisierung

Das Modell der abgestuften Integration als Kompromisslösung

Andreas Menn

Wie lässt sich das Dilemma zwischen nationalen Interessen und der Europäischen Vision lösen? Patentlösungen gibt es sicherlich nicht. Fest steht, dass zukünftige Strategien für eine weitere Entwicklung der EU eine Kompromisslösung darstellen müssen zwischen Flexibilisierung, Erweiterung und Vertiefung. Maßnahmen zur verstärkten Zusammenarbeit sind grundsätzlich sinnvoll. Allerdings besteht hier die Gefahr des strukturellen Abdriftens langsamerer Staaten. Ein Weg der verstärkten Zusammenarbeit muss die Absicherung bieten, dass sich die EU nicht zu einem Europa der "ersten und zweiten Liga" zergliedert. Das Szenario der "abgestufte Integration" bietet hier einen vielversprechenden Ansatz.

Die abgestufte Integration stellt eine Möglichkeit dar, Flexibilisierung zuzulassen, ohne die Einheit zu gefährden. Gemeinsam festgelegte Ziele können in unterschiedlicher Geschwindigkeit angegangen werden. Vorausgesetzt wird die Bereitschaft der weniger fortgeschrittenen Staaten, die anderen in Teilbereichen voranziehen zu lassen.

Mittels dieser Feinsteuerung werden die unterschiedlichen Fähigkeiten der Staaten berücksichtigt, jedoch wird keine spaltende Cliquenbildung zugelassen. Gleichzeitig bleibt die Dynamik der EU erhalten. Neue Initiativen scheitern nicht an den kurzfristigen Bedenken einzelner Staaten, weil ihnen der langfristige Aufschluss zugesichert bleibt. Dies könnte der EU neue Impulse verleihen und nationale Ressentiments in europapolitische Ideen verwandeln. Die Dynamik der Integration könnte auf diese Weise erhalten werden.

Sicherlich impliziert die abgestufte Integration auch Nachteile und Gefahren. Denn diese gezügelte Form der verstärkten Zusammenarbeit und differenzierten Integration erhöht auch das Maß an Komplexität. Die wünschenswerte Transparenz ist auf solchem Wege nicht eben mühelos zu erreichen. Und auch hier besteht die Möglichkeit eines strukturellen Abdriftens einzelner Staaten, die der Geschwindigkeit der voranschreitenden Nationen nicht mehr folgen können. Es ist also Vorsicht anzuraten im Umgang mit dieser Option. Dennoch bietet sie gegenwärtig die beste unter den gegebenen Lösungen zur Gestaltung der zukünftigen Entwicklung der EU, weil sie zwischen den Extremen vermittelt, ohne die EU selber in Frage zu stellen.

Das Szenario der abgestuften Integration setzt voraus, dass die EU zu einer funktionalen Gestalt findet.

"Europa braucht einen einfachen, verständlichen Text, der klar sagt, wie die EU funktioniert und wer für was zuständig ist." (Vaclav Havel in der ZEIT).

Langfristig betrachtet kann die EU nur bestehen bleiben, wenn sie demokratischer gestaltet wird. Bislang kann allerdings von einer europäischen Öffentlichkeit wohl kaum die Rede sein. Die Kenntnisse über das System der EU sind gering. Die Europäische Medienberichterstattung ist spärlich und diffus, europäische Verbände und Initiativen sind erst im Aufbau. Die europäische Politik berührt den Bürger nicht spürbar genug in seinem Alltag. Damit fehlt auch der Forderung nach einer europäischen Verfassung bislang die Grundlage.

In der Flexibilisierungsdebatte äußerst sich das grundlegende Dilemma, in dem Europa heute gefesselt ist: Der Drang zur europäischen Integration trifft auf den Willen zum Erhalt des Nationalstaats. Wo die internationalen Herausforderungen und Bedrohungen zu groß werden, nutzt man die Stärke des Bündnisses. Weitere Souveränitätsverluste werden hingegen vielfach als Anmaßung empfunden.

Dieser ausgeprägte Realismus kann im 21. Jahrhundert nicht mehr politische Richtschnur sein. Heute ist der Nationalstaat für die großen Probleme zu klein und für die kleinen Probleme zu groß. Manche Regierungen möchten sich dies noch nicht so richtig zugestehen.

Die "Vereinigten Staaten von Europa" wird es so schnell nicht geben. Dennoch erscheint eine Fortführung Integration nach dem föderalistischen Leitbild sehr sinnvoll. Dies kann aber nur stückweise realisiert werden.

"Eine abrupte Veränderung der gegenwärtigen Integrationstiefe wird, auch wenn sie von einer aufrechten europäischen Gesinnung getragen ist, durch Legitimitätslücken und Desintegrationsrisiken erkauft. Gegenüber einer Politik der schrittweisen Reformen und langen Konsolidierungsphasen gibt es deshalb in der Europapolitik keine Alternative." (Josef Janning).

Die europäische Integration wird also auch weiterhin die Methode der kleinen Schritte sein. Neu ist, dass sich diese Schritte in Zukunft stärker an einer gemeinsamen Strategie ausrichten müssen. Je größer die Zahl der Mitgliedsstaaten und je tiefer die Zusammenarbeit, desto wichtiger ist die Herausbildung eines gemeinsamen Integrationskonzepts. Eine gemeinsame Strategie erleichtert auch ein gemeinsames Votum für Europa.

[ Teil 5: Europa als Kosten-Nutzen-Rechnung?

>> Teil 7: Kulturelle Heterogenität als Chance

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20.03.2001


Die Zukunft der EU



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