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Hier stelle ich einige Bücher vor, die mir selbst wichtig sind,
unabhängig davon, ob diese Bücher etwas mit (feministischer) Theologie
zu tun haben. Kreuz und quer eben.

Ulrike Bail:
Gegen das Schweigen klagen
Eine intertextuelle Studie zu den Klagepsalmen Ps 6 und
Ps 55 und der Erzählung von der Vergewaltigung Tamars
Gütersloher Verlagshaus
Gütersloh 1998
Als "Protest im Namen des Glaubens", als Anrufung Gottes,
mit der die "an den Rand geschwiegenen" Opfer von Gewalttaten
die Sprach- und Gewaltmacht der Täter aufbrechen und Gottes Gerechtigkeit
einfordern, charakterisiert Ulrike Bail die biblischen Klagepsalmen.
Sie geht in ihrer Studie der Frage nach, ob und in welcher Weise
diese Psalmen geeignet sind, den spezifischen Gewalterfahrungen
von Frauen Raum und Stimme zu geben. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit
steht dabei nicht die historische Rekonstruktion von Entstehungsgeschichte
und Urheberschaft der Psalmen; diese werden vielmehr als poetische
und damit offene Texte verstanden, in die auch nachfolgende Generationen
ihre Erfahrungen einschreiben und auf diese Weise vor Gott bringen
können.
Ausgehend von dem literaturwissenschaftlichen Konzept der Intertextualtität
als der Theorie von der Verknüpfung und Verknüpfbarkeit aller Texte
entwickelt die Autorin eigene Kriterien und Ansätze, die eine Fruchtbarmachung
dieser Theorie für feministische Fragestellungen ermöglichen. Ihr
Anliegen ist es dabei, die biblische Erzählungen von sexueller Gewalt
gegen Frauen, insbesondere die Geschichte von der Vergewaltigung
Tamars, mit den Klagepsalmen "ins Gespräch" zu bringen.
"Wo die einen Texte schweigen, sprechen die anderen."
Eine innerbiblische Parallele zu diesem Konzept findet die Autorin
in der nachträglichen Verknüpfung vieler Psalmen mit der Lebensgeschichte
Davids durch Einfügung entsprechender Überschriften. Am Beispiel
der Psalmen 6 und 55 weist sie im Anschluß daran überzeugend nach,
daß die dort geschilderten Gewalterfahrungen geeignet sind, dem
Schrecken, dem Schmerz und der Wut vergewaltigter und erniedrigter
Frauen Ausdruck zu verleihen und als ihr "Protest im Namen
des Glaubens" verstanden werden können. Folgerichtig ist es
denn auch, wenn die Autorin dem 6. Psalm nachträglich folgende Überschrift
voranstellt:
Ein Klagelied Tamars,
der die Gewalt Körper und Sprache zerstört hat.
Zu sprechen gegen das Schweigen.
Ein sprachlich und inhaltlich brillantes, über weite Strecken geradezu
spannendes Buch, das trotz seines wissenschaftlichen Charakters
auch für Nichttheologinnen verständlich bleibt und besonders Frauen
einen ganz neuen Zugang zu den biblischen Psalmen eröffnen dürfte.


Ellen Bass / Laura Davis:
Trotz allem
Wege zur Selbstheilung für sexuell mißbrauchte Frauen
Berlin 1990
"Es gibt mehr als Wut, mehr als Trauer, mehr als Angst und
Schrecken. Es gibt Hoffnung. (...) Gib dich nicht auf."
Dieses aus den Erfahrungen zahlloser betroffener Frauen gespeiste
Buch ist mir in den ersten, chaotischen Jahren meiner aufbrechenden
Erinnerungen zum echten Überlebensmittel geworden. Es hat mir zum
Weinen verholfen und zur Wut, es hat mich getröstet und immer wieder
ermutigt, den schmerzhaften Heilungsweg weiterzugehen trotz
allem.


Dorothee Sölle:
Mystik und Widerstand
"Du stilles Geschrei"
Hamburg 1997
Von "Himmelsleitern und Erdstationen" schreibt Dorothee
Sölle in ihrem neuen Buch, das sie selbst als ihr Lebenswerk bezeichnet.
Weit ausholend zeichnet sie dabei die verschlungenen Wege der Gottsuche
nach, die Mystikerinnen und Mystiker durch die Jahrhunderte hindurch
gegangen sind. Daß die Mystik keine Geheimlehre für wenige Privilegierte
bleibt, sondern alle Menschen Gott schmecken können, dieses Anliegen
wird in dem Buch immer wieder deutlich. Wohl auch deshalb verbindet
die Autorin schon im Titel die individuelle Gotteserfahrung unauflöslich
mit dem Engagement für Frieden und Gerechtigkeit. Denn Gott will
für alle die Fülle des Lebens.


Etty Hillesum:
Das denkende Herz
Tagebücher von 1941 bis 1943
Hamburg 1985
Eine junge holländische Jüdin beschreibt und reflektiert die immer
weiter sich zuspitzende Ausgrenzung und Verfolgung durch die deutsche
Besatzungsmacht. Wie ihr in dieser lebensbedrohlichen Situation
trotz aller Demütigungen und Schikanen ein Leben in Würde gelingt;
wie sie durch Angst und Verzweiflung hindurch immer tiefer in eine
tragende und nährende Gottesbeziehung hineinwächst, davon erzählt
dieses Buch. Es hat mich tief bewegt und verstört, zum Widerspruch
herausgefordert und begeistert.


Rüdiger Sachau:
Weiterleben nach dem Tod?
Warum immer mehr Menschen an Reinkarnation glauben.
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1998
Die traditionellen Jenseitsvorstellungen des Christentums sind
heute bei vielen Menschen vom Glauben an die Wiedergeburt abgelöst
worden. In einer klugen und sachlichen Analyse der gegenwärtigen
Situation verdeutlicht der Autor, warum das so ist. Hinter schwammigen,
nichtssagenden Formulierungen auf der einen Seite und fundamentalistischen
Wiederholungen altbekannter Zerrbilder auf der anderen Seite macht
Sachau ein unausgesprochenes, aber höchst wirksames Phantasieverbot
innerhalb der christlichen Kirchen aus.
Dem gegenüber steht ein von seinen östlichen Wurzeln losgelöster
und an die Bedürfnisse der westlichen Moderne angepaßter Reinkarnationsglaube,
in der menschliches Leben als eine Aneinanderreihung von Lernchancen
verstanden wird, die durch zahllose Inkarnationen hindurch zur eigenen
Vollendung führen. Vor allem die damit verbundene Karmalehre muß
dabei aus christlicher Sicht zu kritischen Anfragen führen. Das
Christentum selbst aber braucht neue, kraftvolle Hoffnungsbilder
der Auferstehung, die unsere Sehnsucht wach halten und doch die
Grenzen unseres Wissens zu akzeptieren vermögen.

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