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Frauenkirche heißt weder
, daß wir die offizielle Kirche als Sekte verlassen, noch, daß wir uns zu ihren Bedingungen in sie einordnen.... Nur wenn einige Gruppen intensiv und ausschließlich an der Gestaltung der Gegenkultur arbeiten, ohne Kontrollen und Einschränkung von seiten der patriarchalen Kultur, und nur wenn sie dabei in Dialog und Interaktion mit Frauen in den Institutionen bleiben, die das, was in den alternativen Gemeinschaften entwickelt wird, adaptieren und verwenden, kann ein echter dialektischer Transformationsprozeß stattfinden, Wir müssen es ablehnen, nur zwischen den beiden von der Institution definierten Möglichkeiten zu wählen, nämlich entweder die Bedingungen der etablierten Kirche zu akzeptieren oder jede Verbindung mit ihr abzubrechen, sektiererisch zu werden und feindselig auf die Menschen zu reagieren, die innerhalb der Institutionen arbeiten. Die Abgegrenztheit der Sekte mag radikaler erscheinen, tatsächlich ist sie aber nur die Kehrseite der Forderung nach Anpassung an die Bedingungen der Institutionen. Beide Optionen zielen darauf ab, den kreativen dialektischen Prozeß zwischen dem Exodus innerhalb und jenem außerhalb der Grenzen zu unterbinden. Nur dieser kreative Prozeß kann aber zu einer echten Transformation und zu einer Neudefinition der Inhalte und Werte führen, die mit lebendiger Kirche verbunden sind.

Rosemary Radford Ruether
Unsere Wunden heilen, unsere Befreiung feiern
Stuttgart: Kreuz Verlag, 1988

 

 

Gebet einer Vorsitzenden vor der Sitzung

Kraft, Kraft
Send auf den Gang mir die Flamme,
Daß sie mir leuchtend den Weg weis´
Und ich nicht fehle den Pfad
durch dich zu dir!

Kraft, Kraft
Hilf mir im Gewirre der Stimmen,
Daß ich nicht, irrend im Lärm,
Nicht mehr fände das Wort
durch dich für dich!

Kraft, Kraft
Lasse in Atem und Herzschlag
Mich von dem Rhythmus erfüllt sein
Der Recht und Wahrheit trägt
aus dir zu dir!

Bertha Pappenheim
Gebete
Verlag Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland: Düsseldorf, 1954
Neuauflage der vom Jüdischen Frauenbund im Jahre 1936 ausgewählten und herausgegebenen Gedichte

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Einmal hat ein Hörer meiner Vorlesung vor 330 Leuten etwas sehr Ehrliches gesagt. Etwa so: "Ich fühle mich eigentlich ganz wohl. Ich habe keine Fragen. Zugleich bin ich unbefriedigt, weil ich keine Fragen habe. Sie haben eben über geistlichen Hunger gesprochen, das hat mich erschreckt. Ich wäre auch gern hungrig, bin es aber nicht."
Mit dem Gotteshunger ist es so, dass er zwar wie der leibliche immer wieder kommt, das er aber ganz leicht abgelenkt und umfunktioniert werden kann. Dann vergisst man ihn, schlägt sich den Bauch mit anderen Sachen voll und erklärt: "Ich bin nicht religiös." Dieser triviale Satz hört sich für mich ungefähr so an, wie wenn einer sagte: "Es macht mir nichts, dass meine Schwester vergewaltigt wird und mein Bruder in einem psychiatrischen Krankenhaus eingeht, ich bin sowieso auf beiden Augen blind und weiß nicht, was Tanzen heißt, ich bin eben nicht religiös."
Gott brauchen wir aus Schmerz, Angst und Wut, das sind die verstoßenen Geschwister der Liebe. Wenn wir Schmerz, Angst und Wut wieder an uns heranlassen, dann kommen wir heraus aus der Anspruchslosigkeit, dass wir vom Leben nicht mehr verlangen als das Butterbrot.
Früher gehörte Gott zum alltäglichen Brot. Die Gott-Sprache war eine allgemeine, für alle verständliche Sprache. Die Vision eines Lebens, in dem alle satt werden, war in dieser Sprache aufbewahrt. Heute fehlt die Vision, und das Essen ist eine Privatangelegenheit. Aber so anspruchslos, so visionsfrei, so geistlos, so auf Geld und Karriere zurückgebogen sind die Menschen nicht. Mit dem Gotteshunger ist es so, dass er nicht kaputtzukriegen ist.

Dorothee Sölle
Den Rhythmus des Lebens spüren
Freiburg: Herder Verlag, 2001

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Hat wohl jemand eine Harfe in den Baum gehängt

Zerissen-kaputtes Herz
ich hängs in den Birnbaum vom Nachbarn
geh herzlos umher unangreifbar
die Leute findens gut sagen na siehst du
und schütteln mir freundlich die Hand.

Nur nachts wenn ich still lieg und horche
klingts wie zerrissenes Schluchzen und ich denk
hat wohl jemand eine Harfe in den Baum gehängt
und der Wind fährt drüber da weint sie.

Ute Zydek
Ein Haus das hab ich nicht
Wuppertal: Kiefel Verlag, 1981

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Der Versuch, Leid durch Reinkarnation und Karma logisch zu erklären, weicht der emotionalen Erfahrung von Sinnlosigkeit aus. Wenn mit Reinkarnation und Karma jedes Schicksal zur eigenen Schuld wird, jedesmal nur die eigene Verantwortung gesucht werden soll, dann wird nicht nur der vom Schicksal betroffene Mensch auch noch zusätzlich belastet, sondern jede Suche nach strukturellen Ursachen, jedes politische Engagement verhindert. Reinkarnation macht die Welt zwar rationaler, aber auch kälter, wenn jedes Schicksal eine Chance sein muß...
Der christliche Glaube fordert nicht, daß Schicksal ein Lernweg ist, sondern begibt sich tröstend, helfend und begleitend auf die Seite der Opfer...
Es gilt nicht die Logik der Schule, sondern die Kraft der Liebe.

Rüdiger Sachau
Weiterleben nach dem Tod?
Gütersloh, 1998

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Wenn sich Frauen der Verheerung bewußt werden,
die ihnen und denen, die sie lieben, durch patriarchale Systeme angetan wird, werden sie in der Regel wütend. Dies ist eine gerechtfertigte, kraftvolle Reaktion darauf, daß sie betrogen und herabgesetzt werden....
Frauen, die in gerechter Wut brennen, bieten ein ausgezeichnetes Bild für Gottes entrüstete Macht des Zorns, der durch Ungerechtigkeit entfacht wird.

Elizabeth A.Johnson
Ich bin die ich bin
Wenn Frauen Gott sagen
Düsseldorf: Patmos-Verlag, 1994

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Es gehört zum Wesen des Christentums, daß es Hoffnung erweckt und stärkt, aber auch fordert.

Luise Rinser
Vom Sinn der Traurigkeit
Zürich: Arche Verlag, 1962

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In den gegenwärtig existierenden Kirchen leiden Frauen unter sprachlichen Mangelerscheinungen und eucharistischer Aushungerung. Sie finden keine Nahrung mehr für ihre Seelen in einem entfremdeten Gotteswort, das ihre Existenz nicht wahrnimmt oder systematisch verleugnet. Sie hungern nach dem Wort des Lebens, nach symbolischen Formen, die ihre ganze Existenz als Menschen und als Persönlichkeiten voll und ganz bestätigen, nach dem Wort der Wahrheit, das den Sexismus als Übel benennt, nach Zukunftsmöglichkeiten, die über das Patriarchat hinausgehen....

Rosemary Radford Ruether
Unsere Wunden heilen,unsere Befreiung feiern
Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1988

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Heutzutage wird das Wort “traurig” verächtlich benutzt. Eine “traurige” Person wird als dämliche Verliererin zurückgewiesen. Traurigkeit zu empfinden, wird von Frauen wie Männern als Krankheitssymptom betrachtet, das der Behandlung bedarf. Tatsächlich ist Traurigkeit der Nährboden, aus dem Witz und Ironie sprießen. Traurigkeit ist unbehaglich und kreativ, deshalb kann die Konsumgesellschaft sie nicht tolerieren. Die Konsumkultur verkauft Gegenmittel gegen die Traurigkeit, Glück in eßbarer Form, seelenbetäubenden Trost.

Germaine Greer
Die ganze Frau 
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2000

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Lehre uns, Minderheit zu werden, Gott

in einem Land, das zu reich ist,
zu fremdenfeindlich und zu militärfromm.
Paß uns an deine Gerechtigkeit an,
nicht an die Mehrheit.
Bewahre uns vor der Harmoniesucht
und den Verbeugungen vor den großen Zahlen.
Sieh doch, wie hungrig wir sind
nach deiner Klärung.
Gib uns Lehrerinnen und Lehrer,
nicht nur Showmaster mit Einschaltquoten.
Sieh doch, wie durstig wir sind
nach deiner Orientierung,
wie sehr wir wissen wollen, was zählt.
Verschwistere uns mit denen, die keine Lobby haben,
die ohne Arbeit sind und ohne jede Hoffnung,
die zu alt sind, um noch verwertet zu werden,
oder zu ungeschickt und zu nutzlos.
Weisheit Gottes, zeig uns das Glück derer,
die Lust haben an deinem Gesetz
und über deine Weisung murmeln tags und nachts.
Sie sind wie ein Baum,
gepflanzt an frischem Wasser,
der Frucht bringt zu seiner Zeit.

Dorothee Sölle
Träume mich Gott
Wuppertal: Peter Hammer Verlag, 1994

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