Wer in Deutschland Rollenspiel betreibt, hat sicher schon von der Gilde der Fantasy-Rollenspieler (GFR e.V.) gehört. Diese Gilde (ca. 600 Mitglieder) bringt ein eigenes Magazin heraus: Windgeflüster.

In Ausgabe 34 vom Oktober 1996 wird Yass von Ralf Sandfuchs, dem früheren Vorsitzenden der GFR, rezensiert:


"Yet another strange system", dafür soll Yass stehen.

"Noch ein weiteres, seltsames System." Komischer Name.

Aber wenn man vom ersten optischen Eindruck ausgeht, könnte da schon was dran sein. Auf einer cartoon-artigen Zeichnung tummelt sich eine Gruppe seltsam dreinschauender Leute, vom Yuppie-Manager bis zur "Straßendame", das Ganze auf schreiend grüner Pappe gedruckt. Vielleicht nicht unbedingt professionellen Maßstäben genügend, aber Yass trägt seinen nicht-kommerziellen Hintergrund sowieso offen zur Schau.
So wurde wohl auch eine aufwendige Heftung für unnötig erachtet; die 74 Innenseiten sind zusammen mit den beiden Pappbögen, die als Umschlag dienen, in eine Plastik-Klemme gezwängt worden, die ihre Aufgabe mit bewundernswertem EInsatz erfüllt (erst, nachdem das Heft durch mehrere Hände zum Scannen gewandert ist, zeigte sie erste Ermüdungserscheinungen... war aber auch ein Härtetest).

Wenn man sich dann an das Innere heranwagt, erwartet einen dort zunächst ein sehr sauberes und gut lesbares Layout, von vielen Bildern, Cliparts und gerasterten Fotos durchzogen.

Am Anfang rafft man nur nicht, worum es bei Yass eigentlich geht, denn die Erläuterungen zum Hintergrund beginnen leider erst auf Seite 61. Davor glaubt man sich eher in einem Irrenhaus als in einem Rollenspielsystem. Zum Glück macht das bloße Lesen des Regelwerks soviel Spaß, daß solche Kleinigkeiten zunächst gar nicht so sehr stören, und später, nachdem man alles gelesen hat, versteht man dann doch noch, was um die Charaktere herum vorgeht.

Yass zählt mit Sicherheit zu den erfrischendsten Rollenspiel-Parodien, die ich kenne. In wunderbar gehässig-flapsigem Ton mit Dutzenden von Anspielungen auf alle möglichen Bereiche der Phantastik wird man durch die Erläuterung der sieben Attribute Inkompetenz, Machtgier, Chaos, Dekadenz, Auflehnung, Donner, Arroganz und Eitelkeit begleitet. Ach ja, und wenn jetzt einer meint, besser zählen zu können als ich (oder als der Autor von Yass), dann darf er sich ganz besonders über Attribut 8a freuen: Erbse, für alle Erbsenzähler dieser Welt.

Einige werden jetzt einwenden, daß es bei solchen Attributen ja umso schlimmer für den Charakter aussieht, je höher seine Werte werden.
Stimmt! Wenn man sich bei Yass höhere Attribute erarbeitet, steigert man dadurch vor allem die eigene Unzulänglichkeit und Unerträglichkeit. Und durch die doch recht seltsamen Charakterklassen wie Vertreter, Friseuse oder Reinigungspersonal und durch ihre besondere Weltsicht werden diese Un-Fähigkeiten auch noch bis an die Grenze des Zumutbaren gesteigert. Und genau das ist das Ziel von Yass.

Hier wird das althergebrachte Rollenspiel praktisch auf den Kopf gestellt. Der Spieler weiß fast immer mehr als sein Charakter, und es geht in jeder Situation darum, die Inkompetenz des eigenen Charakters gewinnbringend auszuspielen.

Wenn ein Charakter eine Tür öffnen will, wird er nicht den Schlüssel nehmen, auf dem "Haustür" steht, sondern sein Glück, je nach Charakterklasse, mit dem Griff eines Schrubbers oder mit einem Geldschein versuchen (wenn er seine Kreditkarte gerade nicht dabei hat). Es kann natürlich auch sein, daß er etwas Interessanteres findet, womit es sich eher zu beschäftigen lohnt.
Ein Putzmann würde sich wohl eher den Rostflecken am Schloß widmen, und vielleicht, wenn es dem Spielleiter gefällt, wird er dabei irgendetwas anstellen, wodurch es sich dann doch noch öffnet (ein kräftiger Spritzer Fensterreiniger hat schon so manches Code-Schloß kurzgeschlossen).

Klingt verrückt? Ja, das ist es wohl auch...
aber auch faszinierend. Der Spieler muß seinen Charakter so dumm agieren lassen, wie es nur geht, dabei aber versuchen, durch die Ausnutzung der ganz speziellen Eigenarten seines Charakters doch noch ans Ziel zu kommen.
Das klingt auf den ersten Blick vielleicht einfach, wird aber in der Ausführung dann umso schwieriger. Da hätte ich mir mehr Hilfe gewünscht als ein (zugegebenermaßen gelungenes) Demo-Abenteuer von zwei Seiten und eine weitere Seite Tips zum Szenario-Aufbau für den angehenden Yass-Spielleiter. Einige hilfreiche Erweiterungs-Heftchen wären hier wohl angebracht (bitte beachten Sie den am Seitenrand eingeblendeten, winkenden Zaunpfahl).

Ein Spiel wie Yass funktioniert natürlich nicht in einer normalen Welt, aber wie alles andere ist der Hintergrund hier recht außergewöhnlich. Allzuviel kann und will ich dazu aber nicht verraten, denn Aufgabe der Spieler ist es unter anderem herauszufinden, was um sie herum überhaupt passiert ist. Die Charaktere wissen nur, daß sie sich nach einem eigenartigen Bus-Unfall in einer sehr seltsamen Welt befinden, die ganz anders ist als jene, in der sie am Morgen noch wachgeworden sind.

Was auch immer die Spieler und Charaktere aber so anstellen, sie müssen sich vor allem auf ihren eigenen Erfindungsreichtum verlassen. Regeln standen bei Yass nicht sehr weit oben auf der Liste der Prioritäten. Außer einer Attributsprobe mit einem W20 und einem Erfolgswurf mit Prozentwürfeln, bei dem der Spielleiter die Chance ganz nach Lust, Laune, Windgeschwindigkeit und Cola-Temperatur bestimmt, gibt es keine Regeln. Und nach Meinung des Autors (und auch nach meiner) braucht man auch nicht mehr, was der eigenen Phantasie im Weg stehen könnte.

Yass ist, ähnlich wie Paranoia oder PP&P, ein schönes Spiel für zwischendurch. Man kann sich einfach mal amüsieren, aber wie bei den beiden "Kollegen" auch, muß man sich doch ein wenig anstrengen, um nicht als tumbe Dumm-und-dümmer-Nachahmung durch die Gegend zu stolpern. Humor ist eben immer noch eine sehr anstrengende Sache.

Wie auch immer, ich befürchte, daß das Spiel keine allzu großen Erfolgschancen hat. Vier Gründe sprechen dagegen:

  1. Es ist ein Fan-Produkt und versucht das auch nicht zu verstecken
  2. Man braucht für einen Yass-Charakter erheblich mehr Phantasie und Gehirnschmalz als für einen Haudrauf-Charakter nach Standard-Format.
  3. Wer sich übers Rollenspiel lustig macht, kann nicht damit rechnen, daß sich verknöcherte Rollenspiel-Kreise darüber freuen, die sich selbst gern viel zu ernst nehmen.
  4. Ich finde das Spiel hervorragend. Das war für die meisten Regelwerke bis jetzt eher ein böses Omen.

Auf der anderen Seite sind das auch vier verdammt gute Gründe, Yass zu kaufen, oder?

Wenn auch ihr dieser Meinung seid, aber das Spiel im Laden Eures Vertrauens nicht ausliegt, wendet euch doch einfach an: Peter Nomigkeit."


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