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06/2005
Bundesverfassungsgericht: Eltern
dürfen Kinder nur in Extremfällen enterben
Das
Bundesverfassungsgericht hat sich in zwei veröffentlichen
Beschlüssen mit dem Pflichtteilsrecht auseinandergesetzt.
Danach dürfen Eltern ihre Kinder nur in extremen Ausnahmefällen
komplett enterben.
Nach
dem Bundesverfassungsgericht darf den Kindern der Pflichtteil
dann entzogen werden, wenn sie ihre Eltern misshandelt oder
eine schwere Straftat gegen sie begangen haben. Eine bloße
Entfremdung oder ein familiäres Zerwürfnis reicht
dagegen nicht, um diesen grundsätzlich zwingenden Erbanspruch
naher Verwandter im Testament auszuschließen, heißt
es in der Grundsatzentscheidung. Nach den Worten der Ersten
Senats ist das - unter Experten zwischenzeitlich umstrittene
- Pflichtteilsrecht mit dem Grundgesetz vereinbar. (Az.:
1 BvR 1644/00 und 188/03 - Beschluss vom 19. April 2005)
Damit
hoben die Karlsruher Richter ein spektakuläres Urteil
des Oberlandesgerichts (OLG) Köln auf, das einem Sohn
- der seine eigene Mutter umgebracht hatte - den Pflichtteil
an ihrem Erbe zugesprochen hatte. Der psychisch kranke Mann
hatte seine Mutter schon mehrfach misshandelt, woraufhin
sie ihn enterbte. Aus Wut über seine bevorstehende
Einweisung ins Landeskrankenhaus erschlug er seine Mutter.
Weil er bei der Begehung der Tat nicht schuldfähig
war, gewährte ihm das OLG trotz der Enterbung den Pflichtteil.
Nach den Worten des Ersten Senats unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten
Hans- Jürgen Papier kommt aber eine Entziehung des
Pflichtteils bereits wegen der früheren, vorsätzlichen
Misshandlungen in Betracht. Das OLG muss den Fall nun erneut
prüfen.
In
einem zweiten Verfahren sprach das Gericht dem Sohn eines
mit 85 Jahren gestorbenen Mannes den Pflichtteil zu. Der
kranke Vater hatte seinen Sohn enterbt, weil dieser ihm
in den letzten Jahren vor seinem Tod jeglichen Kontakt mit
dem Enkel verweigert hatte. Aus Sicht der Richter setzt
das Pflichtteilsrecht der Verfügungsfreiheit des Erblassers
Grenzen, seine Kinder aus Ärger oder Verzweiflung durch
Enterbung zu "bestrafen". Der Senat hält
es für fraglich, ob der Gesetzgeber - wie teilweise
vorgeschlagen - den Pflichtteilsentzug durch eine "Zerrüttungsklausel"
erleichtern dürfte. Das Grundgesetz - die Erbrechtsgarantie
und der Schutz der Familie sichern den Kindern grundsätzlich
ein Pflichtteilsrecht zu, heißt es in dem Beschluss.
Als Ausdruck der "Familiensolidarität" solle
es den Nachkommen über den Tod der Eltern hinaus eine
wirtschaftliche Basis sichern - und zwar unabhängig
vom Bestehen eines konkreten Bedarfs. Allerdings deuteten
die Richter an, dass der Gesetzgeber möglicherweise
Spielraum für eine Absenkung des Anspruchs habe.
Der
Pflichtteil - die Hälfte des gesetzlichen Erbteils
- steht den Kindern, Ehegatten und Eltern des Erblassers
grundsätzlich auch dann zu, wenn sie im Testament enterbt
werden. Sein Entzug ist nur bei bestimmten, schwerwiegenden
Verfehlungen zulässig.
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