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Februar 1999
Spielwiese am Kirchenrand
Frauengottesdienste (Teil 1)
In der evangelischen Kirche gibt es Gottesdienste und Frauengottesdienste.
So wie es Theologie gibt und feministische Theologie. Da wo Männer
die Norm und Frauen die "anderen" sind, können ein "normaler"
Gottesdienst kein Frauengottesdienst und die "normale"
Theologie keine feministische sein.
In einem sprachlich und inhaltlich einseitig an Männern ausgerichteten,
also ganz normalen Gemeindegottesdienst bin ich folglich kaum mehr
als eine "mitgemeinte" Randerscheinung, "anders"
eben.
Deshalb bin ich froh, daß es Frauengottesdienste gibt. Gottesdienste,
in denen ich mit meinen Erfahrungen und meinem Leben vorkomme und
in denen Gott nicht zum Supermann erniedrigt wird. Die Frage ist
aber: Was wird eigentlich aus den "normalen" Gemeindegottesdiensten?
Soll dort alles seinen üblichen, versteinerten Gang gehen, während
wir damit beschäftigt sind, unser kleines Fraueneckchen gemütlich
einzurichten? Und was mache ich an den restlichen 50 oder 51 Sonntagen
im Jahr, an denen kein Frauengottesdienst ist? Für mich jedenfalls
ist Gott ein Brot, das geteilt werden will und das nicht
nur einmal im Jahr.
Die Freiräume, die wir uns mit den Frauengottesdiensten geschaffen
haben, sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß außerhalb dieser
Nische im wesentlichen alles beim alten geblieben ist. Schon ein
Blick in das "neue" Evangelische Gesangbuch belegt dies
in erdrückender Weise.
Statt eine Spielwiese "am Rande" der Kirche zu sein, müssen
unsere Gottesdienste daher Ausgangs- und Hoffnungspunkte werden
für die hartnäckige Forderung nach einer grundlegend erneuerten
Liturgie und Gottessprache in den Gemeinden - Sand im Getriebe eines
leerlaufenden Sonntagsrituals.
© C. Moosbach 1999

März 1999
Ringelpiez mit Anfassen
Frauengottesdienste (Teil 2)
Als mir vor Jahren eine Freundin zum ersten Mal von einem Frauengottesdienst
erzählte, den sie besucht hatte, reichte diese Schilderung aus,
um mich für lange Zeit von derartigen Veranstaltungen fern zu halten.
Sie berichtete, es sei dort um "Menstruation und Mondphasen"
gegangen, Tänze und Phantasiereisen hätten im Vordergrund gestanden
und sie selbst habe sich dem unterschwelligen Gruppendruck zu körperlicher
Nähe und intimem Erfahrungsaustausch kaum entziehen können.
Die sexistische Tradition, die Geist, Vernunft und Sprache als
männlich definiert, während Körperlichkeit, Gefühl und Sinn für
"das Schöne" als weiblich gelten, findet sich in so manchem
Frauengottesdienst nicht nur in der Auswahl der Themen, sondern
auch in einer unreflektierten Nähe und aufgezwungener "Kuscheligkeit"
wieder. Harmonisch, sinnlich, ästhetisch weiblich eben.
Ich selber fühle mich Menschen nicht schon deshalb nah, weil sie
Frauen sind, flatternde Tücher und wallende Gewänder gehen mir auf
die Nerven, und ich möchte in einem Gottesdienst weder tanzen noch
angefaßt werden. Mein Zuhause ist "das Wort", politische
Themen sind mir wichtig (und nicht nur das Persönliche ist politisch),
und ich lege auch in einem Gottesdienst Wert darauf, die für mich
stimmige Distanz wahren zu können, ohne mich ausgeschlossen zu fühlen.
Mir ist dabei bewußt, daß gerade die sinnlichen und "ganzheitlichen"
Elemente der Frauengottesdienste von vielen Teilnehmerinnen besonders
geschätzt werden. Ich weiß aber auch von Frauen, denen es dort ähnlich
ergeht wie mir. Um diesen unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht
zu werden, müssen wir in unseren Gottesdiensten Wege finden, Nähe
und körperlichen Ausdruck zu ermöglichen und gleichzeitig eine distanziertere
Form der Teilnahme anzubieten. Es wäre schon einiges gewonnen, wenn
jeder Tanz, jedes An-Händen-oder-Schulter-Fassen ausdrücklich als
Angebot und nicht als Aufforderung formuliert und gleichzeitig auf
die Möglichkeit eines "stillen" Dabeiseins, Sehens und
Hörens hingewiesen würde.
© C. Moosbach 1999

April 1999
"Trotz allem!"
Ein besonderer Gottesdienst in der Passionszeit
Am 27. März 1999 fand in Köln ein "Hoffnungs- und Stärkungsgottesdienst
für sexuell mißbrauchte Frauen und ihre Verbündeten" statt.
Ich habe diesen Gottesdienst mit vorbereitet und gestaltet, bin
dabei an die Grenzen meiner Belastbarkeit gestoßen und doch zutiefst
bewegt und gestärkt daraus hervorgegangen.
Es war nicht der erste Frauengottesdienst, bei dem ich mitgewirkt
habe, es war auch nicht das erste Mal, daß dabei von mir verfaßte
Gebete gesprochen und gesungen wurden (eine Erfahrung ganz eigener
Art) und doch war es anders als sonst. Hier waren die Frauen
versammelt, für die ich vor allem schreibe, hier waren diejenigen
meiner Gedichte zu hören, deren ungeheure Wucht ich selber kaum
ertragen kann, hier habe ich meine Klagen und Anklagen, meine Wut
und meine Kraft geteilt mit anderen Überlebenden. Es gab Momente
an diesem Abend, die so durchtränkt waren mit Schmerz, daß ich am
liebsten davongelaufen wäre (für eine Zigarettenlänge habe ich genau
das getan), dann wieder habe ich mich sehr entspannt gefühlt, getröstet
und geborgen in Gottes stärkender Gegenwart, die für mich während
des gesamten Gottesdienstes in beeindruckender, fast verstörender
Intensität spürbar war.
Es kann unendlich befreiend sein, die Wahrheit auszusprechen. Die
Wahrheit über das, was uns angetan wurde, die Wahrheit über die
tiefen Wunden, die wir davongetragen haben, die Wahrheit über unsere
Sehnsucht nach Heilung, nach gelingendem Leben. Wenn diese Wahrheit
sich verbündet weiß mit Gottes Liebe und Lebensmacht, wenn alles,
was wir waren und sind, was wir fühlen und denken, vor Gott gebracht
werden kann, ohne Angst und ohne Scham, dann wird etwas erfahrbar
von dieser absurden und doch zutiefst christlichen "Hoffnung
wider alle Hoffnung", von dem großen "Trotz allem",
das wir Gott nennen.
© C. Moosbach 1999

Mai 1999
Mein erster Krieg
Ein Erfahrungsbericht
Am Anfang wollte ich es einfach nicht wahrhaben. Ich hatte gerade
mit den Vorarbeiten für mein nächstes Buch angefangen, meine Gedanken
kreisten um Kapiteleinteilung, Materialsammlung etc.; für einen
Krieg war da kein Platz. Schon nach wenigen Tagen war es genau umgekehrt.
Die grauenhaften Bilder von Vertreibungen und Bombardierungen setzten
sich in mir fest, die Sprache der Medien, die zusehends verrohte
und gleichzeitig die Brutalität des Krieges vernebelte, fraß sich
in mein Hirn, ich brach in Tränen aus beim Anblick völlig verzweifelter
Flüchtlinge, mir wurde übel vom schimmernden Glanz der elegant kreisenden
Todesbomber. Ich begriff, daß die allseits - kostenlos und unverbindlich
- gepflegte Betroffenheit, innere Zerrissenheit und ähnliche Luxusbefindlichkeiten
von uns real eben (noch?) nicht Betroffenen zu wenig ist. Ich begriff,
daß Deutschland einen Krieg führt und ich mich entscheiden muß:
Dafür oder dagegen.
Inzwischen hat dieser Krieg meinen Alltag sehr stark verändert.
Mit NATO-Strategiepapieren, Kollateralschäden, abgereichertem Uran
und ähnlichen Wortungeheuern kenne ich mich nun bestens aus, ich
schreibe Anti-Kriegstexte (die "Zeitansage" stand am 16.04.
als Leserinbrief in der "taz") und die Nachmittage verbringe
ich meistens bei einer Mahnwache vor dem Kölner Dom. Dort verteile
ich Flugblätter, sammele Unterschriften und spreche mit Menschen,
die nicht immer freundlich sind, eher im Gegenteil. Nicht nur in
Serbien, auch bei uns gibt es eine aufgeheizte Kriegspropaganda,
die es schwer macht, eine sachliche Diskussion zu führen. Wer gegen
die NATO-Bomben eintritt, ist für die Vertreibungen und Morde im
Kosovo so will es die scheinbar zwingende Kriegslogik, der
ich mich nicht unterwerfen will.
Vorläufiger Höhepunkt meiner "politischen Karriere" war
eine Friedenskundgebung auf der Domplatte, bei der ich meine "Zeitansage"
vor mehreren hundert Menschen gesprochen habe. Nicht gerade vertraute
Tätigkeiten für eine seit Jahren eher zurückgezogen lebende Dichterin.
Immer wieder in diesen Kriegstagen, beim Zeitung lesen und Nachrichten
gucken, beim Rad fahren und einkaufen, immer wieder gellt mir Gottes
Schreien, Weinen oder noch schlimmer Schweigen in
den Ohren. Ich habe auch in Zukunft nicht vor, mich taub zu stellen.
© C. Moosbach 1999

Juni 1999
Krieg und kein Ende
Nun ist es also Sommer geworden, und auf dem Balkan ist immer noch
Krieg. Die Menschen im Kosovo werden weiterhin vertrieben, vergewaltigt
und getötet, die Bomben und Raketen der NATO, die diese Verbrechen
angeblich verhindern sollten, treffen weiterhin auch Flüchtlingskonvois,
Krankenhäuser und ganze Wohngebiete. Nur: Wer will das noch wissen?
Und wer darüber sprechen? Auch noch so erschütternde Bilder von
Not und Elend der Vertriebenen haben nun mal ein Verfallsdatum,
auch noch so geschickt als Computerspiel getarnte Bombardierungen
verlieren nach einer Weile an "Unterhaltungswert". Die
Medien sind denn auch inzwischen weitgehend zur Tagesordnung übergegangen:
Gesundheitsreform, Öko-Steuer, Reisewetter - das Leben geht weiter,
jedenfalls für uns.
Auch ich habe mich inzwischen an diesen Krieg gewöhnt. Montags
gehe ich zur Friedenskundgebung auf die Domplatte, sehe dort
Woche für Woche dieselben Leute, höre dieselben oder doch sehr ähnliche
Reden; an anderen Tagen gehe ich zur Mahnwache gegen den Krieg,
auch dort treffe ich meistens "alte Bekannte",
auch dort wiederholen sich die Diskussionen und Argumente. Im Grunde
ist alles gesagt. Der Krieg geht weiter. Die Bombardierungen werden
intensiviert, die Vertreibungen werden intensiviert, die Friedens"bewegung"
dümpelt vor sich hin, und die Kirche hüllt sich weitgehend in Schweigen,
bei größter Betroffenheit versteht sich.
Natürlich ist mir schon seit Wochen klar, daß unsere Aktionen,
unser schwacher Widerstand diesen Krieg nicht stoppen können. Natürlich
weiß ich, daß auch meine Gedichte zu diesem Thema daran nichts ändern
werden. Natürlich werde ich auch am nächsten Montag wieder zur Friedenskundgebung
gehen. Weil Menschen schon in weit aussichtsloseren Situationen
und zu einem weit höheren Preis Widerstand geleistet haben. Weil
dieser Krieg ein Verbrechen ist und wir das sagen müssen. Weil Gott,
dieses seltsame "Nichts, das alles werden will" (Jacob
Böhme), nun mal nur unsere Hände und Münder hat.
© C. Moosbach 1999

Juli 1999
Kriegsnachlese
Der Krieg auf dem Balkan ist zu Ende. Die NATO hat gewonnen, und
wir können aufatmen. Statt elender Flüchtlings- ströme sehen wir
nun ordentliche Militärkonvois und jubelnde Menschen in den Nachrichten.
Die ersten Massengräber werden gefunden und als nachträglicher Beleg
für die Notwendigkeit der Bombardierungen angeführt. Die anderen
waren wirklich die Bösen, also waren wir auch wirklich die Guten.
Außenminister Fischer ist nach Meinungsumfragen der zur Zeit beliebteste
Politiker in Deutschland.
Angesichts dieser Nachrichtenlage beobachte ich an mir einen unbezähmbaren
Hang zum Sarkasmus, der sich vor allem in einem Bündel ungehöriger
Fragen äußert. Zum Beispiel so: Was machen wir mit der Bergpredigt?
Ist sie ein Fall für den Altpapiercontainer? Und der Pazifismus?
Eine verstaubte Idee für triefäugige Unschuldslämmer, die sich die
Hände nicht schmutzig machen wollen? Muß auf dem nächsten Kirchentag
bereits mit einer öffentlichen Segnung von Waffen gerechnet werden,
oder bleibt es vorläufig noch bei dem betretenen Schweigen der letzten
Monate? Antworten habe ich keine, nur ein paar Gegenfragen: Ist
die Vertreibung, Vergewaltigung und Ermordung von serbischen Menschen
durch die UCK weniger schlimm als die von Albaner/Innen durch das
serbische Militär? Wird die NATO demnächst womöglich Albanien bombardieren,
um den Abzug der UCK aus dem Kosovo und die sichere Rückkehr der
serbischen Flüchtlinge zu erzwingen? Wird sie sich anschließend
der gewaltsamen Befreiung des kurdischen, tibetischen und aller
weiteren unterdrückten Völker annehmen? Wird am NATO-Wesen die Welt
genesen?
Übrigens: Vergangenen Monat habe ich anläßlich des Weltwirtschaftsgipfels
hier in Köln an einer Menschenkette teilgenommen, mit der ein Schuldenerlaß
für die ärmsten Länder der Welt gefordert wurde, der durch sogenannte
Gegenwertfonds und umfassende Kontrollen wirklich den Armen zugute
kommen soll. In diesen Ländern sterben jährlich viele Millionen
Menschen an Unterernährung, Tendenz steigend. Ein unvorstellbarer
Leichenberg, der den Menschenrechtskämpfern der NATO bisher glatt
entgangen sein muß. Sie müßten nur einen
Tarnkappenbomber weniger anschaffen, um einen solchen umfassenden
Schuldenerlaß zu finanzieren.
© C. Moosbach 1999

August 1999
Vom allmächtigen Vater zur fernnahen
Freundin
Auf der Suche nach einer neuen Gottessprache
Daß wir die versteinerten Sprache der christlichen
Tradition aufbrechen müssen, daß diese Sprache weder Gott noch uns
Menschen gerecht wird, kann nicht oft genug gesagt werden. Ebenso
wichtig scheint es mir jedoch, über die Kriterien für eine neue
und immer wieder neu zu suchende Gottessprache nachzudenken. Was
macht diese neue, andere Sprache eigentlich aus und was macht sie
zu einer christlichen Gottessprache?
In meinem eigenen Schreiben wird mir immer wieder
bewußt, wie wenig Gott sprachlich in "den Griff" zu bekommen
ist, wie sehr ich dabei an die Grenzen des Sagbaren und auch Denkbaren
stoße. Trotzdem gibt es nun mal diese verrückte, anmaßende und doch
zutiefst menschliche Sehnsucht, Gott anzusprechen und zu erzählen,
unsere Eindrücke, Bilder und Erfahrungen mit Gott in Worte zu fassen.
Und sehnt sich nicht auch Gott selbst danach, von uns geliebt, besungen
und erzählt zu werden? Indem ich Gott als Gegenüber anspreche, indem
ich sie weder als Teil von mir selbst, noch als diffuse und unpersönliche
Energie verstehe, stelle ich mich bewußt in die jüdisch-christliche
Tradition. In diesen Zusammenhang gehört für mich auch, daß ich
zu und über Gott weder als furchterregendes Monster, noch als praktisches
und jederzeit verfügbares "Kuscheltier" spreche. In meiner
Beziehung zu Gott bewege ich mich immer wieder in dieser Spannung
zwischen vertrauter Nähe und großer Ehrfurcht; einer Spannung die
es auch sprachlich aus- und aufrechtzuerhalten gilt.
Neue - christliche - Gottessprache muß heilend sein
und befreiend. Sie sollte Gottes Parteilichkeit für die - biblisch
gesprochen - "Letzten" deutlich machen, die nach Gottes
Willen zu "Ersten" werden sollen. Sie sollte Menschen
frei machen von Angst, von der Angst, Nein zu sagen, von der Angst,
ein eigener Mensch zu werden, von der Angst vor Gott. Neue Gottessprache
sollte immer wieder deutlich machen, daß alle Bilder und Symbole
nur Annäherungen sein können - eben deshalb darf sie sich niemals
auf ein Bild festlegen. Genau dies scheint
mir der eigentliche Sinn des biblischen Bilderverbots zu sein. Angesichts
der vorherrschenden und oft geradezu erdrückenden männlichen Symbolik
ist daher ein "kräftiger Schuß" weiblicher Gottesbilder
dringend notwendig. Nicht etwa, weil ich Gott für eine Frau halte.
Allerdings halte ich Gott ebenso wenig für einen Mann. Genau dies
wird aber durch die traditionelle Sprache, durch das selbstverständliche
"er" der klassischen Liturgie immer wieder vermittelt.
Die teilweise geradezu hysterische Reaktion auf neue, weibliche
Gottesbilder und Gottessprache zeigt mir, wie wichtig dieser Punkt
ist. Wichtig für unsere Würde als Frauen, die nach biblischem Verständnis
Gottes Ebenbilder sind, wichtig aber auch zur Ehre Gottes, die eine
vielfältige, allumfassende, verzaubernde und erhellende Sprache
erforderlich macht. Eine Sprache, die weder beängstigend ist noch
trivial, eine Sprache, die etwas spürbar werden läßt von Gottes
heilender und befreiender Kraft.
© C. Moosbach 1999
September 1999
Deutscher Sonntag
Abschied und Neubeginn
Als Kind habe ich den Sonntag immer besonders gehasst. Es war der
Tag der weißen Kniestrümpfe und des Familienkrachs, der Langeweile
und des erzwungenen Kirchgangs. Auch später hatte dieser Tag für mich
keinerlei positive Bedeutung, wenn man von der Möglichkeit des ungestörten
Ausschlafens einmal absieht. Bis heute stehe ich dem Sonntag mit eher
zwiespältigen Gefühlen gegenüber. Wer selbst ohne Familie bzw. Partner/In
lebt, wird wissen, wovon ich spreche. Paradoxerweise beginne ich den
Wert eines "besonderen" Wochentages aber um so stärker zu
schätzen, je mehr der Sonntag in den alltäglichen Arbeits- und Konsumkreislauf
eingeebnet wird; eine Tendenz, die während der letzten Wochen in der
gesetzwidrigen Sonntagsöffnung durch große Kaufhäuser in Berlin und
Ostdeutschland besonders deutlich wurde. Im Gleichmaß der Alltage
scheint es mir zunehmend wichtiger, einen regelmäßig wiederkehrenden
Punkt zu setzen und diesen Einschnitt bewußt zu erleben und zu gestalten.
Dabei kann ich allerdings auf wenig Vertrautes zurückgreifen. Das
sonntägliche Familienkaffeetrinken ist für mich ebenso wenig attraktiv,
wie der Besuch eines "normalen" Gemeindegottesdienstes.
Noch weniger allerdings käme es mir in den Sinn, mich in "Einkaufsparadiese"
und "Konsumtempel" zu flüchten. Das Besondere dieses Tages
will neu gefunden, gestaltet - und manchmal auch ausgehalten sein.
Zu meinem Sonntag gehört auf jeden Fall eine Bachkantate, alles weitere
muß sich finden. Manchmal treffe ich mich mit einer Freundin, manchmal
lese ich den ganzen Tag, manchmal langweile ich mich fürchterlich.
Ab und zu entstehen aus dieser Langeweile neue Ideen und Einsichten.
Die Leere des Tages schafft Raum für ungelöste Fragen und vergessene
Antworten, für die tieferen Schichten meines Lebens, für Gott.
Ich träume von einem Sonntag, dessen Sinn und Schönheit jenseits von
Zweck und Verwertbarkeit liegt, der nichts einbringen oder bewirken
muß und doch so unabdingbar zum Leben gehört wie ein Gedicht oder
eine Symphonie.
© C. Moosbach 1999
Oktober 1999
Vom Hauptstrom zum Nebenfluss
Christentum in Deutschland
In der katholischen Kirche rumort es. Alte Männer streiten sich
mit anderen alten Männern um den Schwangerschaftsabbruch. Der Papst
macht seinen totalitären Herrschaftsanspruch geltend und die Bischöfe
gehorchen. Skurril anmutende Versammlungen seltsam gewandeter Greise
tauchen in den Fernsehnachrichten auf - Frauen sind nicht zu sehen.
Die Frage ist allerdings: Wen interessiert das eigentlich noch?
Der Machtverlust der katholischen Kirche ist – Gott sei Dank – inzwischen
so weit fortgeschritten, daß die Liberalisierung des § 218 unumkehrbar
geworden ist. Das Gleiche gilt für die Meinungs- und Glaubensfreiheit,
das (Frauen-)Wahlrecht und andere Menschenrechte, die in der Vergangenheit
gegen die christlichen Kirchen – oder jedenfalls ohne ihr Zutun
- durchgesetzt wurden. So gesehen ist der Niedergang des Christentums
seit der Aufklärung ein wahrer Segen – vor allem auch für uns Frauen.
Daß eine wie ich heute Gebete in weiblicher Gottessprache schreiben
und veröffentlichen kann, ohne dafür als "Ketzerin" verfolgt
und womöglich getötet zu werden, ist ein direktes Ergebnis dieser
Entwicklung. Frauen und Männer in früheren Zeiten hatten da weniger
Glück. Wenn ich an die breite Blutspur des Christentums quer durch
die Jahrhunderte und Kontinente denke – bis hin zum Holocaust, der
ohne den christlichen Antisemitismus nicht möglich gewesen wäre
– frage ich mich manchmal, ob diese Religion überhaupt noch zu "retten"
ist. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch neue Chancen und Möglichkeiten,
die sich aus dem zunehmenden Machtverlust der Kirchen ergeben. Wenn
das uralte Bündnis von "Thron und Altar" – dieser ungeheuerliche
Verrat an den Visionen des Jesus von Nazareth – endgültig zerbricht,
wird sich die Kirche endlich da wiederfinden, wo sie von Anfang
an hingehörte: An der Seite der Sprachlosen, Vergewaltigten und
Ausgebeuteten, an der Seite der "Letzten".
Nur aus dieser Perspektive – die nach biblischer Auffassung die
Perspektive Gottes ist – kann tiefgreifende Erneuerung und echte
Umkehr entstehen. Damit aus dem machtverseuchten Hauptstrom des
Christentums doch noch ein sprudelnder, singender Fluß wird. Wasser
des Lebens für alle, die davon trinken möchten.
© C. Moosbach 1999

November 1999
Computer und andere Seltsamkeiten
Als ich letztes Jahr meinen ersten Computer – ein kleines, nach
EDV-Maßstäben schon reichlich veraltetes Modell – geschenkt bekam,
war ich nach einer Woche soweit, daß ich das Ding am liebsten aus
dem Fenster geschmissen hätte. Glücklicherweise hat sich eine hilfsbereite
Nachbarin gerade noch rechtzeitig meiner angenommen und mich in
die Anfangsgründe von Datei, Ordner und Doppelklick eingeweiht.
Heute schreibe ich außer meinen Einkaufszetteln fast nichts mehr
mit der Hand, schicke E-Mails kreuz und quer durch die Welt und
suche mir die günstigste Bahnverbindung selber aus dem Internet
heraus. Klingt doch gut, oder? Eine echte Erfolgsgeschichte wie
aus der Werbebroschüre. Und ich gebe zu: Ich bin begeistert. Die
neue Technik vereinfacht nicht zuletzt das Schreiben ungemein und
wenn ich heute ein Gedicht schreibe, kann ich es schon morgen auf
meiner Internetseite veröffentlichen oder aber per E-Mail an die
taz schicken und einen Tag später dort lesen – so geschehen mit
meiner "Zeitansage" zum Kosovo-Krieg. Gerade auch für
die in Deutschland doch eher vereinzelt auftretende "Frauenkirche"
(so heißt die erste deutschsprachige
Mailingliste zu diesem Thema) bietet das neue Medium sehr gute
Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten. Wir Frauen sollten das
Internet weder den Werbefuzzies noch den Kinderschändern überlassen
– und auch nicht den Männern. Gerade in kirchlichen Kreisen erlebe
ich oft, daß Frauen diese "Computersache" allzu gerne
an ihre Männern delegieren, weil`s ja was Technisches ist.
Im Hinblick auf die digitale Revolution, deren Anfänge wir gerade
erleben, scheint es mir trotz aller Begeisterung wichtig, einen
Schritt zurückzutreten und mit gebührendem Abstand auch die Schattenseiten
dieser Entwicklung anzusehen. Es würde allerdings den Rahmen dieser
Kolumne und nicht zuletzt auch meine eigenen Fähigkeiten bei weitem
überschreiten, wollte ich das im umfassenden Sinne tun oder auch
nur andeuten. Statt dessen hier einige exemplarische Beobachtungen
aus meinem eigenen Alltag und persönlichem Umfeld: Eine Bekannte
hat mir erzählt, daß sie jeden morgen schon vor dem Frühstück ihre
E-Mails abruft und sich manchmal regelrecht von den Möglichkeiten
und der Dynamik dieser Technik besetzt fühle. Ich selbst empfinde
die Flüchtigkeit und seltsame Unwirklichkeit von E-Mail-Kontakten
oft als irritierend. Ich korrespondiere mit Frauen, die ich "eigentlich"
gar nicht kenne, in einer Häufigkeit und in einem Ausmaß, wie ich
es per Brief oder Telefon niemals tun würde. Da erzählt mir eine
Inzestüberlebende, die mehr oder weniger zufällig auf meine Internetseite
geraten ist, ihre Lebensgeschichte, wir schreiben ein paar Mal hin
und her, dann bricht der Kontakt plötzlich ab. Ich kenne weder den
(richtigen) Namen dieser Frau, noch ihre Adresse. Auf diese Weise
entstehen im Internet viele Kontakte - aber entstehen auch wirkliche
Begegnungen? Oder nur die Illusion davon?
Ein weiterer Punkt ist die enorme Beschleunigung der Kommunikation
durch das Internet. Gemessen an der Geschwindigkeit, mit der E-Mails
verschickt werden, kann der althergebrachte Briefverkehr wohl zu
Recht als "Schneckenpost" bezeichnet werden. Die Frage
ist: Hat dieses hohe Tempo ausschließlich Vorteile? Was wird das
langfristig für unseren Alltag, für unsere Beziehungen und für unsere
Arbeit bedeuten? Viele offene Fragen, die wir im Blick und im Sinn
behalten sollten. Ich meine, es besteht weder Anlass für blinde
Euphorie, noch für die abwehrend ängstliche Technikfeindlichkeit
vieler (Kirchen)Frauen.
© C. Moosbach 1999

Dezember 1999
Advent, Advent ...
Mit der Adventszeit erging es mir lange wie mit dem Kölner Karneval.
Die ersten Anzeichen lassen sich noch recht gut ignorieren, spätestens
ab Weiberfastnacht aber wird mir klar, daß es Zeit für einen Ortswechsel
wird. Mit dem Advent ist das schon schwieriger – vor seinen alljährlichen
Erscheinungsformen, Auswüchsen und Perversionen gibt es kein Entrinnen.
Engelshaar, Weihnachtsmänner und süßlicher Musikbrei an jeder Straßenecke
lassen sich so wenig ignorieren wie überfüllte "Konsumtempel"
und Massen von Werbeprospekten. Für viele Menschen ist der Dezember
die Zeit der Familie (habe ich keine), der verklärten Kindheitserinnerungen
(habe ich ebenfalls keine) und der Sehnsucht nach einer kitschig-sentimentalen
"Gemütlichkeit", die mir weitgehend fremd ist. Und dann
natürlich die Frage: Was mache ich Weihnachten? Spätestens ab Heiligabend
ist die familiäre Abschottung perfekt, Fremde müssen draußen bleiben.
Die Kirche – froh, daß überhaupt mal jemand kommt – sorgt vor der
Bescherung noch für die richtige Weihnachtsstimmung und beschränkt
sich weitgehend darauf, die ansonsten eher kirchenfernen Besucher/Innen
mit Althergebrachtem abzufüttern.
Für mich war die Advents- und Weihnachtszeit über viele Jahre hinweg
eine Zeit der Trauer und der Einsamkeit. In der regressiv-emotionalen
Atmosphäre dieser Tage lassen sich die eigenen Erinnerungen an eine
zerstörte Kindheit und zerbrochene Familie schwerer verdrängen als
zu anderen Zeiten. Seitdem ich Christin bin, stört mich der sinnentleerte
Weihnachtsklimbim und die unreflektierte Familienverherrlichung
eher noch stärker als früher. Ich frage mich, was das alles mit
Gott, mit Jesus, mit Christentum zu tun hat – und ob überhaupt.
Das Neue Testament scheint mir im Gegensatz zur heutigen Kirche
erfrischend familienkritisch, wenn nicht gar familienfeindlich zu
sein (siehe z.B. Markus 3, 31-35). Was aber bliebe von Advent, von
Weihnachten noch übrig, ginge es einmal nicht um Gemütlichkeit,
Geschenke und "Heile-Welt"-Inszenierungen? Die Antwort
ist klar: Das Eigentliche bliebe übrig. Was aber ist das Eigentliche?
Eine schwierige Frage, sicherlich nicht nur für mich. Um sie nicht
beantworten zu müssen, treten die meisten Menschen lieber die Flucht
in naiv-kindliche Rituale und Inszenierungen an. Was aber wäre ein
Advent für Erwachsene? Worauf warten wir,
worauf hoffen wir wirklich? Tun wir das überhaupt noch? Über diese
Fragen ehrlich nachzudenken und miteinander zu sprechen, Ausdrucksmöglichkeiten
suchen für unsere Sehnsucht nach dem "Anderen", nach Licht
und Freude, nach Heilung und Gerechtigkeit, das wäre eine Adventszeit,
wie ich sie mir wünsche. Und das Schöne ist: Geld kostet es auch
nicht.
© C. Moosbach 1999

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