[1999]   [2000]

Februar

Sind Sie fromm?

April

Krankheit als Krankheit

Mai

Warum eigentlich Kirche?

Juni

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 1)

Juli

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 2)

August

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 3)

September

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 4)

 

 

 

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Februar 2000

Sind Sie fromm?

Eine solche Frage ist heutzutage etwa so ungehörig wie die Frage nach der sexuellen Orientierung oder dem Monatseinkommen. Ich selbst würde jedenfalls erstmal alles abstreiten. Wer ist schon heute noch fromm. Religiös? Na ja. Spirituell? Selbstverständlich. Aber fromm? Das Wort schmeckt nach Betschwester und lahmer Ente, Kriechertum und Heuchelei – lammfromm eben. Der Begriff der Frömmigkeit ist sicherlich nicht zufällig fast vollständig aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden. Der galoppierende Macht- und Ansehensverlust der christlichen Kirchen geht auch einher mit einer tiefgreifenden Veränderung der Sprache; in großen Teilen der Gesellschaft sorgt das traditionell-christliche Vokabular bestenfalls noch für ein ungläubig-mitleidiges Kopfschütteln.

Bei Wörtern, die schon seit längerem ungenutzt bzw. ungesprochen in der Ecke liegen, sehe ich zwei Möglichkeiten: Die meisten dieser Wörter sollten ohne viel Aufhebens beiseite gelegt und in aller Stille begraben werden. Das gilt gerade auch für einen großen Teil des kirchlichen Vokabulars, das verbraucht, mißbraucht, sinnentleert und für die meisten Menschen schlicht und einfach unverständlich ist.

Die Wörter "Frömmigkeit" und "fromm" würde ich jedoch gerne wieder aus der Ecke hervorholen, sie gründlich abstauben und anschließend neu füllen. Warum? Einige werden die Antwort sicherlich schon ahnen: Weil ich fromm bin. Damit meine ich, daß ich mit Gott spreche, streite, lache und singe, daß ich immer wieder versuche, mein Leben auf dieses rätselhafte, wunderbare, nervensägende und letztlich unbegreifliche "Du" hin zu orientieren. Ein klarer Fall von Liebe also.Und damit auch ein klarer Fall von Frömmigkeit. Dies zuzugeben finde ich durchaus peinlich und ziemlich intim. Aber vielleicht trägt es dazu bei, ein fast vergessenes und weitgehend in Mißkredit geratenes Wort mit neuem Leben und frischem Wind zu füllen.

© C. Moosbach 2000

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April 2000

Krankheit als Krankheit

Es begann damit, daß ich plötzlich Sehstörungen hatte. Zwei Tage später sah ich auf dem rechten Auge praktisch nichts mehr. Mein Gang zur Augenärztin endete mit einer Einweisung ins Krankenhaus. Zwischen Gehirntumor und völliger Erblindung schien zu diesem Zeitpunkt alles möglich. Nach 2 Tagen umfangreicher Untersuchungen wurde mir mitgeteilt, daß es sich um eine Entzündung des Sehnervs handele, die nur mit hoch dosierten Kortisoninfusionen behandelt werden könne. Die Behandlung wurde durchgeführt, 14 Tage später wurde ich als (vorläufig?) geheilt aus dem Krankenhaus entlassen.

Die äußerste Lapidarität, mit der ich diese Vorgänge schildere, mag ein Hinweis sein auf die Tiefe und Intensität meines Erlebens. Selbst ich als professionelle Be-Schreiberin zögere, das ganze Ausmaß meiner Angst, meines Erschreckens in Worte zu fassen. Da haben Abgründe sich aufgetan - in vielerlei Hinsicht. Dabei war ich doch vorgewarnt: Wer als Kind vergewaltigt wurde, neigt im allgemeinen nicht zu der Illusion, daß es im Leben gerecht zugehe und Gott "das Schlimmste" schon zu verhindern wisse. Eine wie ich weiß nur zu gut, daß jederzeit alles passieren kann und daß es keinen Schutz davor gibt. Auch war ich mir darüber im klaren, daß meine Traumatisierung sich im Falle eines Krankenhausaufenthalts als höchst hinderlich erweisen würde. Der weitgehende Verlust an Intimsphäre, die ausgelieferte Situation bei vielen Untersuchungen – das allein reichte schon aus, um mich an die Grenze des Erträglichen und darüber hinaus zu bringen. Womit ich nicht gerechnet hatte war das Ausmaß meiner Angst. Die Vorstellung, womöglich völlig zu erblinden und dadurch für den Rest meines Lebens den inneren Schreckensbildern meiner Kindheit ausgeliefert zu sein, hat mich in kaum noch kontrollierbare Panik versetzt. Womit ich ebenfalls nicht gerechnet hatte, war meine völlige Unfähigkeit zum Gebet. Wenn ich es versuchte, kamen "nur" Tränen, aber keine Worte. "Wir wissen nicht, was wir beten sollen... der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen" heißt es im Römerbrief. Ein schöner Satz, aber so war es nicht. Ich wußte nicht nur nicht, was ich beten sollte, ich wußte auch nicht, wohin ich mich wenden könnte. "Gott" war ein fernes, fremdes Wort, daß sich – diesmal - als nicht tragfähig erwies. Was gehalten hat war das Netz meiner Freundinnen und Freunde. Eine sagte mir, daß Gott manchmal eben nicht "direkt", sondern "nur" durch andere Menschen spürbar und vermittelbar sei. Eine andere schrieb mir, daß sie und andere "inzwischen für mich glauben" würden, solange ich es selbst nicht könne. Eine Krankenhausärztin fand sich, die sich auf meine Not einließ und einige der für mich schlimmsten Begleitumstände abmildern konnte.

Es bleibt zu reden von dem, was mir erspart blieb. Ich meine die esoterische Klugscheißerei und mitleidlose Besserwisserei, der viele Kranke heutzutage ausgesetzt sind. Krankheit als "Strafe Gottes", das traut sich inzwischen kaum noch jemand zu sagen. Heute heißt das: Krankheit als Weg, als Chance, als Ergebnis schlechten Karmas oder negativen Denkens...

Die Liste ließe sich fortführen. Ich nehme an, daß sich hinter solchen Sätzen Angst verbirgt und ein großes Bedürfnis nach Kontrolle. Die Wahrheit aber ist: Auch wer alles "richtig" macht, was immer das heißen mag, auch wer weder raucht noch trinkt, auch wer täglich meditiert oder betet, auch die, auch der kann schwer oder gar unheilbar krank werden, mit dem Zug oder Flugzeug verunglücken und vieles mehr. Niemand weiß, warum das so ist. Das Leben ist unendlich verletzlich und unendlich kostbar, Abgründe können sich auftun in jedem Moment. Dann wieder unaussprechliches Glück oder tiefer Friede. Antworten auf Fragen wie: "Warum ich?", Erklärungen für Fragen wie: "Warum überhaupt?" gibt es nicht. Was es gibt ist Mitgefühl und Trost, Hoffnung und ein großes Versprechen, dem ich nicht immer glauben kann. Mehr läßt sich nicht sagen.

© C. Moosbach 2000

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Mai 2000

Warum eigentlich Kirche?

Nur wenige Tage nach meinem 18. Geburtstag bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten. Innerlich war dieser Austritt längst vollzogen, mit Erreichen der Volljährigkeit konnte ich nun endlich auch nach außen mein Nein zur Kirche dokumentieren. Meine Abwendung vom Christentum war zu dieser Zeit vollständig und hatte gute Gründe. Es sollte mehr als 20 Jahre dauern, bis ich dieser Religion noch einmal eine Chance gab.

Auch heute geht mir das allseits beliebte kirchliche Gejammer über leere Gottesdienste und scharenweise davonlaufende Kirchenschafe ordentlich auf die Nerven. Aus meiner Sicht sind die vielen Kirchenaustritte die wohlverdiente Quittung für Frauenfeindlichkeit, korrupte Machtgier und inhaltsleere Phrasendrescherei. Trotzdem bin ich vor nunmehr 5 Jahren während eines Ostergottesdienstes in die Evangelische Kirche eingetreten. Warum? Wesentliche Teile der christlichen Tradition sind mir nach wie vor fremd bis zuwider, beim Apostolischen Glaubensbekenntnis und seinem "allmächtigen Vater" angefangen. Auch nach 5 Jahren kenne ich keine Kirchengemeinde, in der ich mich auch nur annähernd zugehörig fühle. Warum also bin ich in der Kirche?

Es könnte etwas mit meiner ausgeprägten Starrköpfigkeit zu tun haben. Neben aller patriarchalen Verseuchung und mittelalterlichen Beschränktheit des Christentums trägt diese Religion ein unerschöpfliches Potential an befreiender Wahrheit in sich. Ich denke gar nicht daran, solche Schätze kampflos den Fundamentalisten und gedankenlosen Nachbeterinnen zu überlassen. Und ich möchte mich auch nicht damit zufrieden geben, für mich allein oder in kleinen Zirkeln eine Art Privatreligion zu pflegen. Was ich will ist eine neue Reformation und ich halte eine solche grundlegende Veränderung und Erneuerung der Kirche – jedenfalls der Evangelischen – für möglich. Einige wenige Male habe ich schon erlebt, wie diese neue andere Kirche aussehen, klingen und sich anfühlen wird. Das hat zwar nicht gereicht, um mich in der Kirche wirklich heimisch zu fühlen, aber es reicht, um weiter in ihr zu arbeiten. Vielleicht werden sich ja manche Kirchenobere noch wünschen, ich wäre nie eingetreten.

© C. Moosbach 2000

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Juni 2000

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 1)

Ist es Ihnen/Euch auch schon aufgefallen? Aus einer ehemaligen “Geheimlehre” (so die ursprüngliche Bedeutung des Wortes “Esoterik”) ist längst ein Massenphänomen geworden. Ob Talk-Show, Massagepraxis oder Büro - Grundbegriffe der Astrologie, der Reinkarnationslehre oder des Tarots sind in aller Munde. Nur die Kirche hat mal wieder nichts mitbekommen. Während sie noch mit Problemen der Abendmahlsgemeinschaft oder Rechtfertigungslehre beschäftigt ist, weht der Zeitgeist längst in anderen Gefilden. Ob im Seminar für Führungskräfte oder der Psychogruppe am Wochenende: Unreflektiert und mit möglichst wenig Wissen über gesellschaftliche oder historische Zusammenhänge belastet werden Versatzstücke des Buddhismus oder Hinduismus zu einem für westliche Geschmäcker gut konsumierbaren spirituellen Brei zusammengerührt.
Ein Beispiel: Die östlichen Religionen gehen mit ihrer Reinkarnationslehre davon aus, daß sich die Seele eines Menschen über unabsehbare Zeiträume hinweg immer wieder neu in einem Körper inkarniert. Sinn der Sache ist es, durch zahllose - meist schmerzliche - Erfahrungen und ausdauernde Meditationspraxis irgendwann einmal vom “Rad der Wiedergeburt” frei zu werden. Wer zur Erleuchtung, das heißt zur Erkenntnis des Göttlichen gelangt, wird nicht wiedergeboren. Das muß in einer von Hunger und Entbehrung geprägten Kultur eine äußerst verlockende Vorstellung sein. In den reichen Ländern des Westens wird diese Reinkarnationslehre allerdings zunehmend völlig anders aufgefaßt. Was als Ausweg aus menschlichem Leiden gedacht war, wird nun ganz im Gegenteil zum Ausdruck übersteigerter Lebens - und Erlebnisgier. Wo ein Leben nicht ausreicht, um all die schönen Wachstums- und Warenangebote zu konsumieren, gibt es jetzt mehrere, viele, unendlich viele Leben. Es ist daher nur konsequent, wenn Meditation nicht mehr als Weg zur Überschreitung des Ich angesehen, sondern schlicht zur Steigerung der Konzentrationsfähigkeit oder zur Befriedigung des spirituellen Erlebnishungers benutzt wird.

Nach meiner Überzeugung befinden wir uns zur Zeit in einem Prozeß, in dem das Gedankengut der Esoterik zum tragenden Instrument der Herrschaftssicherung wird und in dieser Funktion das Christentum ablöst. Es wird also höchste Zeit, sich mit dieser Ideologie, die keine sein will, auseinander zusetzen. Ich werde mich daher auch noch in den nächsten Kolumnen mit diesem Thema beschäftigen. Dabei möchte ich meinen persönlichen Bezug zur Sache nicht verhehlen: In den 80er Jahren war ich eine überzeugte und den “Meister” glühend verehrende Bhagwan-Anhängerin. Aber davon später mehr.

© C. Moosbach 2000

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Juli 2000

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 2)

In den 80er Jahren zeigten sich bei uns Frauen- Friedens - und sonst wie bewegten erste Ermüdungserscheinungen. Unser jugendlicher Schwung, mit dem wir mal kurz die Welt aus den Angeln heben und vom Kopf auf die Füße stellen wollten, erlahmte zusehends. So langwierig, so mühsam, so ganz und gar unspektakulär hatten wir uns die Sache nicht vorgestellt. Lange verdrängte persönliche Defizite und Sehnsüchte wurden spürbar und forderten ihr Recht. Erste Psycho- und Meditationsgruppen sprossen ins karge Land der Flugblätter und Demonstrationszüge. Da wir selbst weder ausgebeutet noch bombardiert noch geschlagen wurden, da wir weder hungern noch frieren mußten, war der Einsatz für mehr Gerechtigkeit und Frieden für die meisten von uns vergleichsweise Privilegierten nicht wirklich existentiell. Im Gegensatz zu den wirklichen Opfern der "neuen Weltordnung" hatten wir die Wahl und wir trafen sie. Als unser Hobby uns langweilig wurde, suchten wir uns ein anderes. Der Rückzug ins Private wurde untermauert und legitimiert durch die These, daß wir uns erstmal selbst verändern, um uns selbst kümmern müßten, um dann an einer politischen Erneuerung zu arbeiten. Inzwischen sind solche Rationalisierungs- und Rechtfertigungsversuche längst nicht mehr nötig, aus dem erstmal ist ein ausschließlich geworden. Jede und jeder ist weitgehend beschwerdefrei und ganz und gar sich selbst die Nächste und hat dabei richtig Spaß. Während des Golfkrieges vor 10 Jahren wurde hier in Köln noch der Karnevalszug abgesagt, den Leuten war die Lust darauf angesichts brennender Ölquellen und Menschen wohl vergangen. Als die deutsche Bundeswehr als Teil der NATO im letzten Jahr Serbien und das Kosovo bombardiert hat, kümmerte das kaum noch jemanden. Demonstrationen und andere Protestformen sind schließlich langweilig, bringen nichts und Spaß machen sie auch nicht.

Im Rückblick finde ich es verblüffend, wie perfekt das inzwischen zum Allgemeingut gewordene Gedankengut der Esoterik in die gewendete politische Landschaft paßte und paßt.

Wir, die wir doch eigentlich rebellisch, friedliebend und "ganz anders" sein wollten, als die Gesellschaft um uns herum, bereiteten die politische "Wende" der 90er Jahre vor und machten sie erst möglich. Wir waren frauenfeindlich, aber mit neuer, esoterischer Begründung, wir waren denkfaul, aber nie um Worte verlegen, wir waren angeblich rebellisch, aber im Grunde politisch dumm, wir waren zutiefst gleichgültig gegenüber dem Schicksal anderer, aber dabei richtig authentisch. Und nicht zu vergessen, wir hatten reichlich Spaß.

Aber ob wir auch glücklich waren?

© C. Moosbach 2000

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August 2000

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 3)

Kürzlich las ich im Kölner Stadtanzeiger von einem gerade erschienenen Buch mit dem Titel: "Gesundheit für Körper und Seele". Autorin ist Louise L. Lay, die sich "als eine der bedeutendsten spirituellen Lehrerinnen unserer Zeit feiern läßt" so der Kölner Stadtanzeiger. Kernthese dieses Buches ist folgender Satz: "Jeder von uns ist zu hundert Prozent selbst verantwortlich für jede seiner Erfahrungen" (ich nehme an, Frauen sind mitgemeint). Was für eine ungeheuerliche, was für eine dumme und in ihren Konsequenzen geradezu zynische Behauptung. Es handelt sich um ein grundlegendes, nie hinterfragtes Axiom der Esoterik, ein echter Glaubenssatz, der inzwischen weit über die Grenzen der esoterischen Zirkel hinaus akzeptiert wird. Dieser Satz ist eine entscheidende ideologische Grundlage für die Entsolidarisierung und Entpolitisierung unserer Zeit. Die Arbeitskollegin hat Krebs? Da wird sie irgend etwas falsch gemacht haben. Eine Freundin ist vergewaltigt worden? Das hat sicher auch etwas mit ihr zu tun. Konsequent zu Ende gedacht wären dann auch die Opfer von Auschwitz selbst für ihr Schicksal verantwortlich – wahrscheinlich hatten sie einfach ein schlechtes Karma. Wenn alle Menschen für alles, was ihnen zustößt, letztlich selbst verantwortlich sind: Worüber sollte ich mich dann noch aufregen? Warum die teueren TransFair-Produkte kaufen? Warum den Notruf für vergewaltigte Frauen unterstützen? Wenn alles was passiert schon "irgendwie" seinen Sinn hat, was kümmert mich dann, daß jeden Tag auf der Welt 40000 Menschen verhungern? Lieber noch einen schönen Rosenquarz kaufen und an den nächsten Urlaub auf Gomera denken, das eigene "Wachstum" immer fest im Blick.

Eines der Probleme besteht daran, daß in der esoterischen Szene selten etwas konsequent zu Ende gedacht wird. Dort wird nicht gedacht, sondern gependelt, gefühlt und intuitiv erahnt, wobei die Esoterikerinnen all dies natürlich für eine besonders weibliche Fähigkeit halten. Der Irrationalismus dieser Kreise treibt oft geradezu groteske Blüten (beispielsweise in den sogenannten Power-Armbändern, die zur Zeit in Mode sind); aber vielleicht ist es kein Zufall, daß die beängstigenden Triumphe der Gentechnik einhergehen mit einem immer weiter um sich greifenden Rückfall ins magische Denken der Voraufklärung. In ihrer Intellektuellenfeindlichkeit erinnert die Esoterik in fataler Weise an die Naziideologie, auch dort wurde lieber gefühlt als gedacht, das "gesunde Volksempfinden" gegen die "jüdische" Intellektualität, "Blut und Boden" – Romantik gegen die Eiseskälte der Moderne. Solche politischen und historischen Zusammenhänge interessieren die Damen und Herren Esoterikerinnen natürlich nicht. Dieses mangelnde Reflektionsvermögen macht die Sache allerdings nicht besser – eher im Gegenteil.

© C. Moosbach 2000

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September 2000

Das Göttliche als Event
Über die Esoterik (Teil 4)

Große Teile des esoterischen Gedankenguts gehören inzwischen – weitgehend unreflektiert – zum Zeitgeist, übrigens bis in kirchliche Kreise hinein. Warum ist das so? Wie kommt es beispielsweise, daß dieselben Frauen, die sich zu Recht an der Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche stören, die Frauenfeindlichkeit des Buddhismus klaglos hinnehmen, sie oft nicht einmal bemerken? Nicht nur der Papst, auch der tibetische Dalai Lama ist immer ein Mann, und nur diese können nach traditionell-buddhistischer Lehre in den Zustand der Erleuchtung gelangen. Die Inkarnation als Frau gilt in vielen asiatischen Ländern dagegen als Ausdruck eines schlechten Karmas, den Frauen bleibt dann nichts anderes übrig, als durch williges Akzeptieren ihres Schicksals auf eine Wiedergeburt als Mann zu hoffen. Ich weiß, es ist bitter, aber nicht nur die christliche Religion war und ist patriarchal und frauenfeindlich, auch der Buddhismus ist es, vom Hinduismus ganz zu schweigen. Allerdings gibt es da einen wichtigen Unterschied: Die blutbefleckte Schuldgeschichte des Christentums kennen wir, die der asiatischen Religionen dagegen nicht. Auch das macht die Esoterik mit ihrem bunten Potpourri fernöstlicher Versatzstücke so anziehend. Demgegenüber kommt das Christentum nach wie vor kalt, wortlastig und formelhaft daher. Nun rächt es sich, daß der eigenen mystischen Tradition lange Zeit so wenig Wertschätzung entgegengebracht wurde. Gott ist eben nicht nur im Wort, sondern auch in der Stille hörbar, Gottes Dasein muß eben nicht blind geglaubt, sondern kann geschmeckt, erahnt und erlebt werden.
ABER: Diese Nähe Gottes ist weder käuflich noch erzwingbar, durch welche Übung auch immer. Schon gar nicht ist sie der ultimative Wochenend-Kick für gelangweilte Wohlstandskinder. Gott ist kein schnell konsumierbares "Event", sondern eine lebenslängliche Erschütterung, eine immer währende Herausforderung, ein "stilles Geschrei" (D. Sölle) und eine unfaßbare Gnade. Diese Gnade ist allerdings weder kostenlos noch unverbindlich. Sie erwächst aus der Verbundenheit mit denen, die ganz unten sind, mit denen, die nichts vorzuweisen haben außer einer unstillbaren Sehnsucht nach Sinn und einem großen Hunger nach Gerechtigkeit. Eine Spiritualität, die nur um sich selber kreist, die nur am eigenen Wachstum, am eigenen Glück, am eigenen religiösen Erlebnis interessiert ist, mag noch so bunt, mag noch so erfolgreich sein – gotterfüllt ist sie nicht. Die postmoderne Esoterik wirkt auch deshalb so schal und substanzlos, weil sie ohne soziale Bezüge, ohne ethische Maßstäbe, ohne echte Verbundenheit mit dem Ganzen bleibt. Gott aber will für alle die Fülle des Lebens – Gott sei Dank!

© C. Moosbach 2000

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