Lennur Zalfyd

Das verkannte Genie

Eine kleine Abhandlung von Cassio d´Ril

"Yl vyghn sygn yf vi aesgyn shny`pp gr`ch anvv sh`na sygn yf?"

Diesen formidablen Satz schenkte Zalfyd im Jahre 261Tr der Welt, und sie hat sich seitdem nicht nur weiter von der Sonne bescheinen lassen, sondern sich auch tatkräftig damit auseinandergesetzt. Bevor wir uns aber in die Tiefen der inneren Interpretation begeben, sollten wir uns vor Augen fassen: wer war dieser Mann eigentlich?

Wer war Lennur Zalfyd, daß er es wagte, solches öffentlich von sich zu geben, mitunter sogar im Beisein in Würdenträgern, bisweilen in der Ausübung des eigenen Amtes?

 

Man muß wissen, daß er seinerzeit über das Smedimassiv, genauer: durch den Jagglopaß, in den Osten Drias gezogen war, wo er einige Zeit den Dheromyn und das Lichtelgebirge bereiste, nur um sich hernach für einige Jahre in Jefulam niederzulassen. Was davor geschehen war, ist nicht bekannt, umwölkt vom Nebel der Unwissenheit, die so groß war, daß ein Fremder samt Pferd darin hätte verschwinden können, was er aber nicht tat.

Sicher ist dies: daß er schon damals durch diverse weise Sprüche dem Einen oder Anderen zur Hilfe gereichte und sich in der Beratung der lokalen Behörden nützlich machte. Schimpft sich heute ja jeder zweite oder gar dritte einen Gelehrten, war Gelehrsamkeit damals noch eine echt verdiente und dienbare Eigenschaft, durch die sich so mancher vom einfachen Volk unterschied, bis hin zur Anzahl der Federn auf dem Hut.

Die neuere Geschichtsschreibung vermutet aufgrund zahlreicher Belege und Schriftstücke sowie Aufzeichnungen und Niederschriften als auch Inschriften in Schriftrollen und Abschriften der Inschriften, daß Zalfyd ursprünglich vom mittelländischen Kontinent stammte und beim Hafen von Goortehaard vom Schiff gegangen war, um unverzüglich das legendäre Smedimassiv aufzusuchen, dem man heute noch nachsagt, dort würde nicht nur seltsames Gras wachsen, sondern in den Höhlen und unter den Bergen seien Einsiedler zugange, mit denen es nicht immer ihre Richtigkeit habe.

Wird dies zwar von etlichen Kopien der Schriftrollen bestätigt, so läßt es sich auch in den geheimen Aufzeichnungen der Transzenditen nachlesen, welche sich schon frühzeitig von der Qualität seiner Philosophismen und Tragweite seiner Worte überzeugt hatten. Schwer wogen sie.

Nach dem Aufenthalt in Jefulam führte seine Reise über Kola nach Fas-Kola, wo ihm vom Alten Hüter feierlich der Stein von Epitrecoa überreicht wurde. Die Geschichte des Steines ist eine andere.

Danach wurde Lennur Zalfyd recht rasch bekannt als der Hüter des Steins von Epitrecoa, und wie kein anderer vor ihm ging er auf die angemessene Weise damit um. Man muß wissen, daß jener Stein auf Ratsversammlungen stets enthüllt wurde, während er während profanerer Zeiten in einer versiegelten Holztruhe, einer Schriftrollentruhe nicht unähnlich, aufbewahrt wurde. Denn es hatte etwas damit auf sich, und das war dies:
der Stein (wie vormals alle Steine von Epitrecoa) begann zu glimmen, ja zu leuchten, wenn in seiner Nähe die Unwahrheit gesagt wurde. Aus diesem Grunde war seine Anwesenheit auf offiziellen Versammlungen so geboten. Und einen Hüter mußte es geben, um jenes seltene und wertvolle Kleinod zu schützen.

Weiter entfernt, etwa an der Westküste Drias, wo derlei Mirakel unbekannt waren und sich so mancher in Lumpen hüllte, wenn er schon selber keiner war, machte die Kunde die Runde, doch hielten manche Narren den weisen Zalfyd gar für einen Leuchtturmwärter, nur weil er einen leuchtenden Stein aufbewahrte und bisweilen einen Turm betrat.

Weniger weise, dafür aber reich an Anekdoten und falschen Geschichten war der weise Olnikor, der meist im Smedi hockte und auf junge Adepten wartete, die freiräumliche Erleuchtung suchten, und bestimmt nicht die eines Steines. Nach der bedauerlichen vertikalen Verkürzung des Krukhorns war er nicht anwesend gewesen, was angesichts der allgemeinen Chronologie auch schwerlich möglich gewesen wäre. Er hatte aber davon gehört und hatte ein bescheidenes Einkommen aus dem Verkauf von Fundstücken, die er aus zahlreichen verschütteten Höhlen ausgrub. Da war so manches dabei, sogar Erstaunliches.

Nicht minder erstaunlich war die Beweisführung, die Zalfyd selbst im Jahre 265Tr anläßlich einer Versammlung bestritt. Hinterher wollte er sie nicht einmal gesagt haben. Doch dies war nur das Ausmaß seiner Bescheidenheit, denn ihm kam stets der Stein zuerst, dann die Wahrheit und dann nochmal der Stein, bevor es an ihn selbst ging. So hielt er es natürlich nicht beim Essen. Um die Sache zu verkürzen, gebe ich sie hier wieder, wie sie historisch überliefert ist, und stütze mich dabei auf die Aufzeichnungen, die ich von der Insel mitgebracht habe; jenem Eiland, dem ich für immer den Rücken, aber nie etwas anderes gekehrt habe.

Ein Mann, ein rechter Bauer seines Schlages, der auf den Namen Haruk hörte, jedenfalls meistens, wandte sich an die Versammlung und bat um Rat. Diesen zu gewähren, war immerhin Aufgabe der Ratsversammlung, und so wurde nicht mal lange gefackelt, sondern gleich das Ratsfeuer entzündet, um von der Tätigkeit der Versammlung kundzutun. Denn sie war eine öffentliche.

Als alle beisammen waren, enthüllte Lennur den Stein von Epitrecoa. Wahrheit war während der Versammlung wahrlich gewährleistet. War dies auch notwendig, denn der Kläger war, was keiner vermutet hatte, Idell ip Zand, der später den Beinamen "der Zeuge" erhalten würde. Ip Zand war völlig klar, daß seine üblichen Methoden hier nicht fristen konnten. Seine Beredsamkeit sollte zwar legendär werden, doch der Stein verhinderte wirksam die mißbräuchliche Anwendung von Worten, und dies war stets der Hintergedanke Idells.

So verfiel er auf eine List und brachte etliche Schriftstücke mit, welche allesamt auf eine Schuld Haruks hindeuteten, und zwar von nicht weniger als acht Sonnen, was eine erhebliche Summe darstellte und von einem Bauer, sogar einem verschlagenen, niemals erbracht werden konnte.
Idell, selbst verschlagen, wußte dies.

Er deklamierte: "Ich habe hier etliche Dokumente!", was gewiß der Wahrheit entsprach.
Haruk hingegen begann zu wimmern, sich der Gunst und Gnade der Versammlung zu unterwerfen und um Nachsicht, wenn nicht gar Milde, zu flehen.

Die Ratsmitglieder jedoch waren nur der Wahrheit verpflichtet und nicht der Milde. Dafür hätte Haruk schon ins Lichtelgebirge ziehen müssen. Dies sagten sie ihm auch, worauf Idell grinste und auf sein gutes Recht pochte, wobei das gute Recht in Gestalt eines Rotholzbohrtannentisches auftrat.
Ratsmitglied Anro Al-Jittek, weitläufig verwandt mit Idoris Al-Jittek, hieß ihn nach einiger Zeit mit "dem infernalischen Klopfen" aufhören, welches allgemein die Besorgnis der Beschädigung des Tisches auslöste. Dieser jedoch, aus bestem Rotholzbohrtannenholz, hatte die Prozedur geduldig ertragen und die beweistragenden Dokumente obendrein.

Idell, um zum Kern der Geschehnisse zurückzukommen, erhob die Papiere zur Anspruchsgrundlage, auf der seine Forderung gegen Haruk fußte. Und wie sie fußte! Sie klumpfußte fast schon, will sagen: sie hinkte.

Dies wurde jedoch erst nach einigem Hin und Her offenbar, als Lennur Zalfyd sich die strittigen Unterlagen in einer Verhandlungspause ansah und prüfte. Hernach besprach er sich in seiner kurzen und prägnanten Art mit Anro Al-Jittek, dieser wiederum mit Sylphor Redendrum und Erminia Rotgeber, welche in eine angeregte Unterhaltung mit Luron Kipp versunken war, was ihr niemand so recht verdenken konnte. Kipp war nämlich fast so scharfsinnig wie Zalfyd.
Er warf Sylphor einen verächtlichen Blick zu, nahm die Dokumente an sich und stellte fest, was Zalfyd schon am Anfang aufgefallen war.

"Diese Papiere sind in betrügerischer Absicht hier," verkündete Kipp, und wie erwartet, blieb der Stein dunkel. Idell rieb sich erschrocken die Hände, war aber klug genug, es nicht zu dementieren.

"Es handelt sich um eine geringe Schuld von einem sechstel Ytrebil, einer hier nicht üblichen Münze," fuhr Kipp fort und handelte sich einen bewundernden Blick von Erminia ein, "und das ist die Urschrift. Alle anderen Papiere sind Abschriften der Urschrift, wodurch der Eindruck erweckt werden soll, es seien weitere Forderungen."

"Meine Forderungen sind echt!" begehrte Ip Zand wütend auf, doch der Stein blieb auch diesmal dunkel. Wo lag die Wahrheit?

"In der Tat," berücksichtigte Luron den Einwand, "insoweit sie sich stets auf die gleiche Summe der Grundforderung von einem sechstel Ytrebil beziehen. Keinesfalls aber summieren sich die Abschriften zu acht Sonnen auf, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint."

Die Dunkelheit des Steins von Epitrecoa sprach für sich und somit für Kipp. Nur Lennur Zalfyd hätte es besser formulieren können.
Ip Zand, in derlei Dingen wohlbewandert, wechselte schnell seine Taktik. Er packte rasch die Dokumente ein, damit sie nicht später als Beweisstück gegen ihn geltend gemacht werden konnten, und senkte offenbar reumütig den Kopf.

"So will ich mich nun entfernen," meinte er, sich einen rückwärtigen Ausweg erschleichend. Und dann, er war schon halb an der Tür, tat er das Unvorstellbare. Aus verständlichen Gründen kann ich hier nicht den Wortlaut wiedergeben, doch es sei umschrieben, daß Idell ip Zand sich an der Türschwelle hoch aufrichtete und einen Satz in den Saal schrie, der zur Zerstörung des Steins von Epitrecoa führte.

Denn nicht einmal ein Cwarth war vergangen, als der Stein ob dieser Anmaßung zerbarst und zu winzigen trüben Sandkristallen zerfiel.

 

Danach gibt es nicht mehr viel zu berichten. Ip Zand konnte nicht verfolgt werden, weil es kein Gesetz gegen klare Aussagen gab. Schließlich hatte er, wie mehrere Ratsmitglieder bestätigten, keine Magie verwendet.
Lennur Zalfyd versank für einige Wochen in Depressionen und schrieb das legendäre Steinepos, bevor er nach Fas-Kola reiste und vom Alten Hüter noch einen Stein erbat. Untersuchungen, welche derweil von rasch herbeizitierten Gelehrten und einigen hochrangigen Magiern durchgeführt wurden, verliefen im Sande, und man kam zu dem Ergebnis, daß Zalfyd wirklich nichts hätte tun können (außer einem Akt spontaner unangemessener Gewalt, um Ip Zand zum Schweigen zu bringen). Als Folge wurde jedoch beschlossen, den furchtbaren Satz zu vergessen und Idell Ip Zand den Zugang zum Ratssaal zu verbieten. Noch einen Steinverlust konnte man sich nicht leisten.
Aus all dem wird ersichtlich, wie zwiespältig die Figur des Zeugen Ip Zand schon damals war. Er hat sich später auch noch so manche üble Nachrede und so manche Schlitzohrigkeit geleistet, aber nie wieder so eine infame Boshaftigkeit wie die Zerstörung eines magischen Steins nur mit einem einzigen Satz, und zwar ohne die Zuhilfenahme von Magie.

Für den, der diese kleine Abhandlung hartnäckig bis hierher verfolgt hat, sei nun die Frage gestellt:

Was hat Idell ip Zand damals im Ratssaal gesagt?

Eine Beantwortung ist inzwischen unschädlich, da der letzte Stein von Epitrecoa schon vor über hundert Jahren verschollen ist und somit nicht mehr die Gefahr der Zerstörung eines alten Artefaktes besteht.

Wer die Lösung (oder wenigstens eine Lösung) hat, schicke sie an den Ersteller der Lennur-Zalfyd-Homepage. Es gibt auch einen kleinen Preis für die erste richtige Lösung.

 

Was indes die Inschriften angeht, welche zu beweisen suchen, daß Zalfyd vom Kontinent stammte, so ist inzwischen erwiesen, daß es wohl eher die Südlande sind, aus denen er ursprünglich gekommen war, und zwar aus Horondor.

Ist dies um so mehr bedenklich, wenn man bedenkt, was da abgeht: dem Leben geht da so einiges ab, hat die Stadt ja nicht umsonst ihren Beinamen, doch wird manches auf den ersten Blick Erschreckende gemildert durch die hohe Anzahl der Tempel und Prachtbauten ebenda, und im übrigen sollte man sich ins Gedächtnis rufen, daß eigentlich nichts Unnatürliches daran haftet.

Wer mehr über Horondor erfahren will, halte sich da lieber an die Quellen, unter denen ich "Das Wegebuch des Durik Zeyon" mit Genuß gelesen habe. Ist der Autor zwar kein Drianer, aber des Schreibens und Fabulierens wohl nicht minder mächtig als einer meiner Vorfahren, welche ja, wenn man der Überlieferung Glauben schenken darf, und warum sollte man dies nicht, ebenfalls vor langer Zeit vom Kontinente eingewandert sind, wie die meisten der Einwanderer vor Unzeiten und überdies per Schiff.

So mancher suchte gar im Smedimassiv nach einem Schiff, nachdem in Seleskil das Gerücht aufgekommen war, einst hätten die Meere Dria fast vollständig bedeckt, und nur der fallende Wasserspiegel sei für die Entstehung der Insel verantwortlich. Das läßt die Frage offen, wo denn das Wasser hingeraten sein mag, und vorlaute Deuter deuten nach oben und murmeln von Wolken, die grau und schwer übers Land ziehen, nur um unverhofft abzuregnen, damit Dria wieder im Meer versinke.

Aber das ist graue Theorie, wenn man den Priestern von Otar und Saltah glaubt, die ja stets verkündeten, es sei vielmehr ein Stück der Sonne gewesen, das dereinst ins Meer gefallen sei, um zur Freude der Götter zur Sonneninsel zu werden. Diese schöne Legende wird leider öfters von mißmutigen Deutern in Frage gestellt, welche die Frage stellen, warum es dann in Dria oft so kalt sei, vor allem im Winter.

Zalfyd selbst beschäftigte sich öfter in seinem Haus mit jenen Fragen und deren astronomischer Ableitung. Um auf des Rätsels Schliche zu kommen, bestieg er tatsächlich ab und an einen Turm, doch nur, um von dort einen besseren Blick über die Gegend zu haben, und nicht etwa, um jemandem heimzuleuchten. So war es nicht.

Während also Olnikor auf der Suche nach dem Schiff im Smedi umherstakste und dabei das Gras mit Füßen trat, geriet viel weiter östlich der Hüter des Steins in die innere Erkenntnis. Er wollte seine Folgerungen gerade notieren, als es an der Tür klopfte: Erminia Rotgeber stand dahinter. Dies wurde Lennur auch gleich klar, als er die Rotholzbohrtannentür öffnete. Das war natürlich nicht die Zeit des Notierens, sondern vielmehr des Diskutierens, und so ging es in angeregter Weise quer durch die höhere Philosophie und den Garten.

Es soll hier nicht besprochen werden, was wer wem offenbarte und wie beide nach bereits drei Stunden eine neue Form der klassisch nelevitischen Anschauungslehre, festgemacht am wasalischen Kunstbegriff, hergeleitet hatten. Ein Freund Zalfyds kam in diesem Moment vorbei, erfaßte rasch die Tragweite der Vermutungen und eine Schaufel, womit er sich in den Keller davonmachte, um drei Tage lang nicht mehr hervorzukommen.

Etwas später wurde Lennur zu einer Versammlung berufen, und Erminia betrat den Keller, um nach dem Rechten zu sehen.

Nach wenigen Tagen traf Zalfyd seinen Bekannten am Hafen, und sie unterhielten sich in gedämpfter Stimme über so mancherlei. Zufällig kam eine Marktfrau heran, welche die Kleinkindaufpasserin von Erminias Schwester gewesen war, und verwickelte beide in ein nichtssagendes Gespräch über den Verbleib der Schwester der Kindsmutter. Nachdem auch noch drei Ratsmitglieder und ein bärtiger Bettler, der dem flüchtigen Ip Zand verblüffend glich, erschienen waren und die Diskussion höhere Wellen schlug als das benachbarte Meer, wurde allgemein als gute Idee betrachtet, sich über den Verbleib von Erminia Rotgeber Gedanken zu machen. Denn seit Tagen hatte sie niemand gesehen.

Der gute Freund, dem der Bettler gleich die Täterschaft und Steuerhinterziehung nachweisen wollte, sagte aus, daß er den Keller aus Langeweile verlassen habe. Sogar die Schaufel habe er dagelassen, da sie ohnehin Zalfyd gehörte.
Nun war es an Lennur, bleich zu werden, vor allem, als die Frage aufkam, warum er über Schaufel verfüge, wo dies Werkzeug doch nur einem Totengräber anstünde.

" Totengräber!" krächzte der Bettler überflüssigerweise, und es klang sogar noch düsterer, als wenn er "Leuchtturmwärter" gekrächzt hätte. Hier scheint sich das immanente Thema auszuwirken, zumindest die Tragweite der erste Silbe.

Während alle schon anklagend auf den ehrbaren Hüter des Steins wiesen und die Ratmitglieder schon einen Termin planten, winkte sie der Verfemte mit einer nachlässigen Geste zu seinem Haus. Da mochten sie selber nachsehen.
Zalfyds flüchtiger Bekannter öffnete als erster die Tür und geleitete die kleine Schar von etwa dreißig Personen nach unten, wo der Keller angebracht war: unter dem Haus, nicht sichtbar von außen.

"Sehr geschickt," flüsterte der Bettler, so daß es alle hören konnten, "so mancher hat mithin eine Leiche im Keller."

Und dann hörten sie es.

Es war ein unheimliches, nervenrührendes Geräusch, das so klang, als würde jemand mit einer Schaufel über den Boden kratzen oder ein tiefes Loch ausheben. Es wiederholte sich, und es kam aus dem Abgrund, der jenseits der Kellerstufen lag.

Niemand wagte sich hinunter, bis Zalfyd selbst, obwohl quasi einer Tat verdächtigt, voll Entschlossenheit nach vorn trat und eine Lampe vom Regal nahm. Das war ein Mut!

Bedächtig hielt er dann die Lampe ans Ohr und stellte sie nach wenigen Augenblicken lächelnd wieder zurück, nur um eine andere zu ergreifen. Diese zündete er dann an und schritt unerschrocken hinab.

Da wagten sich auch die anderen hinterher. Tiefer und tiefer schritten sie, alle neun Stufen der Wendeltreppe, und gelangten schließlich hinab. Und dort, nicht weit unter Zalfyds Haus, bot sich ihnen ein schreckliches Bild:
Erminia Rotgeber stand da und schaufelte wie von allen guten Geistern besessen. Schließlich hielt sie inne, drehte sich keuchend um und sah die verschreckten Bürger erschöpft an. Das Entsetzen stand allen ins Gesicht geschrieben, und niemand wagte etwas zu äußern.

Da faßte Erminia ihre Schaufel fester, drehte sich wieder um und sagte mit heiserer Stimme etwas, das bis heute mysteriös geblieben ist und sich allen bis zur Unauslöschlichkeit ins Gedächtnis gebrannt hat: "Tiefer, tiefer! Irgendwo in der Tiefe - gibt es ein Licht..."

Damit schaufelte sie weiter, und der Sand flog in hohem Bogen über ihre Schulter auf die verstörten Anwesenden, welche sich eilig verabschiedeten.
Sogar der Bettler war ungewöhnlich still und hernach nicht mehr gesehen.

 

Zalfyd blieb nach diesen Ereignissen nicht mehr lange in Jefulam und zog, wie es heißt, angeblich zurück in den Süden. Er verkaufte sein Haus, bekam aber nicht mehr viel Geld dafür, da es von eingedrungenem Grundwasser völlig unterspült war. Manche hielten das für bemerkenswert, da sich die Sache mit dem Wasser nur in seinem Haus konzentrierte, aber er sprach nicht viel darüber, reichte den Stein weiter und reiste in aller Ruhe ab.

Die Rückreise nach Horondor verlief spektakulärer, als er vermutet hatte, denn in jedem Ort, den er durchquerte, wurde er gebeten, zu verweilen und einige Vorträge über das Verfahren der Ratsversammlung, magische Steine und klassische Philosophismen zu halten. Im Gegensatz zu gewissen Gesellen, die auf einsamen Hinterhöfen und verlassenen Einöden predigten, waren seine Verlautbarungen stets gut besucht. Dies lag, wie man weiß, auch an der Klarheit seines Ausdrucks und seinen geistreichen Anekdoten, die seine Vorträge oft begleiteten. Wieder in Goortehaard, betrat er ein Segelschiff und reiste davon.

Vage Quellen berichten von dem einen oder anderen Erlebnis, das er in der Fremde, die für ihn natürlich gar nicht so fremd war, hatte, aber es würde der Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit dieser Abhandlung widersprechen, auf so ungenaue Berichte und nebulöse Aufzeichnungen zurückzugreifen, die ja meist nur im Nachhinein verfaßt und obendrein verfälscht sind, um Ansichten des jeweiligen Autors einzustreuen.

Es ist ja nicht einmal sicher, ob Zalfyd je in Jefulam gelebt hat oder eher in einer anderen östlichen Stadt. Nur sein Name und seine Berufung zum Hüter des Steins von Epitrecoa, das ist das einzige, was wirklich sicher ist.

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