Home
Günter Althoff
Ihre Hilfe
Gästebuch
Links
Moi
Mail

Kapitel:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27

13


Als die Nazis die Herrschaft in Danzig antraten, saß ich in der Quarta des Zoppoter Realgymnasiums und zitterte wie stets um meine Versetzung nach Untertertia. Von meinen Schulfreunden gehörten einige meiner Neudeutschen Gruppe an, andere hatten nichts damit zu tun. Von den zwei Juden unserer Klasse war ich mit einem gut befreundet. Er war der Sohn des Zoppoter Rabbiners mit einem unaussprechlichen Namen, der nur wie die hebräische Schrift aus Konsonanten zu bestehen schien. Er war ein schmaler Junge mit einem sehr ausgeprägten rassigen Judengesicht, auf das die Worte des hohen Liedes paßten 'Sein Haupt ist Feingold, seine Locken rabenschwarz'.

Ein anderer Freund hieß Wladislaw Drombowa von Schremowitz; einer der vielen meist katholischen Mitschüler ursprünglich polnischer und damit slawischer Herkunft, die z.B. auch Borowski, Teblowski, Derowski oder Tomaschewski heißen konnten. Später, nach dem Abitur, haben viele von ihnen das 'ski' aus ihrem Namen getilgt, so zu Germanen mutierend.

Meine Einstellung zu Beginn der Pubertät war nicht ohne jede politische Ambivalenz. Mein ältester Bruder muß 1933 Abitur gemacht haben. Er besuchte als einziger von uns das humanistische Gymnasium, wo übrigens Dr. Stachnik, der Vorsitzende der Zentrumspartei und ein konservativer Priester, sein verehrter Religionslehrer war. Auch er eine Grass'sche Romanfigur. Vorher war Klaus wohl einige Wochen bei einer englischen Familie zu Gast gewesen und im Gegenzug besuchte uns eine hübsche rothaarige Engländerin, die auch zu mir sehr nett war, deren Namen ich aber vergessen habe. Als sie mich fragte, was ich mir zum Abschied wünschte, bat ich sie um ein Hitlerbild, was sie mir schenkte, ohne darüber verwundert zu sein. Vielleicht teilte sie die Vorliebe des englischen Thronfolgers Eduard für Hitler und die Nazis. So hing nun tatsächlich ein Hitlerbild, nicht sehr groß, aber auch nicht zu übersehen, hinter meinem Arbeitsstuhl. Was war in mir vorgegangen? Wollte ich gegenüber einer Ausländerin mich mit Deutschland und seinem Führer identifizieren, dem man ja damals eigentlich noch nichts besonders vorwerfen konnte? Schließlich war er korrekt demokratisch an die Macht gekommen und die Nazis hielten sich in Danzig sehr zurück. SA-Leute waren primitiv und laut, aber dafür konnte wohl der Führer nichts.

Doch hat mich die Sache mit dem Führerbild nicht ganz losgelassen. Ich entwickelte eigentümliche Phantasien. Im Kino hatte ich den Film 'Hundert Tage' gesehen. Werner Krauss spielte Napoleon, der wieder in Frankreich gelandet war, um noch einmal die Macht an sich zu reißen, Gustav Gründgens den wendigen Fouché, der schon als Polizeiminister alle Wechselfälle der französischen Revolution überstanden hatte und nun dem Bourbonenkönig Louis Philipp diente, es jedoch verstand, sich mit beiden Rivalen gutzustellen. Hinter seinem Schreibtisch hing ein Bild, das auf der einen Seite Napoleon und auf der anderen Seite Louis Philipp darstellte und welches er je nach Übermacht des einen oder des anderen nur umzudrehen brauchte. Mich verfolgte der Gedanke, es mit meinem Hitlerbild ebenso zu machen. Doch war es sicher nicht wie bei Fouché‚ Opportunismus, sondern eher Zeichen einer von mir selbst innerlich abgelehnten Ambivalenz. Ich blieb von der allgemeinen Begeisterung nicht unberührt. Mir ist kein Gegenstück zu Hitler eingefallen, und so wachte der 'Führer' bis zum Abitur über meine Hausaufgaben.

Eine andere Erinnerung: Ich bin vierzehn und sitze in Danzig im Kino in einer Nachmittagsvorstellung. Der Raum ist so gut wie leer. Es läuft eine Wochenschau, man sieht eine nationalsozialistische Großkundgebung, wohl einen Parteitag. Die großen Aufmärsche, die Fanfarenzüge der Hitlerjugend - ich war nicht dabei, stand außerhalb. Ich erinnere mich genau, ich heulte Rotz und Wasser, weil ich nicht dabei sein wollte.

Die heutigen Schüler sind zu beneiden, daß ihr Schuljahr im Herbst und nicht im April beginnt. So bekommen sie das Zwischenzeugnis mit seinen drohenden Verheißungen erst zu Ostern und nicht schon, wie in meiner Schulzeit, zu Weihnachten. Nicht nur, daß ich mich damals jedesmal bei Ida, der unersetzbaren Stütze unseres Familienbetriebes, unterm Christbaum für verübte Missetaten des Vorjahres entschuldigen mußte, nicht nur, daß ich auf der Geige etwas vorzuspielen hatte. Seit dem neunten Lebensjahr hatte ich nämlich Geigenstunden bei Herrn Prinz, dem Konzertmeister des Danziger Staatstheaters, natürlich einem Juden, dem es leider nie gelang, mir ein anständiges Vibrato und eine lockere Bogenführung beizubringen. Nein, es galt auch noch die elterliche Mißstimmung zu überstehen, weil leider in jedem Jahr bis zur Untersekunda im Zeugnis 'Versetzung zweifelhaft' oder gar 'sehr zweifelhaft' angemerkt war. Da halfen auch die Einser in Deutsch, Geschichte, Musik und Turnen nicht viel. Gott sei Dank war mein Vater nicht nachtragend, und meine Mutter hielt aus eigener Erfahrung nicht all zuviel vom Schulwissen. Dennoch blieben natürlich kummervolle Mienen und ernsthafte Ermahnungen nicht aus.

weiter zu Kapitel 14
Kapitel:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27

Home
Günter Althoff
Ihre Hilfe
Gästebuch
Links
Moi
Mail

Last Update: 24.02.2005