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Ich wurde am 20. September 1920 in Marienburg geboren, einer Kleinstadt von etwa 25.000 Einwohnern am Fuße der imposanten Burg der deutschen Ordensritter gelegen, die der Stadt ihren Namen gegeben hat. Marienburg gehörte zu Westpreußen. Mein Vater war dort Stadtbaurat und zweiter Bürgermeister. Etwa zwei Monate vor meiner Geburt, am 11. Juli fand dort die Volksabstimmung darüber statt, ob diese Provinz zu Deutschland oder zu Polen gehören sollte.

Die Stimmung der damaligen Zeit schildert meine Mutter in der Familienchronik: "Ein Heereszug von geborenen Ost- und Westpreußen, verschlagen in alle Teile des deutschen Vaterlandes, kam zu Schiff, per Bahn nach Marienburg, um von dort zu ihren Geburtsorten weiter befördert zu werden, damit sie am Tage der Abstimmung durch ihren Stimmzettel bekunden, daß diese großen fruchtbaren Provinzen deutsch gewesen und geblieben sind. Der Osten ist von je her ein gastfreundliches Land, aber die Gastfreundschaft jener Tage war unbeschreiblich. Man war wirklich ein einig Volk von Brüdern. Bis tief in die Nacht saßen wir Kollegenfrauen bei unseren Männern im Rathaus, um die Abstimmungsergebnisse der Städte, Dörfer und Ortschaften aufzunehmen. Als am Schluß der überwältigende Sieg der deutschen Stimmen bekanntgeworden war, zog ein endloser Menschenzug singend, vor Freude weinend, jauchzend durch die schöne Juni-Nacht zum Denkmal des Bürgermeisters Blume, Zeuge des Deutschtums aus längst vergangener Zeit. Oberbürgermeister Pawelcik, sonst nicht gerade ein begnadeter Redner, hielt dort spontan eine aus tiefstem Herzen kommende und darum zu Herzen gehende zündende Ansprache, voll des Dankes, daß das Resultat der Abstimmung die Ostprovinzen vor der Abtretung an Polen gerettet hat."

Teile Westpreußens und Posens waren ohne Abstimmung an Polen gekommen und bildeten einen Teil des sogenannten Korridors, der Zentralpolen mit der Ostsee verband. Ostpreußen und Westpreußen waren Grenzland zwischen polnisch sprechendem Slawentum und preußisch orientiertem Deutschtum. Es wechselte in den letzten Jahrhunderten immer wieder den Besitzer, gehörte lange Zeit zu Großpolen, dann wurde Polen wieder geteilt, es kam zu Preußen, dann wurde es wieder polnisch, nach der letzten polnischen Teilung, durch die 1795 Polen von der Landkarte verschwand, wieder preußisch, um dann 1871 mit Ostpreußen zum östlichen 'Vorposten' des deutschen Reiches gegen die Slawen zu werden. Grenzland war auch die Stadt Danzig mit ihrem Umland, der Ort, wo die Fäden meines und meiner Brüder Herkommen zusammenlaufen, obwohl nur ein Bruder - wohl eher zufällig - dort geboren ist.

Ich weiß nicht, ob etwas dran ist an der von manchen Psychoanalytikern behaupteten 'Pränatalen Prägung', die besagt, daß schon das Embryo Signale aus der Umgebung, vor allem aber Gefühle und Stimmungen der Mutter in sich aufnimmt und dadurch der Mensch zeitlebens geprägt werde. Jedenfalls war unser Deutschtum an Sprache und Brauchtum gebunden und war gegen die slawisch sprechenden Völker, das heißt gegen Polen, Litauen und Russen zu verteidigen. Rassische Vorstellungen waren uns fremd. Da standen andere Vorurteile im Vordergrund, so konnte man deutsche Ordnung gegen die 'polnische Wirtschaft' ausspielen. Meine Mutter hatte eindeutig slawische Züge, betonte, etwas hochgezogene Backenknochen, eine flache Nase und ein etwas breitflächiges Gesicht. Der Operettentext 'Am schönsten aber ist die Polin' stimmt mit der Wirklichkeit durchaus überein. Davon kann sich jeder überzeugen, der heute in die alten Ostgebiete reist und die hübschen blonden helläugigen polnischen Mädchen und jungen Frauen anschaut.

Die vielleicht wichtigste Prägung meines Lebens ist die katholische. Der Vater meiner Mutter stammt aus Ostpreußen, und zwar aus dem Bezirk Ermland, das mit der Teilung Polens 1772 an Preußen gefallen war. Ermland gehörte zum Bistum Braunsberg und bildete mit diesem eine katholische Enklave. Ostpreußen war einst durch die Pest fast völlig entvölkert worden. Es waren die brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Könige, die das Land mit Emigranten aus Ländern neu besiedelten, die wegen ihrer Religion in der Heimat verfolgt worden waren. Meistens waren es katholische Länder, die ihre nicht katholischen Bürger zur Auswanderung zwangen. So waren die Katholiken in Ostpreußen in der Minderheit. Die Mehrheit der Bevölkerung waren Protestanten verschiedener Spielarten, wie Calvinisten, Hugenotten oder Mennoniten. Ähnlich war es auch in Westpreußen, das ja noch länger unter polnischer Herrschaft gestanden hat. Eine Landschaft Westpreußens hieß Danziger Nehrung, eine seinerzeit durch den großen Kurfürsten trockengelegte Sumpflandschaft in der Weichselniederung. Sie war für ihre guten Böden und reichen Bauern bekannt.

Eine Großtante meiner Mutter, also meine Urgroßtante, heiratete einen dieser reichen Bauern namens Halbe. Der Ehe entstammt Max Halbe, ein ehemals bekannter Schriftsteller des Naturalismus, der heute fast vergessen ist. Er ist der Verfasser eines Ende des vorigen Jahrhunderts vielgespielten Dramas 'Jugend'. Da diese Familie katholisch war, im Gegensatz zu den übrigen deutschen Bauern dort, nahm sie eine Sonderstellung ein. Katholische Männer waren häufig gezwungen, sich um der Religion willen Frauen aus dem polnisch sprechenden Teil der Bevölkerung zu suchen. Es ging dabei hin und her. Halbes Großmutter, mit dem deutschen Mädchennamen Rompf, sprach polnisch ebensogut wie deutsch, fühlte deutsch und hatte gleicherweise polnische wie deutsche Verwandte. Diasporakatholizismus, teilweise slawischen Ursprungs und Grenzlanddeutschtum wurden so die Grundgefühle einer Kindheit und Jugend. Auf ihre Bedeutung will ich später zu sprechen kommen.

Meine beiden Elternteile stammen aus bäuerlichem Milieu. Der Vater meiner Mutter hat beschrieben, wie schwer es damals war, ein Bauer zu sein: die vielen Notzeiten durch Kriege oder Preisverfall, die mühsamen Neuanfänge, die Zähigkeit sich wieder hochzuarbeiten, das einfache kümmerliche Leben in der Enge der Dörfer und kleinen Städte jenes Grenzlandes.

Meinem Großvater gelang es, sich daraus zu befreien und ins Bürgertum aufzusteigen. Davon berichtet er in der Familienchronik nicht  ohne Stolz. Wegen der Armut der Eltern konnte er nur die Dorfschule besuchen. Mit sechzehn jedoch entschloß er sich, Lehrer zu werden, bestand 1869 die Aufnahmeprüfung ins Lehrerseminar und bildete sich später an der Kunstschule Breslau und an der Kunstakademie Königsberg zum Zeichenlehrer für höhere Schulen aus. Er schreibt stolz: 'Hiermit war ich gewissermaßen in eine andere Sphäre gerückt'. Er wurde dann Zeichenlehrer am städtischen Gymnasium zu St. Petri und Pauli in Danzig.

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Last Update: 23.02.2005