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Wer sich das Soldatsein im zweiten Weltkrieg mit seinen zahlreichen Feldzügen vorstellt, wird vielleicht denken, die Soldaten, die wie ich von Anfang bis Ende an allen Fronten mitgemacht haben, diese 'Frontschweine' hätten nur selten Urlaub bei den Ihrigen verbringen können. Auf mich, wie auch wohl auf die meisten trifft das nicht zu. Zwischen den Feldzügen in Polen, Frankreich, auf dem Balkan waren ausreichend große Zwischenräume, die man in der Heimat verbrachte, wenn nicht gerade eine Neuorientierung nötig wurde, wie die Umrüstung unserer Einheit von einem Infanterie-Regiment in ein Panzergrenadier-Regiment. Hierzu wurde man auf einen Truppenübungsplatz verlegt wie Großborn oder Munsterlager, zwei gleichermaßen trostlose Stätten. Daß ich auch während des endlos langen Rußland-Feldzuges viel Zeit zuhause verbringen konnte, verdanke ich den drei Verwundungen, jeweils im Herbst der Jahre 1941, 1942 und 1943. So entging ich den russischen Wintern und schließlich auch dem Untergang der sechsten Armee bei Stalingrad.

Wenn ich aber, ob auf Urlaub oder Genesung, zuhause war, konnte ich den Krieg fast vergessen. Mit allen seinen Vororten war Danzig bis Ende 1944 eine Oase des Friedens. Nie wurde dort ein feindliches Flugzeug gesichtet, nie gab es Alarm. Im Sommer 1944 standen in unserem Garten drei Wiegen mit den Erstgeborenen der drei Brüder, deren Frauen aus Berlin und Westfalen dort sichere Zuflucht vor den Bomben gefunden hatten. Man badete, segelte, flanierte, ging in Bars oder in das Spielcasino, wie im tiefsten Frieden. Der große Gemüsegarten, die Ostsee mit ihrem Fischreichtum schufen ausreichende Zukost zu den immer schmäler werdenden Rationen.

Wenn ich später als junger Lehrer von den Schülern aufgefordert wurde, doch mal etwas aus dem Krieg zu erzählen, was in den fünfziger Jahren gar nicht so selten der Fall war, gab ich meistens Abenteuer zum Besten, in denen ich eine unfreiwillig komische Rolle gespielt hatte, und daran gab es anfangs des Krieges keinen Mangel.

Unser Hauptfeldwebel, der Spieß der Kompanie hieß Karl Schöwe. Er hatte mich ungeheuer 'auf der Latte'. Was nicht unverständlich ist, denn ich war das Gegenteil eines strammen Soldaten. Mein Bemühen, nichts falsch zu machen, führte nur zu vermehrten Fehlleistungen. So trat ich zum Gaudium der Kameraden gelegentlich ohne Stahlhelm, einmal auch ohne Gewehr zum Appell an, worauf Schöwe rot anlief und mich vor der Front schliff. "Hinlegen", "Sprung auf marsch marsch", robben und andere entwürdigende Übungen waren an der Tagesordnung. Wenn die Kameraden dann ihre Sympathie zu mir zu deutlich zeigten, konnte es passieren, daß der erboste Spieß die ganze Kompanie schliff. Was Schöwe außerdem von den meisten Menschen unterschied, war eine auffallend große gurkenförmige Nase.

Als 1941 vor Beginn des Frankreichfeldzugs unsere Kompanie ins hübsche Weindorf Dienheim bei Oppenheim verlegt wurde, wurden die ersten Beförderungen ausgesprochen. Alle Kameraden, die mit mir angefangen hatten, wurden Gefreite, nur ein Pferdebetreuer, der kaum lesen konnte und ich wurden zu Oberschützen befördert, dem niedrigsten aller denkbaren Dienstgrade. Eine Schändlichkeit, die ich dem Spieß verdankte, als Zeugnis meiner militärischen Qualitäten.

Ich rächte mich mit meinen Mitteln. Ich hatte einen bunten Abend für das Batallion und die Bevölkerung zu organisieren, wobei ich die Conference übernahm; dazu war ich nämlich nicht zu dumm. Dabei erzählte ich einen Witz über einen Spieß und nach dem Lacher fügte ich beiläufig hinzu, "er hieß übrigens Gurken-Karl." Nach einem Augenblick des Schweigens brach das ganze Batallion in tobendes Gelächter aus. Der Mann hatte seinen Spitznamen weg. Selbst der Oberst von Groddeck, unser Regimentskommandeur, befahl seinem Adjutanten: "Schicken sie mir doch mal den Hauptfeldwebel, wie heißt er doch schnell, na ja, den Gurken-Karl, vorbei."

Nach dem Einsatz in Elsaß-Lothringen bekam ich das EK 2 und das Sturmabzeichen verliehen und wurde rückwirkend zum gleichen Zeitpunkt wie zum Oberschützen zum Gefreiten befördert. Später, nun schon Unteroffizier, traf ich im Zoppoter Kurcafé den alten Hauptmann Stiefvater, der indessen zu einem wohlverdienten Heimatposten abkommandiert worden war. Wir freuten uns, uns zu sehen, und er hat mir gestanden, daß er sich den Vorwurf mache, damals auf seinen Hauptfeldwebel gehört zu haben. 

Hier ist ein Wort vonnöten, über das indessen unmodern, ja fast anrüchig klingende Wort 'Kameradschaft'. Die Soldaten einer Einheit hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Ohne diesen Zusammenhalt gab es kein inneres und kein äußeres Überleben. Gegen die eigentlich entwürdigenden Befehle eines Schöwe gab es kein Mittel; man war wie ein Sklave dem schikanösen Druck des Unteroffiziercorps ausgeliefert.

Einmal war es mir möglich, gegen einen besonders üblen Exzeß doch etwas zu unternehmen. Wir waren vor dem Balkankrieg in Bulgarien stationiert. Mein Gruppenführer Gast, ein ebenso mutiger wie primitiver Typ, hatte abends gesoffen und ich hatte vergessen ihn zu wecken. Noch halb betrunken kam er angestürzt, rief mich heraus und schliff mich auf die typisch entwürdigende Weise. Mich allein hetzte er kreuz und quer über den Hof. Da bemerkte ich zwei bulgarische Soldaten, die über den Zaun hinweg diesem Schauspiel zuschauten. Auch Kameraden hatten sie bemerkt und wurden so zu Zeugen. Ich muckste nicht auf und ließ Gast sich austoben. Doch anschließend ging ich zum Kompaniechef, dem fähigen und auch menschlich anständigen Oberleutnant Schulz und erstattete dienstliche Anzeige gegen Unteroffizier Gast wegen 'Herabwürdigung des Ansehens der deutschen Wehrmacht'. Trotz Drohungen des gesamten Unteroffiziercorps, man würde mich fertigmachen, hielt ich meine Anzeige so lange aufrecht, bis Gast sich vor der ganzen Kompanie bei mir entschuldigt hatte. Man hat mit mir solche Mätzchen nie mehr versucht.

Offiziell wurden diese Schikanen als Mittel der Erziehung zur im Kriege notwendigen Anpassung an die Befehle und zum Ertragen von Strapazen gepriesen. Die Rechtfertigung des übrigens genauso zusammenstehenden Unteroffizierscorps hieß, wir haben dasselbe durchmachen müssen, und es hat uns auch nicht geschadet. So galt es für die Mannschaft, genauso stur zu reagieren. In meiner Kompanie war eine große Anzahl der Rekruten Studenten. Wenn wir auf dem Kasernenhof in Danzig-Langfuhr bis zur Erschöpfung geschliffen worden waren, begannen wir die polnische Nationalhymne auf Deutsch zu singen 'Noch ist Polen nicht verloren'. Dagegen war nun Schöwe wieder machtlos.

Im Kriegseinsatz - das Wort 'im Felde' oder gar 'auf dem Felde der Ehre' fand sich nur in Reden oder auf Todesanzeigen wurde der Zusammenhalt Voraussetzung fürs Überleben schlechthin. Einer für alle, alle für einen hieß, wer sich verteidigte, verteidigte die anderen mit und umgekehrt. Wer verwundet liegen blieb wurde herausgeholt, und wenn Kameraden dabei zu Tode kamen. Stets hing das eigene Leben von der Bereitschaft der anderen ab, ihr Leben dafür einzusetzen. Man hat sich später darüber lustig gemacht, daß Bauarbeiter, Studienräte, Patres, Universitätsprofessoren, Leute, die sich in ihrer Lebensform inzwischen weit voneinander entfernt hatten, bei solchen 'Kameradschaftstreffen' mit Kriegskameraden sich aufführten, als wären sie noch immer Soldaten: gröhlten, weinten, sich besoffen, sozusagen auf die archaische Urform der Gruppe regredierten. Ich habe das zwar nie mitgemacht, meine Kameraden waren ja auch tot oder in russischer Gefangenschaft, aber verstanden habe ich es schon. War man doch im Kriege oft wochenlang in der Lage von Teilnehmern einer alpinen Seilschaft, die in schweres Wetter gekommen ist. Da kann keiner ohne den anderen überleben und die Rettung aller hängt von jedem einzelnen ab. Dazu kommt hier wie dort die Nähe des Todes, die ein gesteigertes Lebensgefühl, vielleicht gefördert durch andauernde Adrenalin-Ausschüttung hervorruft, welches im bürgerlichen Leben nie oder nur ganz selten vorkommt.

Dies darzustellen heißt jedoch keineswegs, es wie Ernst Jünger zu verherrlichen. Denn natürlich war dennoch jeder froh, wenn er den berühmten 'Heimatschuß' abbekam. War da doch das Grauen, die Angst, der Dreck, die Hoffnungslosigkeit und am Ende dann nur noch der Wunsch, das sinnlose Morden zu überleben.

Das alles gilt so ausgeprägt jedoch nur für den Rußlandfeldzug. In Polen und Frankreich dauerte der Einsatz jeweils nur etwa drei Wochen. Im Balkanfeldzug hatten wir so gut wie keine Feindberührung.

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Last Update: 24.02.2005