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Juli 1941 drang unsere Panzerdivision, die zur sechsten Armee gehörte, in die Ukraine ein. Der Rußlandfeldzug hatte begonnen.

In der Chronik meiner Mutter steht, daß ich einmal aus dem Rußlandfeldzug tief verstört heimgekommen sei. Ich habe es verwundert gelesen und konnte es mir eigentlich nicht so recht vorstellen. Gewiß, die ersten Monate des Rußlandfeldzuges ließen die bisherigen Feldzüge als harmlose Spaziergänge verblassen. Aber sollte ich wirklich davon mehr beeindruckt gewesen sein als andere? Wahrscheinlich hatte meine Mutter mal wieder sentimental übertrieben, dachte ich. Um so verblüffter war ich, Jahrzehnte später die gleiche Feststellung noch einmal zu vernehmen. Ein Onkel mütterlicherseits ist vor einigen Jahren hochbetagt gestorben und ich hatte seinem noch hochbetagteren Bruder kondoliert. In seinem Dankschreiben erwähnte er als für ihn wichtige Erinnerung, wie verstört ich einmal als Urlauber aus Rußland heimgekommen sei. Es mußte also wohl doch stimmen. Und langsam sind dann wieder Bilder aufgetaucht, die ich halb oder ganz verdrängt hatte. Was ich gesehen und erlebt habe in den Monaten meines ersten Einsatzes, soll hier bezeugt werden, und keiner, der dabei war, soll behaupten, er hätte gleiches oder ähnliches nicht erlebt.

Obwohl die sechste Armee, dank ihrer überwältigenden technischen Überlegenheit, relativ zügig vorankam, verteidigten die Russen sich mit dem Mut der Verzweiflung. So waren die Kämpfe hart und verlustreich. Hatte uns die Bevölkerung der Ukraine anfangs freundlich begrüßt, manch einer uns einen Hinweis oder eine Warnung gegeben, so änderte sich deren Haltung bald entscheidend, als die Verbände der SS und der Goldfasanen, wie wir die braunen Mordbuben nannten, hinter uns getreu dem Befehl Hitlers unter den minderwertigen Slawen aufräumten. Bald bildeten sich überall hinter der Front Gebiete, die von Partisanen beherrscht wurden.

Das machte uns schwer zu schaffen. Einer meiner Danziger Kommilitonen hieß Jensen. Als wir uns damals zum Wehrdienst gemeldet hatten, war er bereits als im Reich ausgebildeter Unteroffizier zu uns gestoßen. Er war ein blonder und blauäugiger Hüne, ein guter Freund des Kompaniechefs, auch als Leutnant stets zu allen möglichen Späßen aufgelegt, einer von denen, die eigentlich jeder gerne mochte. Außerdienstlich duzten wir uns. So erzählte er mir eines Tages, wie er ein Partisanennest ausfindig gemacht hatte, von dem Erlebnis noch gezeichnet. Einen Partisanen hatte man gefangengenommen. Als dieser beim Verhör, das ein ebenfalls gefangener Politruk, also ein politischer Offizier der Russen dolmetschte, verbissen schwieg, erbot sich der Russe, die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln. Jensen erzählte mir nun, durchaus mit bedrückter, ja angeekelter Stimme, wie jener Politruk nun dem Gefangenen systematisch mit einem Prügel Knochen um Knochen kaputtschlug. Zwischen den Folterungen steckte er ihm dann eine Zigarette in den Mund und versicherte ihm, er würde ja sofort aufhören, wenn der Partisan den Aufenthalt seiner Kameraden, die man ja auch ohne ihn schließlich finden würde, verriete. Angeekelt hatte Jensen dem Folterer gedroht, ihn zu erschießen, wenn sich herausstellen sollte, daß der Gefolterte wirklich nichts wußte. Schließlich war dann doch das Ziel erreicht: Der Partisan verriet seine Kameraden und schon halb tot bekam er von Jensen den 'Gnadenschuß'. Wahrscheinlich hat das Geständnis einigen von uns das Leben gerettet. Jensen wirkte bedrückt über das Mittel, das er dazu hatte anwenden müssen. Er deutete an, daß die Erinnerung an diesen Vorgang ihn nicht so schnell verlassen würde, zweifelte jedoch nicht einen Augenblick daran, richtig gehandelt zu haben. Die Genfer Konvention von 1929 war ihm, wie mir auch, unbekannt oder galt nicht mehr für einen deutschen Offizier.

Einmal kampierten wir für mehrere Tage einige Kilometer hinter der Front, um wieder neue Kräfte zu sammeln. Da hörte ich von weitem Gewehrsalven. Ich schaute mich um und sah in einer Entfernung von ein paar hundert Metern einen ausgehobenen Graben, davor aufgereihte Menschen, die kurz darauf von einer Maschinengewehrsalve getroffen rückwärts in den Graben stürzten. Mir graute. Ein Offizier kam an mir vorbei und sagte: "Sehen Sie besser nicht hin, das geht uns nichts an." Waren es Partisanen, waren es Juden? Ich habe es nie erfahren. Zu welcher Einheit gehörten die Todesschützen?

Ein andermal mußten wir uns vor einem Gegenangriff ein paar hundert Meter zurückziehen, wobei wir einige Verwundete nicht mehr bergen konnten. Als dies der Batallionskommandeur erfuhr, befahl er sofort einen massierten Gegenangriff. Wir kamen zu spät. Die Kameraden waren tot. Einigen von ihnen hatte man die Geschlechtsteile abgeschnitten.

Nein, das war kein Krieg mehr, dieser größte Feldzug seitdem es Kriege gibt, es gab auf beiden Seiten keine ritterliche Behandlung des Gegners. Es war schlichtweg grauenhaft. Wie konnte ich mich vor diesem Wahnsinn wenigstens etwas in Sicherheit bringen?

Ich kam auf die Idee, mich schriftlich um Abstellung zu einer Propagandakompanie zu bewerben. Wir hatten deren Tätigkeit schon beobachtet und bei ihren Filmaufnahmen selbst mitgewirkt. So hatten wir ein ukrainisches Dorf zweimal erobert, einmal mühsam Haus für Haus, das zweite Mal für die Kamera eindrucksvoll forsch. Mein Gesuch wurde abgelehnt, ich sei im Einsatz und darum im Augenblick nicht entbehrlich. Daß ich, wenn man mich genommen hätte, zur Waffen-SS gehören würde, hatte ich nicht bedacht. Und so habe ich meine Seele nicht noch mehr verkauft und brauchte eine in die Achselhöhle tätowierte Blutgruppe nicht später herausoperieren zu lassen.

Die Erlösung kam dann durch eine Verwundung. Es war indessen Herbst geworden. Auf Panzern sitzend hatten wir uns den feindlichen Stellungen genähert und sprangen erst ab, als die russischen Panzer schon einige hundert Meter vor uns auszumachen waren. Der Gefreite Voß und ich hatten Befehl, als vorgeschobene Spitze dem Feind entgegenzugehen. Voß und ich waren Freunde, was auch damit zu tun hatte, daß wir beide darstellende Künstler werden wollten. Er Sänger und ich Schauspieler. Im Augenblick aber waren wir zu einem Himmelfahrtskommando eingeteilt. Während wir langsam vorwärts schritten, fingen von beiden Seiten mit bellendem Getöse die Panzer und Panzerabwehrgeschütze mit Leuchtmunition auf einander loszuballern. Ich weiß noch genau, wie ich von dem Schauspiel so fasziniert war, daß ich keinerlei Angst verspürte, vielmehr Voß begeistert auf den Anblick aufmerksam machte. Plötzlich ging ein Schuß scharf an meinem Ohr vorbei. Mir gegenüber lag ein Russe, durch das hohe Getreide verborgen, wie ich vermutete etwa zehn Meter entfernt. Ich nahm im Getreide volle Deckung. Da konnte mir nichts passieren, da jedes Geschoß durch die dicht stehenden Halme nach oben abgeleitet wird. Dann legte ich mich auf den Rücken, zog eine Handgranate ab und warf sie in die Richtung, wo ich den Russen vermutete. Ich hörte die Explosion und richtete mich vorsichtig auf. Der Schuß traf eine Ader am Hals und blieb, wie sich später herausstellte, zwei Zentimeter neben der Wirbelsäule stecken. Während ich mit dem linken Daumen die Ader abzudrücken suchte, robbte ich solange rückwärts, bis ich hinter der Lafette eines Panzerabwehrgeschützes von einem Sanitäter vorläufig versorgt werden konnte. In der Etappe wurde ich auf einen Lafettenwagen gelegt und zum Hauptverbandsplatz gefahren. Vor der Abfahrt tauchte plötzlich Gurken-Karl neben mir auf und fragte mich, und deswegen habe ich hier nur die Umstände geschildert, ob ich lieber Unteroffizier werden, oder das Eiserne Kreuz erster Klasse erhalten wollte. Ich Idiot wählte den Unteroffizier.

Ich bekenne mich dazu, lächerlich zu wirken, aber eigentlich ärgert es mich heute noch, nicht das EK 1 gewählt zu haben. Ein Gefreiter mit EK 1, das war schon was. Ich habe es dann nie mehr bekommen. Dazu waren meine Einsätze - nun freilich Gott sei Dank - zu kurz. Wie durch ein Wunder hatte das Geschoß die Lunge nicht verletzt.

Ich kam in ein Lazarett in Kiew, lag dort im fünften oder sechsten Stock, hörte die russischen Fliegerbomben auf die Stadt niedergehen und atmete auf, wenn nach kurzer Zeit deutsche Jagdflugzeuge die Bomber vertrieben. Der überbeschäftigte Stabsarzt fragte immer wieder, wohl wegen des vermuteten Lungenschusses, ob ich noch Blut spucke und meine Versicherung, ich hätte noch nie welches gespuckt, hatte er zwei Minuten später schon wieder vergessen. Da ich wochenlang den Kopf nicht heben konnte, wuchs das Haar mir über die Schultern und der Bart bis auf die Brust. Für meine starke Brille, die abhandengekommen war, wurden mir zwei schwächere organisiert, die ich nun übereinandertrug. Als ich dann endlich auf dem Weg zum Heimatlazarett in Lemberg Station machte, standen Soldaten um mein Bett herum und fanden es bedenklich, einen so alten Mann noch in den Krieg zu schicken. Ein Friseur brachte dann mein zwanzigjähriges Gesicht wieder zum Vorschein.

Irgendwann kam ich genesen zum Ersatzbatallion nach Danzig-Langfuhr zurück. Meine erste Begegnung dort war ein Kamerad aus meiner Gruppe, der mich ansah, als wäre ihm ein Geist erschienen. "Mensch, ich denke du bist tot!" Tatsächlich hatte er selbst mich auf dem Hauptverbandsplatz ohne Besinnung angetroffen und vom Stabsarzt die Auskunft bekommen, ich hätte keine Überlebenschance. Glück gehabt. Ihm hatte man einen Hoden weggeschossen, doch die sexuellen Funktionen seien nicht gestört, das habe er schon im Zuge auf der Heimfahrt ausprobieren können, versicherte er verschmitzt. Bei der Postverteilung wurde mir ein Paket ausgehändigt. Nach vielen Monaten hatte mich ein Gruß von Lieschen aus Siebenbürgen erreicht. Mit dem Bild eines blonden Mädchens mit zwei Zöpfen, dessen Aussehen ich indessen völlig vergessen hatte, und einem selbstgebackenen Kuchen, der nun freilich knochenhart und somit ungenießbar geworden war.

Mit meiner Entscheidung zum Unteroffizier hatte ich fast automatisch den Weg in die Offizierslaufbahn beschritten. Das bedeutete aber auch, für längere Zeit nicht an die Front zu müssen. Bis zum Frühsommer 1942 war ich überwiegend in Zoppot und kam dann nach Potsdam-Eiche auf die Offiziersschule. Schon vorher war ich öfters dienstlich in Berlin gewesen und hatte die damals noch unzerstörte Großstadt genossen. Mein Bruder Wolfgang studierte dort Medizin und wurde später Assistenzarzt am Ostberliner Hedwigskrankenhaus. Wegen seiner Amputation war er natürlich dienstuntauglich. Er und Freund Hannes Ewald, der wegen einer Lungengeschichte ebenfalls nicht eingezogen worden war, hatten sich der katholischen Studentengemeinde angeschlossen, die von dem später inhaftierten Pfarrer Schmidt geleitet wurde, einem würdigen Nachfolger des berühmten Studentenpfarrers Carl Sonnenschein. Ich kann nicht beurteilen, ob es sich hier um eine wirkliche Widerstandsgruppe gehandelt hat, doch stand diese Gruppe durch ihre religiöse Orientierung eindeutig dem Nationalsozialismus kritisch und ablehnend gegenüber. Die Verweigerung, sich gleichschalten zu lassen, wurde von den Nazis bereits als nationales Verbrechen angesehen.

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Last Update: 24.02.2005