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Für das, worum es mir geht, ist es bedeutungslos, was sich im einzelnen abspielte. Die in Stalingrad untergegangene  60. Panzerdivision erhielt sozusagen posthum die Bezeichnung 'Division Feldherrnhalle'. Man hatte offensichtlich die Stirn, den sinnlosen Opfergang Tausender mit dem Aufmarsch der Nazis unter Hitler und Ludendorff im November 1923 zu vergleichen. Das war mir zu viel und es gelang mir, mich zu einer anderen Division versetzen zu lassen. Meine neue Einheit war das 3. Panzergrenadier-Regiment, und das Ersatzbatallion hatte die Bezeichnung 120 und war in Jena stationiert.

Da ich bis zum nächsten Einsatz eigentlich nichts zu tun hatte, nahm ich als Gast an den Sitzungen des Theaterseminars der Jenaer Universität teil. Die Leitung hatte ein Professor zu Nedden. Man diskutierte über die Werke Henrik Ibsens und hatte gerade sein Drama 'Brand' vor. Ein Schauspiel, in dem ein Pfarrer gegen die Orthodoxie seiner Kirche das reine Christentum verteidigt. Der Assistent fällte folgendes Urteil: Ein Drama, in dem ein Pfarrer die Hauptrolle spiele, hätte im neuen Deutschland nichts zu suchen. Meine schüchterne Frage: "Warum denn nicht?" blieb unbeantwortet. Einmal rüstete das ganze Seminar zu einer Fahrt in eine andere Stadt, um dort eine Aufführung von Werner Egk's 'Peer Gynt' auszupfeifen. Warum es nicht in ihr nationalsozialistisches Gedankengut paßte, ist mir schleierhaft. Immerhin war Egk bis 1940 Dirigent der Berliner Staatsoper. Ich bin dann lieber dieser radikalen Veranstaltung ferngeblieben.

Bald ging es wieder an die russische Front, soweit ich mich erinnere in die Nähe von Smolensk. Neulich las ich im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung 'daß nach Stalingrad nicht nur die Lehnstuhlstrategen, sondern auch die Soldaten im Osten, denen nur zu häufig bewußt war, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei, ihren sicheren Tod als Opfer für Führer und Vaterland verstanden und akzeptierten.' Und das wäre wissenschaftlich dokumentiert. Eigenartig, daß ich davon so gar nichts bemerkt hatte. Die Generalsclique war zum großen Teil Hitler völlig ergeben. Bedeutete doch für sie ein verlorener Krieg den gesellschaftlichen Untergang. Nicht vergessen sei, daß auch von Generälen und anderen hohen Offizieren der Aufstand des 20. Juli ausging. Weiter unten jedoch hatte man die Nase längst voll. Nach dem Prinzip 'Angriff ist die beste Verteidigung' kämpften alle ums nackte Überleben. Dazu kam noch die wohl allgemein verbreitete Angst, in russische Gefangenschaft zu geraten; und so wahnsinnig das ganze auch war, in der Verteidigung war mehr Sinn als im Angriff, denn man verteidigte nicht nur sich, sondern auch, wenn auch noch weit vorgeschoben, die Heimat. Das ist allgemein bekannt und gipfelte am Schluß in der Hoffnung, der Vormarsch der amerikanischen und englischen Truppen würde deutsche Gebiete vor dem Einmarsch der Russen bewahren.

Die Fahrt zur Truppe war lang. Die Lokomotive schob immer einen leeren Güterwagen vor sich her, der in die Luft flog, wenn der Zug auf eine Mine lief. Indessen waren ganze Landesteile in der Hand gut ausgerüsteter Partisanen, die den deutschen Truppen nicht weniger zu schaffen machten als die feindlichen Soldaten selbst. So wußte man nie genau, ob wir gerade den Feind umzingelt hatten oder er uns. Im Landser-Jargon: "wer kesselt wen". Als wir beim Divisionsgefechtsstand angekommen waren, begrüßte der Divisionskommandeur die etwa zehn angetretenen jungen Leutnants mit den Worten: "Na, meine Herren, hat es sich in der Heimat auch schon herumgesprochen, daß wir den Krieg verlieren?" Um dann einige, darunter auch mich, anzuschnauzen, ich hätte mich nicht nach Vorschrift zur Stelle gemeldet. Die kriegstauglichen Jahrgänge waren damals schon so weit dezimiert, daß in meinem Zug nun schon Männer über vierzig im Einsatz waren. Wenn ein Offizier bisher vor seinem Zug hergegangen war, so war es nun notwendig, hinter den Soldaten herzumarschieren und die um ihr Leben bangenden Familienväter, die einen geradezu anflehten, sie doch zurückzulassen, zum Angriff voranzutreiben.

Bei uns galt folgende Statistik: der normale Soldat starb durchschnittlich bei der fünften, der Offizier bei der dritten Verwundung. Die Statistik hatte längst den Glauben an irgendein vorherbestimmtes Schicksal ersetzt und tut es für mich heute noch. Oder wie anders soll ich verstehen, daß von meiner Abiturklasse mehr als die Hälfte im Krieg gefallen sind? War ich irgendwo von irgendwem dazu bestimmt zu überleben, die anderen aber nicht? Ich kann und will es mir nicht vorstellen. Ein bißchen konnte man die statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung dadurch beeinflussen, daß man als erfahrenes Frontschwein sich der jeweiligen Situation besser anpaßte und dadurch eine etwas größere Chance hatte als der unerfahrene, gerade erst an der Front eingesetzte, womöglich auch noch ältere Soldat.

Ich gehörte jedenfalls zu den Glücklichen, die auch die dritte Verwundung überlebt haben. Wir waren gerade für wenige Stunden aus der vordersten Linie herausgezogen worden und als Essensnachschub gab es etwas, was wir alle wochenlang nicht mehr gesehen hatten: frisches Schwarzbrot und Marmelade und das noch in jeder Menge. Ich verzehrte gierig ein Brot nach dem anderen, bis mein Bursche - tatsächlich hatte auch damals noch jeder Leutnant einen Burschen, der sich um ihn persönlich zu kümmern hatte - sagte: "Na, Herr Leutnant, wenn das einen Bauchschuß gibt." Bei der Vorstellung verließ mich der Appetit. Zufällig, was sonst, hatte ich Glück im Unglück und mir tatsächlich eine Reserve angefressen. Wenige Stunden später traf mich ein Querschläger, durchschlug die linke Wange, den Gaumen und blieb wenige Millimeter unter dem rechten Auge stecken. Erst mehrere Wochen später habe ich dann eine in dünne Scheiben geschnittene Semmel, jede liebevoll mit Butter bestrichen, zwischen den Zähnen durchschieben können - einer der schönsten Genüsse meines Lebens! Zu dieser Zeit war das Geschoß zwar bereits herausoperiert, doch das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verschwollen und ich war gezwungen, den Eiter, der mir ständig aus dem Mund tropfte, mit einer kleinen Schüssel aufzufangen. Einen Zentimeter höher und der Sohn hätte die gleiche Entstellung wie der Vater. Ein eigentümlicher Gedanke.

Ich war damals in dem in den Weinbergen liegenden kleinen Kloster Himmelspforten bei netten Nonnen untergebracht. Ein Fußweg führte in das barocke Würzburg mit seinen herrlichen Bauten und kulturellen Angeboten. Als die Schwellung zurückgegangen war und die Kinnlade wieder bewegt werden konnte, durfte ich nach Hause, wo mich die Eltern, meine junge Frau und unser Sohn erwarteten. Doch auch hier bekam ich sozusagen am eigenen Leibe die Folge nationalsozialistischer Indoktrination zu spüren.

Es war im Januar 1944, als ich an mir eigentümliche Veränderungen feststellte. Meine Haut fühlte sich überall taub an, ich verlor Haare und mein Gang wurde sehr unsicher. Ich suchte unseren Hausarzt auf. Der hieß mich, mit geschlossenen Augen den rechten Arm zu kreisen und dann mit dem Zeigefinger meine Nasenspitze zu berühren. Der Zeigefinger landete überall, nur nicht auf der Nasenspitze. Auch gelang es mir nicht, mich auf einem Strich Fuß vor Fuß vorwärts zu bewegen. Wo hatte ich diese Übungen schon einmal beobachtet? Noch während der Untersuchung fiel es mir ein. Im Dezember hatte ich den Wolfgang-Liebeneiner-Film 'Ich klage an' gesehen. Gut gemacht, mit Heidemarie Hatheyer, Paul Hartmann und Matthias Wiemann, der einen Arzt spielte, in den Hauptrollen. Wiemann hatte mit der Frau die gleichen Versuche angestellt und multiple Sklerose diagnostiziert. Als die Krankheit sich dann verschlimmerte, gab er ihr auf Verlangen die Todesspritze, wofür ihn das Gericht freisprach. Er hatte das Kinopublikum auf seiner Seite, welches nicht merkte, daß die Nazipropaganda durch den Film geschickt versuchte, die Bevölkerung für den Gedanken der Euthanasie zu gewinnen. Ich hatte also multiple Sklerose. Als der Arzt, der mich sofort in das Nervenlazarett in Elbing überwies, mir beim Abschied sagte: "Aber multiple Sklerose haben sie nicht", wuchs meine Gewißheit. Und tatsächlich war ich, wie ich später feststellte, mit diesem Befund eingewiesen worden. Nach der Rückenmarkpunktion sagte der leitende Stabsarzt: "Ich gebe ihnen mein Offiziersehrenwort, daß sie nicht an multipler Sklerose, sondern an einer schweren, aber heilbaren Polyneuritis erkrankt sind." Auf das Ehrenwort eines Offiziers verließ man sich damals immer noch ganz blind. So dachte ich und auch alle anderen.

Nach einem viertel Jahr hatte ich die Krankheit überwunden und wurde, heimat-diensttauglich, wenn auch noch mit offenem Gaumen, zum Ersatzbatallion in Jena einberufen. Hier erlebte ich voller Verzweiflung das verunglückte Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Wenige Tage später mußte die ganze Garnison antreten. Ein General hielt eine Ansprache, die von begeisterter Unterwerfung vor Hitler nur so triefte und nahm uns einen erneuten Eid auf den Führer ab. Ab sofort hatte der Soldat mit dem deutschen Gruß zu grüßen. Das Heer war damit endgültig zu einer Parteiorganisation verkommen. Ich konnte für den Masochismus der meisten Generäle nur noch Verachtung aufbringen.

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Last Update: 24.02.2005